Essen. Seit mindestens 700 Jahren gibt es die Nürnberger Rostbratwurst schon. Das Museum der Stadt ehrt die Wurst daher derzeit mit einer Ausstellung.

Frau Nga, Frau Mai und Frau Tran grillen hier ordentlich was weg. Gleichmütig stehen die Damen aus Vietnam im Rauch der Grillstation des Bratwurst-Häusle, wenden, legen nach und schnipsen mit der Zange die fertigen, fingerlangen Würstchen in eine Schüssel, 3000 bis 5000 Stück am Tag. Kellner stehen an und rufen Bestellungen: „Zehn mit Kren, zwölf auf Kraut. Und noch mal sechs Blaue Zipfel!“ Dazwischen warten Passanten auf ihre tägliche Dosis Stoff: „Drei im Weggla bitte.“ „2,50. Danke.“ Im Gegenzug gibt es das Brötchen mit den drei kleinen Würsten, die fast darin verschwinden.

Die drei Grillerinnen sorgen stoisch für Nachschub. Schließlich brutzeln sie hier nicht irgendwelch belangloses Fastfood. Sie widmen sich der Pflege eines wichtigen Stückes Nürnberger Kulturguts. Seit mindestens 700 Jahren gibt es die Nürnberger Rostbratwurst schon, 1313 wird sie erstmals schriftlich erwähnt. Ein Erlass des Rates verpflichtet die Metzger, nur „sweynen lendpraten in die wurste (zu) hacken“ – sprich: nur besten Hinterschinken vom Schwein. Das Stadtmuseum ehrt die Wurst derzeit mit einer Ausstellung „9 cm Nürnberg“. Ein Würstchen, vergoldet, auf Gabel unter einem Glassturz stimmt die Besucher auf den „Mythos“ ein.

Die große Zeit der kleinen Wurst

Die große Zeit der kleinen Wurst sollte Mitte des 19. Jahrhunderts kommen. Damals wurde Nürnberg, „des Deutschen Reiches Schatzkästlein“, mit seiner mittelalterlichen Architektur zum Sehnsuchtsort romantischer Naturen. Den Künstlern und Gelehrten folgten bald erste Vergnügungsreisende, und die entdeckten neben Kaiserburg, St.-Lorenzkirche und Albrecht-Dürer-Haus auch die fränkische Küche. Zum Inbegriff der Gemütlichkeit wurde das Bratwurst-Glöcklein.

„Hier stand es, eine winzige Hütte, angelehnt an die Moritzkapelle, die auch nicht mehr da ist“, sagt Stadtführerin Melitta Vogel im Schatten der Türme der St.-Sebald-Kirche. Und sie schiebt auch gleich ein passendes „Gschichtla“ hinterher: Einer der Wirte soll als erster die Wurst so verkleinert haben, dass er sie nach der Sperrstunde späten Kunden noch durchs Schlüsselloch zuschieben konnte.

Henkersmahlzeit mit Lokalkolorit

Jahrhundertelang war sie nun in aller Munde, die Wurst – der der Grafen und der Bürger, der Bauern und der schönen Fräulein. Selbst die zum Tode Verurteilten hatten ein Letztes, auf das sie sich ein wenig freuen konnten: Die Henkersmahlzeit mit Lokalkolorit. Drei Tage lang wurde das arme Würstlein zum Lebensende hin mit dem Besten versorgt, was die Stadt zu bieten hatte. Und sowohl zur ersten als auch zur letzten Mahlzeit gehörten sechs große, dicke Würste dazu.

Vor dem Edelrestaurant „Essigbrätlein“ verrät die Führerin, dass in den Kaschemmen hier am Weinplatz einst Essen für Fuhrknechte serviert wurde. Billig musste es sein – und so wanderte wohl so manches überlagerte Stück Fleisch in den desinfizierenden Essigsud. Die traditionellen „Blauen Zipfel“, Nürnberger, die in einem Sud aus Essig und Zwiebeln garziehen, dürften so entstanden sein.

Dann geht es zurück zur Ausstellung. Das Bratwurstglöcklein wurde schließlich zu einem der „musts“ für frühe Touristen. Sie schrieben Lobgedichte und schickten Postkarten mit Wurstmotiven nach Hause. Ein paar Jahrzehnte später verewigten sich schon Nazigrößen im Gästebuch. Baldur von Schirach ließ es sich schmecken. Und auch Bergsteiger und Schauspieler Luis Trenker grüßte 1936 mit einem zackigen „Heil Hitler“.

Es kam, wie es kommen musste. Zusammen mit dem Reich fiel die „Stadt der Reichsparteitage“ samt Bratwurstglöcklein in Schutt und Asche. Die Wurst aber erstand sozusagen aus Ruinen, war beim ersten Christkindlesmarkt 1948 bereits wieder an einem Stand zu kaufen und wurde wichtiger denn je.

Der Franken liebstes Laster

Vier Fabriken und mehrere Metzger füllen heute bis zu eineinhalb Milliarden Stück pro Jahr. Natürlich erfährt der Besucher, dass nur Schweinefleisch, Salz, Pfeffer und Majoran hineingehören, dass jedes Exemplar sieben bis neun Zentimeter lang und 20 bis 25 Gramm schwer sein muss. Und natürlich darf die Wurst, als EU-Produkt mit geschützter geografischer Herkunft, nur innerhalb der Stadtgrenzen Nürnbergs produziert werden.

Sechs große Bratwurstküchen gibt es heute in Nürnberg, in denen das saftige Kulturgut stilgetreu auf Zinngeschirr serviert wird. Bei der Bestellung kann es freilich, wie Frau Vogel ganz am Ende erzählt, gerade im Umgang mit ausländischen Mitbürgern hin und wieder zu leichten Irritationen kommen.

„Ich kriech fei sex auf Graud!“, habe einer der alten Nürnberger in der Ecke quer durch den Saal dem Kellner zugerufen, gerade als sie sich mit einer Gruppe Amerikaner zur obligatorischen Verkostung niedergelassen hatte. „Die haben nur Sex gehört. Sex on crowd. Oh shocking, what’s going on in good old Nuremberg?“ Sex auf Graud? Sechs Nürnberger auf Sauerkraut – allemal noch des Franken liebstes Laster. Alles andere ist ihm worschd.