New York. Fast jeder dritte Amerikaner mit ausländischen Wurzeln kam über Ellis Island in die USA. Dort wurden die Einwanderer noch bis 1954 auf Herz und Nieren geprüft - schließlich sollte niemand der Nation auf der Tasche liegen. Inzwischen ist das Auffanglager längst ein beliebtes Museum.
Gleich hinter der Freiheitsstatue war die Freiheit erst einmal wieder zu Ende. Befragungen, Untersuchungen, Tests – erst danach ging es in das Land der Freiheit und vielleicht sogar des Wohlstands. Wenn man nicht wieder zurückgeschickt wurde. Ellis Island im Hafen von New York war mehr als ein halbes Jahrhundert das Tor zu den USA, an dem Tausende auf Einlass hofften. Vor 60 Jahren – genau am 12. November 1954 – wurde das Aufnahmelager geschlossen, heute ist es eine der wichtigsten Attraktionen New Yorks.
Fast jeder Amerikaner stammt aus einer Einwanderer-Familie. Doch immer hatten die, die schon da waren, Furcht vor denen, die noch kamen. Bis heute. Die Segler des 19. Jahrhunderts ließen ihre menschliche Fracht zumeist einfach an Land, doch nach und nach entwickelten die Bundesstaaten ein Behördensystem.
Zwölf Millionen Menschen in 63 Jahren
Schließlich nahm sich Washington der Sache an und ließ eine Insel im Hafen von New York zum großen Auffanglager ausbauen. Dafür wurde ihre Größe verdoppelt, indem man den Erdaushub vom U-Bahn-Bau nutzte. Am 1. Januar 1892 eröffnete die Station mit Krankenhaus, Wäscherei, Restaurant, Kerker und einer großen Halle.
Durch die wurden in knapp 63 Jahren zwölf Millionen Menschen geschleust. Die meisten blieben nur ein paar Stunden da und mussten 29 Fragen beantworten, unter anderem wie viel Bargeld sie hatten. Denn Amerika wollte niemanden, der später der Gesellschaft zur Last fallen würde. Viele der Ankömmlinge wurden zurückgeschickt. Ein Mythos ist es übrigens, dass die Einwanderer zwangsweise englische Namen bekamen. Verschrieb sich der Beamte allerdings bei den seltsamen irischen, polnischen oder deutschen Namen, blieb das zuweilen der neue Familienname. „Sie haben uns Fragen gestellt“, erinnerte sich Pauline Notkoff 1985 für das Archiv von Ellis Island. „Wie viel ist eins und eins? Wie viel zwei und zwei? Ein Mädchen wurde gefragt: Wie putzt man Treppen? Von unten nach oben oder oben nach unten? Sie antwortete: Ich bin nicht nach Amerika gekommen, um Treppen zu putzen.“ Sie kam rein.
„Manche Familien mussten Tage oder Wochen hier ausharren“, erzählt Michael Burke. „Für sie gab es ein Krankenhaus, in dem über die Jahre 35 Kinder geboren wurden. Es sind auch 3500 Menschen hier gestorben.“ Burke ist Chef der kleinen Fährgesellschaft, die heute jeden Tag Tausende Touristen zur Insel bringt. Denn 1954 schloss Ellis Island, weil der Einwandererstrom nicht mehr nur zentral an einem Ort bewältigt werden konnte.
Seit 1991 ist die Insel ein Museum. „Die meisten sind einfach neugierige Touristen“, sagt Joe Moran, Kapitän eines der Touristenschiffe. „Aber viele sind auch Kinder oder Enkel von Einwanderern.“ Und immer mal wieder komme ein sehr alter Mann oder eine sehr alte Frau zu ihm, ein, zwei Dutzend Kinder und Enkel im Schlepptau und sage ihm: Wissen Sie was, da bin ich als Vierjähriger angekommen, und jetzt habe ich eine große Familie.
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Viele berühmte Amerikaner kamen hier als Habenichtse an, etwa Rudolph Valentino (Herzensbrecher), Johnny Weissmuller (Tarzan), Bob Hope (Komödiant), Erich von Stroheim (Regisseur), Edward G. Robinson (Hollywoods Chefgangster), Lucky Luciano (echter Chefgangster), Cary Grant (Hollywoodlegende), Max Factor (Kosmetiklegende), Irving Berlin („White Christmas“) oder Isaac Asimov (Science Fiction). Fast jeder dritte Amerikaner mit ausländischen Wurzeln kam über Ellis Island ins Land.
Heute ist Ellis Island eine der größten Attraktionen New Yorks. Das heißt, eigentlich nicht: 1998 stellte nach 200 Jahren Streit der oberste Gerichtshof der USA fest, dass die Insel eigentlich zum benachbarten New Jersey gehört. So war selbst Ellis Island in New York eine Immigrantin.