Hagen. Der Direktor des Osthaus-Museums geht. Tayfun Belgin holte Sylvester Stallone nach Hagen. Warum 2007 alles mit einer Intrige begann.
Der neue Museumsdirektor wird in Hagen als Mann mit Migrationshintergrund eingeführt – trotz Promotion in Kunstgeschichte und langjähriger Erfahrung in der Leitung von internationalen Ausstellungshäusern. „Das fand ich nicht gut“, erinnert sich Dr. Tayfun Belgin. 140 Ausstellungen und einige lokale Skandale später räumt der 67-Jährige derzeit sein Büro. Am 1. Mai beginnt sein Ruhestand. Als er 2007 nach Hagen berufen wurde, sollte er gleich zwei Museen führen. Bekommen hat er eine große Dauerbaustelle, der Kämmerer wurde sein bester Feind, und sich selbst bezeichnete er einmal als „Klinkenputzer vom Dienst“, denn ohne Sponsoren lässt sich in Hagen seit Jahrzehnten keine Ausstellung mehr realisieren. Seine Bilanz fällt trotzdem positiv aus. „Meine Mission ist erfüllt.“ Im Abschiedsinterview spricht Belgin erstmals auch darüber, warum er sich hat taufen lassen.
Zum Interview bringt Tayfun Belgin eine Liste mit. Darauf sind die Neuerungen notiert, die er eingeführt hat. Es ist bezeichnend, dass er an erster Stelle das Junge Museum nennt, das er im Souterrain des Osthaus‘, dem herrlichen Jugendstilgewölbe Henry van de Veldes, eingerichtet hat. Bis zu seinem Amtsantritt gab es in Hagen keinen dezidierten Schwerpunkt mit Museumspädagogik. „Kinder brauchen ein schönes Ambiente“, begründet Belgin die Wahl des Raums.
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An zweiter Stelle stehen die Netzwerke, die der Museumsdirektor zur regionalen Wirtschaft geknüpft hat, die Museums-Lounge im ersten Stock des historischen Altbaus, die mit Hilfe der Unternehmerfamilie Kreke realisiert werden konnte, „der Raum wird sehr gut angenommen“. Dazu der Verein der Freunde des Osthaus-Museums, in dem sich überwiegend Unternehmer engagieren. „Über die Jahre sind einige Millionen zusammengekommen, allein Sylvester Stallone hat eine Viertel Million Euro gekostet. Red Bull und die Freunde des Osthaus-Museums ermöglichen jetzt die Helnwein-Ausstellung.“
Dabei war die Berufung Belgins im Jahr 2007, ohne dass dieser das wusste, das Ergebnis einer Intrige. Die Kultur der Stadt befand sich seinerzeit im Aufwind, ein neues Kunstquartier aus dem renovierten Osthaus und dem neu gebauten Emil-Schumacher-Museum versprach städtebauliche Impulse, Landschaftsverband und Land NRW sowie weitere Förderer unterstützten Hagen dabei mit rund 20 Millionen Euro. Geplant war, dass die Nachfolge des früheren Museumschefs Dr. Michael Fehr beide Häuser leiten sollte, so titelte es jedenfalls unsere Redaktion. Favoritin für diese Position war die hoch angesehene, hervorragend qualifizierte und sehr beliebte Osthaus-Kustodin Dr. Birgit Schulte. Allein dem Stifter Dr. Ulrich Schumacher, Sohn des Künstlers, missfiel diese Personalie. Er reiste persönlich nach Krems, um den jungen Leiter der Kunsthalle, den er aus dessen Dortmunder Zeit kannte, für Hagen zu werben.
Erst nachdem Belgin in Hagen unterschrieben hatte, wurde ihm nach eigenen Angaben der Vertrag zwischen Stadt und Stiftung kenntlich gemacht, und zwar nicht durch die Stadt, sondern durch die Stiftung. Der Kontrakt besagt unter anderem, dass das Osthaus-Museum aus seinem knappen Budget die Hälfte des Gehalts für den wissenschaftlichen Leiter des Schumacher-Museums finanziert, und er ist nicht befristet, kann also nicht neu verhandelt werden. „Als ich den Vertrag gesehen habe, wusste ich, dass ich einen Fehler gemacht habe“, sagt Belgin heute. Zur geplanten Leitung beider Museen kam es nie. Und das groß angekündigte gemeinsame Marketingkonzept lässt immer noch auf sich warten.
Kein Ankaufsetat und Technik von gestern
Ohne Stallgeruch erwarb sich Belgin in Hagen bald den Ruf eines „Giftzwergs“, dieses Schimpfwort machte die Runde, weitere sollten folgen. „Aber insgesamt habe ich mich immer willkommen gefühlt.“ Er musste lernen, mit einem kleinen Budget auszukommen, ohne Ankaufsetat, ohne Mittel für vernünftige Werbung. Die veraltete Tontechnik verärgert regelmäßig die Besucher der Vernissagen. „Das Osthaus ist der Luxus von gestern“, konstatiert Belgin trocken.
Gleichwohl bleiben viele Ausstellungen in Erinnerung: Friedrich Hundertwasser, der 65.000 Besucher nach Hagen lockte. Otto Modersohn, der immerhin 25.000 interessierte Gäste fand. Anselm Kiefer, Markus Lüpertz, Stephan Balkenhol, Thomas Baumgärtel, dazu die Schau über das Hagener Musikwunder der Neuen Deutschen Welle: „Komm nach Hagen – Mach dein Glück“. Belgin hat zudem den Hagener Künstlern einen Raum geschaffen, ihre Arbeiten im Osthaus-Museum kontinuierlich zu zeigen.
Kritik an Zusammenarbeit mit Galeristen
Gefangen zwischen Geldnot und dem Druck, Besucher zu gewinnen, standen in den letzten Jahren seiner Amtszeit Namen von Künstlern im Vordergrund, die eher aus der Populärkultur bekannt sind als aus den Kunstmagazinen, Bryan Adams und Sylvester Stallone gehören dazu; die persönliche Anwesenheit des Hollywoodstars in Hagen sorgte für einen riesigen Medienauflauf. Gleichwohl gab es in der Kunstszene Kritik an der engen Zusammenarbeit Belgins mit kommerziellen Kunstgalerien. Der Vorwurf lautete: Das Osthaus macht sich mit solchen Ausstellungen zum Durchlauferhitzer für den Kunstmarkt. Belgin bestreitet dies. Galeriekontakte seien übliche Praxis, „alle Künstler, die es geschafft haben, von ihrer Kunst zu leben, haben Galeristen“. Außerdem darf das Museum seine Jahresetats nicht überjährig ansparen, um große, selbst entwickelte Ausstellungsprojekte zu planen. Ein Teufelskreis.
Einen wissenschaftlichen Meilenstein bildet das 2011 auf Belgins Initiative gegründete Christian-Rohlfs-Archiv am Hagener Osthaus-Museum, möglich durch eine großzügige Schenkung des Rohlfs-Großneffen Prof. Dr. Paul Vogt, ehemaliger Direktor des Museums Folkwang in Essen. „Wir haben jetzt 900 Werke von Rohlfs“, bilanziert Belgin stolz. Das Rohlfs-Archiv ist zuständig für die Echtheitsüberprüfung aller Rohlfs-Werke weltweit. Rohlfs-Expertin Dr. Birgit Schulte ist die Geschäftsführerin. Die Expertisen sind kostenpflichtig. „Die Einnahmen verwenden wir für den Ankauf und die Restaurierung von Rohlfs-Werken.“
Die bedeutenden Hagener Expressionisten hat Belgin vier Jahre lang auf die Reise geschickt, „von Wien nach Stockholm, weil ich das Museum und seine hervorragende Sammlung bekannt machen wollte“. Außerdem waren die Hagener Hauptwerke auch bei großen internationalen Ausstellungen im New Yorker Moma oder im Frankfurter Städel zu sehen. „Es war mir wichtig, dass unsere Bilder zusammen mit internationalen Leihgebern auftauchen.“
Im Jahr 2011 klopfte das Auktionshaus Christie’s beim Oberbürgermeister der hoch überschuldeten Stadt Hagen an. Das von Ferdinand Hodler für den Hohenhof geschaffene wandfüllende Gemälde „Der Auserwählte“ hatte die Gier des Kunstmarktes geweckt. Christie’s taxierte es auf 10 Millionen Euro. Schnell ging das Gerücht um, Belgin wolle den Hodler unter den Hammer bringen. „Ein Jahr später hieß es, dass ich den Hohenhof verkaufen wolle. Ich habe dem Oberbürgermeister damals gesagt, dass ich einen Verkauf nicht empfehlen würde. Das ist doch vollkommen klar. Nach dem Richter-Skandal kann man doch kein Bild verkaufen.“
Über den Richter-Skandal kann sich Belgin immer noch aufregen. Sein Amtsvorgänger hatte das „Seestück“ des berühmten Malers für 4,3 Millionen D-Mark veräußert. Er hatte dessen Wert im niedrigen sechsstelligen DM-Bereich veranschlagt. Heute wäre es mehr als das Zwanzigfache der 4,3 Millionen wert. Das Geld ist längst weg. „Man hätte den Erlös in eine Stiftung einbringen müssen. Damals gab es noch Zinsen. Dann hätten wir jetzt einen Ankaufetat“, ärgert sich Belgin.
Besonders bitter: Der Richter war dem Osthaus durch den damaligen Freundeskreis des Museums vermacht worden. Die Stifter wurden vor dem Verkauf nicht informiert. Seither hat das Museum es schwer, Schenkungen zu erhalten.
Ein Museumsdirektor, dessen Eltern als Arbeiter aus der Türkei nach Wuppertal gekommen sind, muss Muslim sein. Dieses Klischee wurde im Zusammenhang mit Tayfun Belgin nie hinterfragt: „Nein, er ist nicht biodeutsch und nicht islamisch, er ist konvertierter Christ“, sagt Belgin über sich selbst. „Ich habe Jesus in der Grundschule in Wuppertal-Langerfeld kennengelernt, bevor ich Mohammed kennengelernt habe.“ Vor einiger Zeit hat sich Tayfun Belgin daher von der reformierten Pfarrerin Tabea Esch in Hagen taufen lassen. „Ich bin öfter in der Kirche. Für viele Menschen ist das ein Schock. Boah, der alte Türke ist gar nicht so islamisch.“
Im Ruhestand wird Belgin mit seiner Lebensgefährtin in Lüdenscheid wohnen bleiben. „Dann habe ich mehr Zeit, in Ruhe Fachartikel zu schreiben. Diese Freiheit ist auch schön.“ Für sein Museum wünscht er sich einen Wochentag mit freiem Eintritt, damit es eine niederschwellige Möglichkeit für alle Hagener Bevölkerungsschichten gibt, Kunst zu entdecken. „Freitags frei, das wäre schön. Aber unser Kämmerer akzeptiert das nicht.“
Und welches Kunstwerk wird Tayfun Belgin vermissen, wenn er nicht mehr Osthaus-Direktor ist? „Mein Lieblingsbild ist definitiv die Dame mit Hut und Schleier von Max Beckmann, ein herrliches Bild.“