Dortmund. Viele Ukrainerinnen lernen schon Deutsch. Allein in Dortmund laufen elf Kurse der VHS. Die Hürden sind hoch, doch die Frauen sind auch schnell.

Aus welcher letzten Krise die Karten stammen, die da vorne an der Tafel hängen, das kann man erahnen: „Kurdisch“ steht darauf, auch „Arabisch“. „Wir nehmen das Land und hängen ein -isch an“, sagt Dozentin Ingrid Lösse. So erläutert sie, wie im Deutschen Wörter für Sprachen gebildet werden. „Russisch“ hängt da. Und, ja, jetzt auch „Ukrainisch.“

Der „Löwenhof“ in der Dortmunder Innenstadt, ein Großbau aus dem Kaiserreich. Außen barock, innen verschachtelt, und die Löwinnen sitzen in einem langgestreckten Seminarraum im anderthalbten Stock. Zwischengeschoss, was gut zur Lebenslage dieser 14 Ukrainerinnen passt. Sie lernen hier Deutsch auf der Volkshochschule - wie tausende andere vertriebene Ukrainerinnen in Deutschland auch.

„Die Kinder, deine, meine, den Kindern, deinen, meinen . . .“

Dozentin Ingrid Lösse vor den deutschen Buchstaben: A bis Ü und a bis ß.
Dozentin Ingrid Lösse vor den deutschen Buchstaben: A bis Ü und a bis ß. © Funke Foto Service | Jakob Studnar

Die Wüstenei der deutsche Endungen, sie steht auf der rechten Tafel geschrieben. „Die Kinder, deine, meine, den Kindern, deinen, meinen . . .“ Himmel hilf! Und dann gelten die Frauen ja offiziell auch noch als „Zweitschriftlerner“: Sie kommen schließlich aus dem Kyrillischen.

Jede hat gerade eine Karte mit einem Großbuchstaben in der Hand, muss beispielsweise den Satz „Ich habe das große D“ bilden und ihn laut sagen, dann weiterdenken und in die Runde fragen: „Wer hat das große E?“ Hier kommt jede dran. „Ich habe das große V? Wer hat das große . . . Dabbelju?“ Schau an, Englischkenntnisse sitzen auch darunter.

Volkshochschulen erwarten, dass die Nachfrage noch weiter zunimmt

„Sie sind sehr schnell“, hat Ingrid Lösse, die Dozentin, in einem Vorgespräch über ihre Schülerinnen gesagt, ganz überwiegend jüngere Frauen. Sie kann das vergleichen mit vielen Integrationskursen, die sie seit Jahren gibt und in denen sonst mehrere Nationalitäten zusammensitzen. „Hier geht alles so hopplahopp“, sagt Lösse: „Sie haben eine gute Grundbildung genossen.“

Zwanzig Stunden Deutsch die Woche, verteilt auf vier Tage. Elf solcher Kurse mit je 15 Ukrainerinnen gibt es allein in Dortmund. Erwartung? „Dass es noch mehr werden“, sagt Katrin Pinetzki prompt, eine Sprecherin der Stadtverwaltung. Die städtischen Ämter sprechen Ukrainerinnen bei der Registrierung darauf an, dass es diese Kurse gibt, auch die Hilfsorganisationen - und manche ist auch von Pate oder Patin hergeführt worden. Geht alles gut, dann werden die Frauen nach mehreren Kursen das Niveau B1 erreichen: „Damit kann man sich beruflich schon ein bisschen bewegen“, sagt Lösse.

„Ich muss reden können, damit ich arbeiten kann“

Olha Mamas ist mit ihrer Tochter aus Mariupol gekommen.
Olha Mamas ist mit ihrer Tochter aus Mariupol gekommen. © Funke Foto Service | Jakob Studnar

Aber jedenfalls sind sie freiwillig hier und traurige Realistinnen: Wer jetzt mit Deutsch anfängt, rechnet offensichtlich nicht mit schnellerer Heimkehr. Da ist Olha Mamas aus Mariupol, früher bei der Bank tätig: „Ich muss reden können, damit ich arbeiten kann“, dolmetscht die Übersetzerin. Mamas’ Tochter, eine 30-jährige Zahnärztin, arbeitet jetzt als Helferin in einer Dortmunder Praxis, will aber auch hier Zahnärztin werden. Meinen Sie, sie gehen jemals wieder nach Hause? „Vielleicht nach Kiew“, sagt Olha, „Mariupol, das ist nicht mehr.“

Die Frage, die am schnellsten eingeht: „Woher kommen Sie?“ So oft gehört auf der Flucht. Ein anderer Satz fürs Kennenlernen: „Ich bin (nicht) verheiratet.“ „Ver-hei-ra-tet“, der größte Zungenbrecher unter der Sonne an diesem Vormittag, aber versuchen Sie vergleichsweise mal, auf gut Ukrainisch „Nimechchyny“ zu sagen. Ist doch ganz einfach: „Deutschland.“

Sie beendet ihr Studium durch Distanz-Unterricht aus der Ukraine

Die große Uhr links vorne steht penetrant auf zwölf. Man kann das natürlich auch genau umgekehrt lesen: als Stunde Null. Das gilt auch für Inna Alfimova, die mit ihrer Tochter und ihrer Mutter nach den Bomben auf Charkiv nach Dortmund gekommen ist. Die beiden erwachsenen Frauen sitzen in unterschiedlichen Kursen, damit eine immer bei dem 15-jährigen Mädchen ist. Das, Anna, ist registriert, aber noch keiner Schule zugewiesen.

Nach sechs Jahren Studium sei ihr Gehirn sowieso schon auf Lernen programmiert, sagt Inna Alfimova.
Nach sechs Jahren Studium sei ihr Gehirn sowieso schon auf Lernen programmiert, sagt Inna Alfimova. © Funke Foto Service | Jakob Studnar

„Wir sind hier, der Krieg dauert an, niemand kann sagen, wie lang er dauert“, sagt Inna Alfimova auf Englisch. Sie hofft, dass sie ihr Lehramts-Studium durch ukrainischen Distanzunterricht im Sommer beenden kann. Das Studium läuft also, doch danach kommen die Fragezeichen. Der Kurs, sagt Alfimova, falle ihr leicht, „nach sechs Jahren Uni ist mein Gehirn auf Lernen programmiert“.

Die Not ist groß. Der Ehrgeiz ist aber auch da. Wer im Internet-Kursfinder der deutschen Volkshochschulen „Ukraine“ eingibt, bekommt inzwischen ungezählte Kurse angeboten. Kunst, Kultur, Geschichte. Und Sprache ohne Ende: Deutsch für Ukrainer und Ukrainerinnen. Doch an vielen leuchtet auch ein roter Punkt. Daneben steht: „Warteliste“.