Ruhrgebiet. Jeden Tag kommen Transporter mit geretteten Hunden aus Ost- und Südeuropa ins Ruhrgebiet. Dabei sind die Heime hier längst überfüllt.
Die meisten Tierheime im Ruhrgebiet sind seit Beginn der Ferienzeit noch voller als üblich. Trotzdem bekommt dort längst nicht jeder Interessierte einen Hund oder eine Katze. Und jeden Tag kommen Transporter mit geretteten Hunden aus Süd- und Osteuropa über die deutschen Grenzen. Wie passt das alles zusammen?
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Wie voll sind denn die Tierheime im Ruhrgebiet?
Norma Puchstein braucht nur zwei Worte, um die Lage im Duisburger Tierheim zu beschreiben. „Wirklich katastrophal“, sagt die 1. Vorsitzende des Tierschutzzentrums Duisburg. Denn das Heim, das der Verein betreibt, ist nicht voll, es ist überfüllt. Wie nahezu alle Einrichtungen in der Region. „Wir quellen über“, bestätigt Detlef Fohlmeister, Vorsitzender der Tierheim AG-nrw, zu der 18 Tierheime aus dem Ruhrgebiet und Umgebung gehören.
Warum sind so viele Heime überfüllt?
Das hat mehrere Gründe. Noch immer sind viele Hunde und Katzen in den Heimen, die im Corona-Lockdown angeschafft wurden und mit denen die Halterinnen und Halter dann doch nichts anfangen konnten. Zu ihnen gesellen sich mittlerweile immer öfter Tiere, die ihre Haltern sich einfach nicht mehr leisten können. Für Tierärzte gilt seit gut einem Jahr eine neue, weiter höhere Gebührenverordnung. Und auch der Preis für Futter ist teilweise drastisch gestiegen. Im Übrigen wurden Tiere zu Ferien- und Urlaubszeiten schon immer verstärkt ausgesetzt und im Heim abgegeben.
Dennoch ist es vielerorts gar nicht so einfach, ein Tier aus dem Heim zu bekommen. Warum?
Weil die Heimbetreiber natürlich darauf achten, wem sie ein Tier anvertrauen. Einige geben Hunde beispielsweise grundsätzlich nicht an Studenten oder ältere Menschen ab. Noch nicht gefestigt genug und oft ohne ausreichende finanzielle Mittel seien die einen, von Krankheit und Tod bedroht die anderen. In beiden Fällen, heißt es, „kommt das Tier am Ende zu kurz“. „Ein Hund ist ja keine Hose“, sagt etwa Fohlmeister. „Und natürlich wollen wir möglichst wenig Rückläufer haben.“ Aber, sagt er auch, „man darf nicht pauschalisieren“.
Was heißt das genau?
Die Frage sei immer, ob der Mensch und seine Lebensumstände zum ausgesuchten Hund passen, erklärt Fohlmeister. Bei einer gebrechlichen Mittsiebzigerin und einem kräftigen Rottweiler ist das eher nicht der Fall. Bei einer Dogge und einem jungen Paar mit 40 Quadratmeter Wohnung im vierten Stock ebenfalls nicht. Und wenn von morgens acht bis abends um 18 Uhr kein Mensch zu Hause ist, ist das für einen Hund auch nicht schön „Manche Interessenten sind da nicht sehr realistisch“, weiß der Vorsitzende. Man müsse jede Anfrage für sich betrachten, die Interessenten kennenlernen, sie informieren – über die Verantwortung, die auf sie zukommt, ebenso wie über die Kosten, die sie zu erwarten haben“, sagt Babette Terveer, Vorsitzende sowohl des Tierheims in Dormagen als auch des mit dem Landestierschutzpreis ausgezeichneten Vereins „Notpfote Animal Rescue“. Futter, Tierarzt, „da kommt jeden Monat was zusammen“.
Wie teuer ist ein Hund aus dem Tierheim?
Das ist unterschiedlich und nicht genau geregelt. Meist liegt die „Schutzgebühr“ irgendwo zwischen 200 und 350 Euro.
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Was macht eigentlich die Auslandstierrettung?
Sie rettet, wie der Name es schon sagt Hunde und Katzen aus dem Ausland. Fast jeden Tag bringen Transporter Tiere aus Italien, Spanien, Rumänien, Bulgarien oder Griechenland ins Ruhrgebiet. Genaue Zahlen gibt es weder über die Zahl der Hilfsorganisationen noch über die der Tiere. Experten schätzen allerdings, dass letztere im fünfstelligen Bereich liegt. Jedenfalls gibt es in den sozialen Medien unzählige Angebote und Hilferufe – meist mit herzzerreißenden Fotos. „Die wachsen aus dem Boden, wie Pilze nach dem Regen“, hat Norma Puchheim festgestellt.
Ist es sinnvoll, Tiere zu holen, wenn die Heime doch schon so voll sind?
Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. „Tierschutz muss grenzenlos sein“, findet Babette Terveer, die schon Hunderte Hunde aus dem Ausland geholt hat. „Aber die landen hier später nicht in irgendeinem Tierheim“, sagt sie. Sie werden zunächst auf Pflegestellen verteilt, wo sich Hund und mögliche neue Besitzer kennenlernen können. Bei vielen anderen Hilfsorganisationen läuft das nicht so. „Unsere Tiere versauern hier“, ärgert sich Fohlmeister und sagt: „Generell sind wir dagegen, Hunde aus dem Ausland zu uns zu holen.“ Auch Ralf Unna, Tierarzt in Köln und Vizepräsident des Landestierschutzverbandes NRW, hält „systematischen Import von Hunden nicht für sinnvoll“. Im Gegenteil. „Das hat mit Tierschutz nichts zu tun.“
Was sollte man beachten, wenn man trotzdem einen Hund aus der Auslandtierrettung nehmen möchte?
Ein sehr komplexes Thema. „Viele Helfer machen das wirklich aus Tierliebe“, ist Fohlmeister überzeugt. „Aber manchen geht es auch nur ums Geld.“ In den Herkunftsländern habe sich längst herumgesprochen, dass die Deutschen bereit sind, tief in die Tasche zu greifen, um ein vermeintlich vom Tode bedrohtes Tier zu retten. „Da ist ein echter Markt entstanden.“ Auch das kann Unna nur bestätigen. „Es werden längst Welpen speziell für den Verkauf produziert.“ Selbst Terveer räumt ein, dass es „schwarze Schafe“ unter den Hilfsorganisationen gibt.
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Wie erkennt man die?
Schwierig zu sagen. Terveer warnt etwa vor sogenannten „Blindadoptionen“, bei denen der Hund vor dem Kauf nur von Fotos und Videos bekannt ist. „So etwas gehört verboten.“ Sie plädiert auch für eine kontrollierte Rücknahmepflicht der Hilfsorganisationen, wenn Mensch und Tier doch nicht zusammenpassen. Was vor allem bei nicht mehr ganz jungen Hunden schnell passieren kann. Wer im einsamen Siebenbürgischen Hochland groß geworden ist, tut sich in den belebten Großstädten des Reviers oft schwer. Was nicht jeden Verkäufer interessiert. „Bisher sind viele Organisationen nach dem Verkauf plötzlich nicht mehr erreichbar, obwohl sie eigentlich dazu verpflichtet sind.“ Das führt dann oft dazu, dass der vermittelte Hund ausgesetzt wird und tatsächlich im Tierheim landet. „Machen Sie sich schlau, informieren Sie sich“, rät sie Interessenten. „Und lassen Sie sich alle Vereinbarungen schriftlich geben.
Kann man den Tieren aus dem Ausland vielleicht anders helfen?
Besser sei es, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, sagt Ralf Unna. Indem man beispielsweise Kastration vor Ort zahle. Oder das Bewusstsein für den Tierschutz in den betreffenden Ländern schärfe, in denen Hund und Katze vielen Menschen gar nichts bedeuten. „Aber das“, räumt Unna ein, „ist natürlich nicht einfach.“