Essen/Dortmund/Bochum. Die Politik will den öffentlichen Nahverkehr massiv ausbauen. Doch Experten warnen: Schon jetzt fehle es an Personal für Bus und Bahn.
An mahnenden Worten fehlt es nicht. Für den im Ampelkoalitionsvertrag vereinbarten ÖPNV-Ausbau brauche es zwangsläufig mehr Fahrer, sagt Christiane Leonard, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmen (bdo). Eine Umfrage des Verbandes habe aber ergeben, dass 85 Prozent der Unternehmen Personalengpässe hätten. Fast alle erwarteten auch, dass sich die Lage verschärft. Und Volker Wente, Landesgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), hat erst Anfang der Woche behauptet. „Es gibt zurzeit kaum ein kommunales Verkehrsunternehmen, dem nicht Bus- oder Straßenbahnfahrer fehlen.“
„Bis jetzt gibt es keine Probleme, unser Angebot zu bedienen“
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Zumindest das können ÖPNV-Anbieter in den großen Revierstädten nicht bestätigen. „Bis jetzt gibt es keine Probleme, unser derzeitiges Angebot zu bedienen“, sagt DSW21-Sprecher Frank Fligge. Eine Aussage, die so ähnlich auch bei der Bogestra in Bochum, der Ruhrbahn in Essen und der Duisburger Verkehrsgesellschaft AG (DVG) zu hören ist. Von einem Fahrermangel könne keine Rede sein, stellt Ruhr Bahn-Sprecherin Simone Klose klar.
Aber in Zukunft? Für den gesamten öffentlichen Nahverkehr im Land braucht es nach Schätzungen des VDV bis zum Jahr 2030 rund 20.000 Fahrer und Fahrerinnen, um die zu ersetzen, die ausscheiden. „Die Belegschaften in den ÖPNV-Unternehmen sind vergleichsweise alt, weil viele ihr ganzes Berufsleben einem Arbeitgeber treu waren“, sagt Wente. „Nun gehen viele in den Ruhestand.“
„Die Zeiten, in denen Bewerber in Scharen kommen, sind vorbei“
Bei der Ruhrbahn in Essen etwa scheiden in diesem Jahr 20 Beschäftigte altersbedingt aus. Neu besetzt werden müssen allerdings – etwa durch Versetzungen oder Kündigungen – in den kommenden zwölf Monaten 110 Stellen und damit noch einmal zehn mehr als 2021. „Aber bisher“, sagt Klose, „ist uns das immer gelungen.“
Leichter allerdings wird die Personalakquise nicht. „Die Zeiten in denen Bewerber in Scharen kommen, sind einfach vorbei“, sagt Wente. Dabei wird Fahrpersonal gerade in den kommenden Jahren so dringend benötigt wie nie. Denn zu den Arbeitsplätzen, die wiederbesetzt werden müssen, kommen in diesem Jahrzehnt geschätzt rund 25.000 neue Stellen, um die von der Politik gewünschte Mobilitätswende umzusetzen.
Städte starten Werbekampagnen
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Schnellbusse, kürzere Taktungen, neue Strecken, „wenn wir immer mehr ÖPNV anbieten sollen, was wir natürlich gerne möchten, dann könnte es in der Tat irgendwann schwierig werden, genügend Personal zu bekommen“, sagt DSW21-Sprecher Fligge. „Wenn Busflotten wachsen und Verbindungen ausgebaut werden sollen, brauchen sie natürlich mehr Fahrer“, stimmt Wente zu.
Es gelte nun, so der Verbandsvertreter, für die Berufe im ÖPNV gemeinsam zu werben. Jede Stadt für sich macht das im Revier schon längst. DSW21 hat 2020 durch eine große Kampagne 80 neue Leute geworden, bei der Bogestra waren es nach Angaben von Sprecherin Sandra Bruns 120. Und in Essen lief eine Kampagne mit speziellen „Kontaktanzeigen“: „Sie, 30 Tonnen schwer, 28 Meter lang, robust gebaut, sucht Dich für eine langfristige Partnerschaft. Bitte nur ernst gemeinte Zuschriften.“ Zudem warben Mitarbeiter in einem Imagefilm um neue Kollegen, die schon einen Busführerschein besitzen: „Hast Du Klasse D?“ Rund 200 Bewerbungen seien bislang eingegangen, sagt Klose.
Bahn hat gute Erfahrungen mit gemeinsamer Bewerberplattform gemacht
Gute Erfahrungen mit verstärkten und unternehmensübergreifenden Anstrengungen hat zuletzt die Bahnbranche gemacht. Mit dem Start einer gemeinsamen Bewerberplattform im Sommer erreiche man monatlich rund 400 Interessenten für den Beruf des Triebfahrzeugführers und habe 2021 alle Ausbildungsstellen qualifiziert besetzen können, sagte Barbara Tünnemann, Sprecherin des zuständigen Programmbüros „Fokus Bahn“.
Argumente für einen Job im ÖPNV gibt es nach Einschätzung von Branchenkennern reichlich. „Bezahlung nach Tarif, keine langen Abwesenheiten von zu Haus, hohe Jobsicherheit“, zählt Fligge die wichtigsten auf. Und Wente gibt noch zu bedenken: „Als Busfahrer hat man den ganzen Tag keinen Chef vor der Nase.“ Simone Klose kennt noch einen anderen Beweggrund, sich hinter das Steuer eines Busses zu setzen. „Ich treffe immer wieder auf Menschen“, sagt die Ruhr Bahn-Sprecherin, „die es einfach lieben, ein so großes Fahrzeug durch die Stadt zu bewegen.“