Ruhrgebiet. Plötzlich steht NRWs größte Stadt ohne S-Bahn da. Krankheitsfälle verursachen Chaos um Köln. Selbst der VRR kritisiert die Deutsche Bahn scharf.

„Nicht mehr akzeptabel“ – dieses Prädikat verleiht der Fahrgastverband Pro Bahn der DB Regio für ihre Leistung in den vergangenen Tagen. „Ansteigende Totalausfälle von Zuglinien“ beschreibt tatsächlich nur unzureichend, welches Chaos derzeit rund um Köln herrscht. Faktisch ist das gesamte S-Bahn-Netz rund um die größte Stadt Nordrhein-Westfalens am Donnerstagnachmittag zusammengebrochen, bis mindestens Montag fährt keine Schnellbahn mehr.

„Regional erhöhte Krankenstände“ gibt die Bahn als Grund an. Vor allem die Leitstelle hat es erwischt: Die Ausfallquote liege bei 35 Prozent, so Sprecher Dirk Pohlmann. „Der Krankenstand bei den Lokführern bewegt sich auch im zweistelligen Bereich. Aber das hochausgebildete Personal in der Leitstelle“ könne man nicht ersetzen. „Darum ist die kurzfristige Auswirkung so groß.“ Ist Corona schuld? Das weiß der Arbeitgeber nicht offiziell, sagt Pohlmann. Aber es ist natürlich höchst wahrscheinlich – alle Unternehmen spüren die Sommerwelle.

Das Gesamtbild ist noch dramatischer

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Im Detail: Die S6 im Raum Köln fährt wegen Bauarbeiten bis zum Ferienende nicht. Am Dienstag gab die Bahn bekannt, dass der RE 49 (Wuppertal – Essen – Wesel) und die RB 32 (Dortmund – Gelsenkirchen – Oberhausen) bis zum 7. August ausfallen. An Wochenenden ist auch die RB32 zwischen Dortmund und Duisburg eingestellt. Am Mittwoch wurden die S-Bahn-Linien 9 (Hagen – Wuppertal – Haltern), 11 (Bergisch Gladbach – Köln – Düsseldorf Flughafen) und 12 (Au – Köln – Horrem) ab dem frühen Nachmittag eingestellt, wodurch keine Züge mehr zwischen Wuppertal und Essen verkehrten. Am Donnerstag fuhren die drei Linien wieder, am frühen Nachmittag dann wurden sie erneut gestrichen, diesmal bis Montag. Es gesellten sich noch die S 8 (Hagen – Wuppertal – Düsseldorf – Mönchengladbach) und die S 19 (Au – Köln – Düren) hinzu. Und das sind nur die Totalausfälle – von den vielen gestrichenen Zügen ganz zu schweigen.

Pro Bahn urteilt: „Außer bei den wetterbedingten Streckensperrungen in den letzten Jahren wurden niemals so katastrophal schlechte Leistungen im Schienennahverkehr geboten“. Die Fahrgastvereinigung kann „zwar die Knappheit beim Fahrpersonal nachvollziehen, die auch bei allen anderen Verkehrsunternehmen zu spüren ist. Im Gegensatz zu diesen legt aber DB Regio immer wieder ganze Strecken still, anstatt zumindest eine Notbedienung der Strecken im Stundentakt anzubieten, wie zum Beispiel beim Höhepunkt der Corona-Pandemie.“

Kann man den Betrieb erzwingen?

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Von Thomas Mader und die Stadtredaktionen

Beauftragt und kontrolliert wird die Leistung der DB Regio im Schienennahverkehr von drei Verkehrsverbünden, darunter der VRR. Notfalls sollten diese „Aufgabenträger“ die Bahn „mit juristischen Mitteln zu einer Mindestbedienung“ zwingen, forderte Pro Bahn am Freitag. Außerdem sollten bei der anstehenden Neuvergabe der Strecken „die Erfahrungen mit dem Betreiber DB Regio berücksichtigt werden“. Mit solcher Schärfe hat sich die Fahrgastlobby selten geäußert.

Ein ebenso scharfer und ungewöhnlicher Rüffel des VRR folgte am Freitagnachmittag auf dem Fuße: Der „VRR kritisiert die inakzeptable Entwicklung und hätte sich eine frühzeitigere Information auch der Fahrgäste gewünscht.“ Als Aufgabenträger sei man „besorgt“ über die „einseitige öffentliche Ankündigung“ der DB Regio, die Leistungen komplett einzustellen. Man erhoffe sich, „dass die DB Regio hierzu vorab den Dialog mit uns sucht und nicht im Alleingang entscheidet und kommuniziert. Unsere Erwartungen sind im Minimum ein Grundangebot für die Fahrgäste anzubieten und Komplett-Ausfälle zu verhindern bzw. zu kompensieren.“ Der VRR kündigt an, mit der DB Regio „direkt den von uns geforderten Dialog mit dem Unternehmen suchen, um akzeptable Perspektiven zu finden“. Frei übersetzt: Man will ein ernstes Wörtchen reden.

Der Ersatzverkehr ist bestenfalls lückenhaft

Der VRR ebenso wie Pro Bahn fordern einen vernünftigen Ersatzverkehr. Kleinbusse zwischen Neuss und Mönchengladbach (für die S 8) sind angekündigt, und nach Bergisch Gladbach hat man noch Großraumtaxis auftreiben können – dann wird es still. Aber wie soll das so auch so kurzfristig und flächig funktionieren? Das Eingeständnis im Originalwortlaut: „Die DB arbeitet an der Einrichtung eines Busersatzverkehrs für wichtige Abschnitte der betroffenen S-Bahn-Linien.“

In dieser Situation mag es zumindest für Kölner wie Hohn klingen, wenn die DB Regio fast stolz erklärt: „Durch den Ausfall der S-Bahn-Linien sichert die DB ein zuverlässiges und planbares Angebot auf den übrigen Linien. Trotz der Fahrplanänderungen führt die DB im Regionalverkehr in NRW weiterhin über 80 Prozent der Fahrten wie geplant durch.“ Die Leitstelle mag über Köln hinaus zuständig sein, doch in Köln gibt es eben keine anderen S-Bahn-Linien.

Ausfälle auch im Nahverkehr

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Hinzu kommt: Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) haben natürlich ebenfalls ein Corona-Problem und mussten vier Buslinien „aufgrund von Personalausfällen“ streichen. Der Kölner Stadt-Anzeiger beschrieb schon am Freitag „Chaos an Bahnsteigen“, volle Züge, weitere Ausfälle bei Regionalbahnen und genervte Fahrgäste. Dagegen heißt es bei der KVB auf Anfrage: Ein erhöhtes Fahrgastaufkommen sei nicht zu verzeichnen, so Sprecher Matthias Pesch am Freitagmittag. Die Schnittmenge zwischen diesen gegensätzlichen Wahrnehmungen dürfte sein: Viele Pendler haben sich offenbar andere Wege erschlossen.

Wohl nicht nur Pro Bahn sorgt sich, dass dies so bleiben könnte: „Neukunden, die durch das 9-Euro-Ticket angelockt wurden, werden so nachhaltig abgeschreckt, auch langjährige Bestandskunden der Bahn werden vertrieben. Wenn der Fahrgast beim Start morgens nicht mehr absehen kann, ob und auf welchem Wege er abends wieder nach Hause kommt, wird er sich definitiv gegen die Nutzung des Zugs entscheiden.“ Der VRR drückt es nur diplomatischer aus: Man möchte den „berechtigten Interessen der Fahrgäste – insbesondere durch das aktuelle Angebot des 9-Euro-Tickets - entsprechen und unserer Aufgabe der Daseinsvorsorge nachkommen.“