Ruhrgebiet.. Auch beim dritten „Day of Song“ stimmten 200.000 in das Konzert einer ganzen Region ein. Texte von Schlagern und Volksliedern standen zwar im Liederbuch, die Sänger zwischen Hamm und Hamminkeln haben das Meiste aber „im Kopf und im Herzen“.

Natürlich folgten dem großen Konzert wieder große Worte über den Sinn des Singens – aus wirklich tiefstem Herzen aber kam diese Erkenntnis: „Der liebe Gott ist ein Sänger!“ Wenigstens muss eine Art höherer Taktgeber dabei gewesen sein beim dritten „Day of Song“, irgendwo unter den 200 000 bei über 900 Auftritten in über 50 Städten. Wie sonst wäre zu erklären, dass der Nebel sich lichtet um fünf vor Zwölf, und zu dieser symbolisch-bedrohlichen Zeit diesmal die Sonne aufgeht?

Man möchte ja singen vor Begeisterung, wie passend, dass das gerade geplant ist: Überall zwischen Hamm, Hagen und Hamminkeln stellen die Menschen die Einkaufstaschen ab, legen den Finger ins Liedheft, Dirigenten zählen Countdown statt „drei, vier“, Steigerlied! Das kennt das Ruhrgebiet und kann es, ob der Steiger nun gemächlich oder mit „Umtata“ voranstrebt, besonders gut aber die vierte Strophe, die von Arschledern handelt und Schnaps. „Saufen wir?“, fragt ein Mann. „Natürlich nicht!“, und man möchte das hoffen für all’ die Kinderchöre, die, so hört man, dieses Stück besonders lieben.

Für das schon traditionelle gemeinsame Singen auf Markt-, und Kirchplätzen, in Gebläse- und Maschinenhallen hat Projektleiterin Benedikte Baumann sich diesmal auch ein türkisches Lied „schenken lassen“. „Üsküdara“ heißt es, kein Zufall, dass im Liederbuch weiter hinten ein anderes Volkslied steht: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.“ Aber Bochum hat Murat auf der Bühne, und bevor der spontane Chor davor die osmanische Kultur mögen lernt, verliebt es sich in den Jungen. „Kâtib benim ...“ liest er vor, und schon singen die Leute, dass die Moderatorin entzückt ist: „Typisch Ruhrgebiet – scheißegal, ich mach’ einfach.“

Akustik verschluckt „Adiemus“

So ist es schon am Vorabend gewesen, als ein Flashmob das Centro einstimmen soll, dessen Akustik sich aber daran verschluckt: Wer rechnet schon bei amerikanischen Klopsen und asiatischen Nudeln mit „Adiemus“? So ist es am Morgen in den bloß vorgetäuschten Tiefen des Bergbaumuseums, wo ein Sauerländer Chor am dritten Streb „Glückauf“ singen soll, aber schon bei den Presslufthammern in Stimmung kommt: „Tage wie diese!“ Und so ist es den ganzen Samstag, in Kindergärten, Altenheimen, U-Bahnen, bei Karawanen- und Kaffeemusik.

„Einfach wunderbar, wie die Musik die Menschen verbindet!“, jubiliert in Witten Hildegard Paltian, die ganze Region kann ein Lied davon singen. Bochum-Grumme, wo sie beim Stadtteilfest mit vollem Kuchen-Mund zur Blech-Band trällern. Mülheim, wo Heinz-Josef Ostwalt in die Zukunft musiziert: „Wer singt, lebt länger.“ Sogar Düsseldorfer sollen im Revier-Chor ihre Stimme erhoben haben, eingemeindet werden sie deshalb nicht.

Erstaunlich dabei, was das Ruhrgebiet auswendig kann, „Schwarzes Gold“ und „Griechischer Wein“, „Über den Wolken“, „Über sieben Brücken“ und überhaupt. „Natürlich fehlt mir ein bisschen die Übung“, sagt Lothar Sauer in Herne, „aber es beschwingt doch ungemein.“ Was zu sehen ist an den Rentnern im Leoparden-Look, die „Bochum“ mit der Faust in der Luft intonieren. „Das haben wir im Kopf und im Herzen.“

Als der „Tag, so wunderschön wie heute“, den sie so oft beschworen haben, er „möge nie vergehen“, sich doch neigt, gibt es noch Geistliches im Gasometer. Zwei Chöre bringen das Fass zum Klingen, einen „Hauch von Ewigkeit“, hört jemand heraus. Ob der auch den Day of Song streift, das Revier also 2016 wieder singt, ist indes offen: Man müsse „den Erfolg prüfen“ hieß es am Rande des Gesangs. Nur, was will man da noch prüfen?

Weltrekord in Dinslaken, Konzert auf Schalke 2015

Wenn genug Sänger Lust haben, wird es schon 2015 den nächsten „Day of Song“ geben: Am 23. Mai soll auf Schalke das große Konzert der Kulturhauptstadt 2010 mit 60.000 Sängern eine Neuauflage erleben.

Nur, wenn sich bis 10. Oktober 20.000 Teilnehmer verbindlich angemeldet haben (ab 27 Euro), wird tatsächlich geplant. Alle Infos und die Anmeldung unter www.dayofsong.de

Dinslaken feierte den Day of Song mit einem Weltrekord: 1867 Sänger sangen eine Stunde lang im größten Shanty-Chor.