Witten/Essen/Düsseldorf. . 24 Stunden, 13.000 Polizisten, 7500 Kontrollpunkte: Um 6 Uhr am Freitagmorgen hat die Polizei den zweiten bundesweiten Blitzmarathon offiziell beendet. Trotz Ankündigung sind erneut Tausende Autofahrer mit zu hohem Tempo erwischt worden. Die Geschichten des Tages - und ein Ortsbesuch mit Minister.

Beim zweiten bundesweiten Blitzmarathon sind erneut tausende Autofahrer zu schnell in die Tempokontrollen gerast. Bei der breiten Masse der Autofahrer zeigten die Ankündigungen der Großaktion aber Wirkung. Sie seien deutlich langsamer als sonst unterwegs gewesen, berichtete stellvertretend die Berliner Polizei am Donnerstag.

An fast 7500 Stellen im gesamten Bundesgebiet wurde 24 Stunden lang geblitzt und gelasert. Mehr als 13.000 Polizisten waren im Einsatz. In Nordrhein-Westfalen durften dieses Mal Kinder die Messstellen vorschlagen. Fast 18.000 Kinder und Jugendliche hätten sich beteiligt und mehr als 3000 Stellen angeregt. Sie verteilten selbst gebastelte "Denkzettel" an die Autofahrer.

Die schlimmsten Raser und kuriosen Geschichten des Tages im Überblick:

  • Spitzenreiter war laut Zwischenbilanz ein Fahrer im baden-württembergischen Reutlingen, der mit Tempo 238 statt der erlaubten 100 Stundenkilometer unterwegs war.
  • In Brandenburg wurde auf der A2 zwischen Netzen und Lehnin ein Autofahrer mit 219 statt der erlaubten 120 Stundenkilometer gemessen.
  • An einer Schule in Düsseldorf ertappte ein Junge seine eigene Mutter, die zu schnell im verkehrsberuhigten Bereich unterwegs war. Auch eine Lehrerin durfte sich von ihren Schülern wegen zu schnellen Fahrens Einiges anhören.
  • In Münster berichtete ein Vater gegenüber den Beamten, dass er seinem Sohn am Morgen noch einen Warnzettel auf den Tisch gelegt habe: "Halte Dich an die Geschwindigkeit, es ist Blitz-Marathon!" Der Vater war dann mit 130 statt erlaubten 100 Stundenkilometern erwischt worden.
  • In Essen geriet am Morgen eine Autofahrerin prompt in Anwesenheit des Ministers mit Tempo 59 statt 30 in die Tempofalle. Weil Kinder das Messgerät bedienten, kam sie um 120 Euro Bußgeld herum, aber nicht um eine eindringliche Ermahnung.
  • Bei Twitter rangierte das Stichwort #Blitzmarathon am Donnerstag schnell auf Platz eins der Topthemen: "Extra noch schnell beim Friseur gewesen, falls es blitzt", hieß es etwa. Oder: "Kinder belohnen langsame Autofahrer mit Süßigkeiten. Ich dachte, die sind um diese Zeit in der Schule."
  • Die Ermahnung durch die Polizei wollte sich ein 46-jähriger Raser bei Essen ersparen, indem er auf der A52 Gas gab, anstatt anzuhalten. Er fuhr der Polizei über den Standstreifen davon, bis er in eine Leitplanke krachte. Er blieb unverletzt.
Ortstermin mit Minister - beim Blitzmarathon geht's um die Kinder 

Er will sich nicht rausreden, sagt er und tut’s dann doch. Ein schwarzer Mercedes mit 46 km/h, wo 30 erlaubt sind. Der Fahrer ist auf dem Weg von Sprockhövel nach Hattingen, nun erklärt der Mann den Polizisten, warum er ein bisschen feste aufs Pedal gedrückt hat: „Mit einem Anhänger bergrunter, da ist es schwer, genau 30 zu fahren.“ Na ja.

Witten-Buchholz ist ein Dorf; so sagen es die Menschen hier: Die meisten Kinder aus der Umgebung besuchen die Buchholzer Grundschule, die natürlich an der Buchholzer Straße liegt, und wohnen in der Nähe in einem Neubaugebiet mit hübschen Gärten. Ihr Schulweg führt sie über einen Pfad vorbei an Kirche, Friedhof und kleinem Waldstück bis zur Straße – und dort lauert die Gefahr.

Die GdP kann dem Blitzmarathon nichts abgewinnen

Trotz 30er-Zone, trotz Ampel: „Ein bestimmter Nachbar fährt immer den Berg runter wie ein Wilder, auch über Rot“, empört sich Fabienne (8) aus Klasse drei. „Einmal stand ich schon mit einem Fuß auf der Straße, als plötzlich ein rotes Auto vorbeigerast kam. Obwohl ich Grün hatte!“, schimpft Diana (9) aus Klasse vier. Um solche Geschichten mit Wut-Potenzial ging es NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) beim Blitzmarathon am Donnerstag: Kinder sagten an, wo gemessen werden sollte. Doch sogar die Gewerkschaft der Polizei kritisiert die „PR-Aktion ohne nachhaltigen Effekt für die Verkehrssicherheit“.

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Am frühen Donnerstagmorgen steht Jäger vor einer Realschule in Essen-Kray, er hat die Medien eingeladen und sagt nun schöne Sätze wie: „Wir wollen nicht das Portemonnaie der Leute erreichen, sondern die Köpfe.“ Oder: „Viele Kinder fürchten sich auf dem Weg zur Schule vor Rasern.“ Der Erfolg der Aktion ist unter Experten zwar umstritten, sicher ist aber: Jäger hat mit dem Blitzmarathon seine Bekanntheit vervielfacht, in der ganzen Republik und darüber hinaus machte die Polizei nach Düsseldorfer Vorbild Jagd auf Raser.

Die Erkenntnisse sind wenig spektakulär

Zurück nach Witten, Auftritt Rolf Greulich. Der Verkehrspolizist ist ein freundlicher Herr kurz vor der Pensionierung. Aber bis es soweit ist, will Greulich so viele Kinder wie möglich vor Rasern schützen. Das ist sein Ehrgeiz. Also wendet er sich dem Mercedes-Fahrer zu, er will ihm jetzt mal was erzählen. „Sie sind 16 km/h zu schnell gefahren“, sagt er. „Wäre ein paar Meter vor Ihnen ein Kind auf die Straße gesprungen, wäre Ihr Reaktionsweg so lang, dass Sie es ungebremst überfahren hätten.“

Kollegen vom Bochumer Präsidium nennen den 61-Jährigen „unseren Verkehrspapst“, Greulich ist glühender Verfechter des Blitzmarathons. „An so einem Tag können wir ausführliche Gespräche mit den Autofahrern führen. Durch den Flächendruck ist die Zahl der Verkehrsverstöße in den letzten Jahren zurückgegangen.“ Statistisch belegt sei das jedoch nicht. Die Zahlen zeigen nur: Normalerweise sind sechs bis acht Prozent aller Autofahrer zu schnell unterwegs – wenn wieder ein Blitzmarathon angekündigt wurde, sind’s zwei bis fünf Prozent.

Blitzmarathon in Duisburg

Blitzmarathon der Polizei Duisburg am Donnerstag den 18.09.2014 mit Kindern der Mozartschule an der Lotharstraße in Neudorf. Rosa, Leni, Sinem und Mia kontrollieren mit den Polizeioberkommissarinnen Sabine Gehrke und Kerstin Kühnau (v.l.) die Autofahrer vor der Mozarschule in Duisburg-Neudorf.
Blitzmarathon der Polizei Duisburg am Donnerstag den 18.09.2014 mit Kindern der Mozartschule an der Lotharstraße in Neudorf. Rosa, Leni, Sinem und Mia kontrollieren mit den Polizeioberkommissarinnen Sabine Gehrke und Kerstin Kühnau (v.l.) die Autofahrer vor der Mozarschule in Duisburg-Neudorf. © Lars Fröhlich/WAZ FotoPool
Schülerin Sinem mit den Smileys - Grün für die Fahrer, die sich an die Geschwindigkeit halten - Rot für diejenigen, die zu schnell fahren.
Schülerin Sinem mit den Smileys - Grün für die Fahrer, die sich an die Geschwindigkeit halten - Rot für diejenigen, die zu schnell fahren. © Lars Fröhlich/WAZ FotoPool
Schülerin Rosa übergibt diesem Fahrer einen roten Smiley, weil er zu schnell unterwegs war. Polizeioberkommissar Jörg Woytena schaut zu.
Schülerin Rosa übergibt diesem Fahrer einen roten Smiley, weil er zu schnell unterwegs war. Polizeioberkommissar Jörg Woytena schaut zu. © Lars Fröhlich/WAZ FotoPool
Polizeioberkommissarin Sabine Gehrke mit Schülerin Sinem am Messgerät.
Polizeioberkommissarin Sabine Gehrke mit Schülerin Sinem am Messgerät. © Lars Fröhlich/WAZ FotoPool
Polizeioberkommissarin Sabine Gehrke mit Schülerin Sinem am Messgerät.
Polizeioberkommissarin Sabine Gehrke mit Schülerin Sinem am Messgerät. © Lars Fröhlich/WAZ FotoPool
Schülerin Mia übergibt Hans Eschholz einen grünen Smiley, weil er sich genau an die Geschwindigkeit gehalten hat und wünscht weiter gute Fahrt. Mit dabei die Polizeioberkommissare Kerstin Kühnau und Jörg Woytena.
Schülerin Mia übergibt Hans Eschholz einen grünen Smiley, weil er sich genau an die Geschwindigkeit gehalten hat und wünscht weiter gute Fahrt. Mit dabei die Polizeioberkommissare Kerstin Kühnau und Jörg Woytena. © Lars Fröhlich/WAZ FotoPool
Rosa, Leni, Sinem und Mia mit den Polizeioberkommissarinnen Sabine Gehrke und Kerstin Kühnau (v.l.).
Rosa, Leni, Sinem und Mia mit den Polizeioberkommissarinnen Sabine Gehrke und Kerstin Kühnau (v.l.). © Lars Fröhlich/WAZ FotoPool
Polizeioberkommissar Jörg Woytema erklärt die Funktionsweise des Messgerätes.
Polizeioberkommissar Jörg Woytema erklärt die Funktionsweise des Messgerätes. © Lars Fröhlich/WAZ FotoPool
Die Schülerinnen Mia, Rosa und Leni (v.l.) mit ihren Polizeiwarnwesten und Kelle.
Die Schülerinnen Mia, Rosa und Leni (v.l.) mit ihren Polizeiwarnwesten und Kelle. © Lars Fröhlich/WAZ FotoPool
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Wird geblitzt, drückt der Durchschnitts-Fahrer also auf die Bremse. Keine spektakuläre Erkenntnis, findet Bärbel Bergs. Die Lehrerin unterrichtet seit 40 Jahren an der Buchholzer Grundschule. „Drei-, viermal im Jahr misst die Polizei hier die Geschwindigkeit, aber das bringt wenig. Die Leute fahren langsamer, wenn sie den Radar sehen, und einen Tag später ist es wie immer.“ Dabei könne man den Schulweg der Kinder ohne viel Aufwand sicherer machen: „Einfach einen Blumenkübel auf die Straße stellen. Man muss die Leute eben zwingen, abzubremsen.“

Gewerkschaft der Polizei kritisiert Blitzmarathon als "PR-Aktion" 

Kritik am Blitzmarathon kam von der Gewerkschaft der Polizei (GdP): Deren Bundesvorsitzender Oliver Malchow sprach von "einer PR-Aktion ohne nachhaltigen Effekt auf die Verkehrssicherheit". Der "Passauer Neuen Presse" sagte Malchow: "Es reicht eben nicht, Blitzer aufzustellen."

Rainer Wendt, Vorsitzender der Konkurrenz-Gewerkschaft "Deutsche Polizeigewerkschaft" (DPolG), verteidigte den Blitzmarathon dagegen: "Die Wahrheit ist: Wenn die Polizei nicht blitzt, sterben mehr Menschen!"

Kontrollen nicht an Unfallschwerpunkten - sondern da, wo es sich lohnt?

Auch Siegfried Brockmann, führender Unfallforscher vom Gesamtverband der Versicherer, zeigte sich skeptisch: Verkehrssünder mit dauerhaftem Bleifuß erreiche man nur über dauerhaften Kontrolldruck. Er kritisierte aber, dass Tempokontrollen als "Abzocke" bezeichnet würden. "Dieses Wort ist so unsäglich, weil es die Polizei als die Schurken darstellt und Temposündern eine Legitimation bis weit in Kreise hinein verschafft, die eigentlich ganz gesetzeskonform fahren."

Der Verband Mobil in Deutschland hatte auf Untersuchungen verwiesen, wonach die üblichen Radarkontrollen eben nicht an Gefahrenpunkten stattfinden, sondern dort, wo viel Geld zusammenkommt. Beim ersten bundesweiten Blitz-Marathon im Oktober 2013 wurden drei Millionen Autofahrer kontrolliert und 83 000 als zu schnell erwischt. (mit Material von dpa)