Duisburg/Bochum.. Viele Besucher der Duisburger Loveparade sind noch immer traumatisiert - auch vier Jahre nach der Katastrophe. Die Bochumer Rechtsanwältin Bärbel Schönhof fordert jetzt Schmerzensgeld für mehr als 30 Mandanten. Viele davon können nicht mal den Alltag meistern.
Die Aktendeckel sind grün, und es sind viele. Hängen in Schränken, stapeln sich in Regalen, verteilen sich auf mehrere Räume der Bochumer Anwaltskanzlei. Das allein aber zeigt: Vier Jahre nach der Duisburger Loveparade ist für viele Opfer noch gar nichts im grünen Bereich. Weshalb die Rechtsanwältin Bärbel Schönhof just jetzt, wo sich die Katastrophe jährt, Klage erhebt. Ein Signal soll das sein: „Jetzt reicht es!“
Vier Jahre. Fast eineinhalbtausend Tage, nachdem das Techno-Fest in Duisburg auf schreckliche Weise aus dem Ruder lief, seit 21 junge Leute ihr Leben verloren und mehr als 650 ihre Gesundheit. Bärbel Schönhof sagt: „Man hat das bewusst in Kauf genommen.“ Und sie sagt auch, die Betroffenen bräuchten „endlich eine Perspektive. Das ist das Wichtigste“.
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Über 30 Mandanten betreut die 47-Jährige, darunter „absolut keiner, bei dem alles noch so ist, wie es mal war“. 20- bis 40-Jährige sind das, die so schwer traumatisiert seien, dass sie nur noch reduziert arbeiten können oder gar nicht mehr. Die ihre eigene Firma aufgeben mussten; „viele, viele bekommen nur noch Hartz IV“. Bärbel Schönhof erzählt von Zusammenbrüchen in ihrer Kanzlei, von Opfern, die bis heute hilflos seien, die nicht einmal gewusst hätten, dass ihnen Hilfe zusteht: „Die kriegen ihren Alltag nicht hintereinander, wie sollen sie Anträge schreiben?“
Rechtsanwältin verklagt Stadt, Land und Veranstalter
Das macht nun die Anwältin für sie. Schönhof hat Erfahrung mit „Menschen, die nicht ganz gesund sind“, sie ist auf Medizinrecht spezialisiert, arbeitet viel mit Soldaten, die in Afghanistan waren. Und sie will nicht warten, bis die im Frühjahr eingereichte Anklage gegen zehn Verantwortliche der Loveparade zum Prozess und irgendwann vielleicht zu einem Urteil führt. Schönhof will Schmerzensgeld und Schadenersatz für ihre Mandanten: von der Stadt Duisburg, vom Veranstalter Lopavent, von dessen Chef Rainer Schaller, erstmals auch vom Land NRW als Dienstherr der Polizei.
Schaller wird zwar nicht auf der Anklagebank sitzen, der ehemalige Oberbürgermeister auch nicht und kein Polizist. Aber zivilrechtlich, erklärt Schönhof, könne sie Organisationen verklagen – „und die Organisation war miserabel“. Das hat sie aus den 40.000 Seiten Akten gelesen, hält es für unstrittig: „Der Tunnel war für die Massen an Menschen zu eng.“ Strafrechtlich könne man Einzelnen eine Schuld daran nur schwer nachweisen, „zivilrechtlich aber wird ihnen das zum Verhängnis“.
Verdienstausfälle, Geld für Therapien, Fahrtkosten
50.000 Euro verlangt die Juristin wenigstens, 300.000 Euro ist der höchste Betrag in einer ihrer Klageschriften, die dem Landgericht Duisburg derzeit zugehen. Verdienstausfälle will sie erstreiten, Geld für Therapien, Fahrtkosten. Das Trauma nämlich bedeute für viele, dass sie sich Menschenmengen nicht mehr aussetzen könnten, also auch nicht in einen Bus einsteigen: „Bus und Bahn im Ruhrgebiet sind nun mal immer voll.“ Dass sie nicht mehr einkaufen könnten wegen der Schlange an der Kasse oder der Enge in einer Kabine.
„Sie können nicht schlafen und wenn, haben sie Alpträume.“ Sie litten an Konzentrationsschwäche und so genannten „Flashbacks“: Gerüche, Bilder, Musik, die an die Loveparade erinnern, stürzen die Betroffenen in der Zeit zurück, sie versteinern, spalten sich von der Wirklichkeit ab, drehen durch. „Eine absolute Katastrophe“, sagt Schönhof – die die meisten arbeitsunfähig mache.
Versicherung wehrt sich
Und ebenso unfähig, sich selbst auseinanderzusetzen mit Krankenkassen, Jobcenter, Versicherungen. Die zahlten oft „nur, was man mit vorgehaltener Pistole fordert“, formuliert Bärbel Schönhof, die Opfer würden durch das lange Warten „zermürbt“. Wogegen sich die Versicherung des Veranstalters verwahrte, bevor noch die erste Klage die Kanzlei verließ. In Absprache mit Duisburg entschädigt sie nämlich bereits seit 2011 Opfer und Hinterbliebene.
Man habe 82 Prozent der gemeldeten 585 Schadensfälle „längst abgeschlossen“, heißt es. Die Vorwürfe der Anwältin seien „klischeehaft“, ihre Zahlungsforderungen sehr hoch. Zudem habe sie unzureichende oder gar keine Arztberichte vorgelegt, „die Schäden ihrer Mandanten“ also nicht nachgewiesen.
Bärbel Schönhof aber glaubt an die Beweise in ihren grünen Akten. Sie wird vor Gericht kämpfen. Weil sie die Katastrophe für eine „mit Ansage“ hält – und die angebotenen Entschädigungen für „nicht angemessen für jemanden, der sein Leben nicht mehr auf die Reihe kriegt“.