Holzweiler. . Das Dorf Holzweiler am Niederrhein muss dem Braunkohletagebau nun doch nicht weichen. Denn die Landesregierung hat sich überraschend auf die Verkleinerung des Braunkohle-Abbaugebiets Garzweiler II geeinigt. Doch richtig glücklich macht das die meisten Bewohner nicht. Ein Besuch vor Ort.

Bin ich hier richtig? – Wer die Landstraße 19 Richtung Erkelenz am Niederrhein fährt, sieht von belebter Straße nicht mehr viel. Nur ein paar Häuschen, Windräder und Land – viel Land. Doch nach minutenlanger Fahrt ist statt grüner Flächen nur noch eins zu sehen: ein riesiger „Sandkasten“. Einer, der die Größe von etwa 6500 Fußballfeldern hat und 210 Meter tief gelegen ist.

Doch mit Spielen hat das nichts zu tun: Der Braunkohletagebau Garzweiler II ist hier seit 2006 zu Gange, ganze Dörfer müssen ihm in den nächsten Jahrzehnten noch weichen. Nur Holzweiler nicht. Denn die rot-grüne Landesregierung hat sich überraschend auf die Verkleinerung des Braunkohle-Abbaugebiets Garzweiler II geeinigt. Das Dorf Holzweiler auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz muss also nicht umgesiedelt werden.

Nach der Freude kommt das Grübeln

Doch was muss das für ein Gefühl sein: Jahrzehntelang stellen sich die Bürger darauf ein, dass ihr Heimatdorf in naher Zukunft wortwörtlich dem Erdboden gleichgemacht wird. Und nun, nun bleibt es ganz plötzlich doch bestehen. „Ich muss das erst mal verarbeiten. . . im positiven Sinne!“, sagt Dirk Heupts, Geschäftsführer der Dorfgemeinschaft Holzweiler, kurz nach der Nachricht. „Als gebürtiger Holzweiler hatte ich Tränen in den Augen.“

Die Jugendlichen hätten sofort getwittert und auf Facebook gepostet, „wir sind hier alle untereinander Facebook-Freunde“, sagt Jürgen Lynen, Kassenwart der Dorfgemeinschaft. Im Dorf gibt es schließlich nur 1300 Einwohner. Und die haben sich nach der überraschenden Nachricht natürlich im ersten Moment alle gefreut.

„Alles bleibt hier. Unsere Denkmäler und vor allem die Vereinswelt. An einem neuen Ort wäre es nicht dasselbe gewesen, man hätte das nie wieder so aufbauen können“, sagt Dominik Büschkens von der CDU. Und Vereine gibt es einige: Da wäre der Kanarienzuchtverein „Farbenfroh“, der Taubenzuchtverein, die Schützenbruderschaft, der Turnverein und viele weitere, individuelle Gemeinschaften. Typisch Dörfchen: „Unser Wir-Gefühl wird jetzt noch mal gestärkt“, freut sich Büschkens.

Es muss noch einiges geklärt werden

Endlich wieder „heile Welt“ im Dorf Holzweiler – oder nicht? Wenn nur nicht der bittere Nachgeschmack wäre. „Die Euphorie hat sich schnell wieder gelegt, man musste überlegen, was da überhaupt mit uns passiert ist“, sagt Heupts. Denn die Bürger seien von der Nachricht, ihr Dorf bleibe bestehen, „in einer Nacht-und-Nebelaktion“ komplett überrumpelt worden.

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Dass der Erhalt allein der „energiepolitischen Wirklichkeit geschuldet ist“, wie es die Politik behauptet, und nicht dem jahrelangen Kampf um ihr Dorf, das ist den meisten Bürgern zwar egal. „Hauptsache, wir bleiben. Die Freude überwiegt natürlich erst mal“, finden die Holzweiler.

„Nun geht es aber darum, wie sich alles entwickelt“, sagt der Landtagsabgeordnete Gerd Hachen. Er hat sich nun schon 30 Jahre lang mit dem Tagebau auseinandergesetzt. Er denkt: In trockenen Tüchern sei das Bestehen des Dorfes noch nicht, auch die Bürger wirken noch immer misstrauisch. Man müsse zum Beispiel auch noch einmal über die geplante „Schutzlinie“ von 100 Metern sprechen, findet nicht nur Hachen. Diese ist als Grenze zwischen den kahlen Abbau-Gebieten und dem belebten Dorf gedacht. „Das ist viel zu wenig.“

Großer Teil der Kundschaftist bereits verloren gegangen

Doch nicht nur diese Ungewissheit plagt die Holzweiler. Die wenigen Selbstständigen im Dorf haben nun auch Angst um ihre Existenz. Denn wenn die Nachbardörfer nicht mehr bestehen, geht auch ein großer Teil der Kundschaft verloren: „Die Geschäftswelt hat natürlich an der Situation zu knabbern“, sagt Heupts. Der Umsatz sei in letzter Zeit bereits um etwa 60 Prozent eingebrochen. „Unser einziger Tankwart im Dorf hat es schwer. Es bleiben fast nur Holzweiler, das reicht nicht.“

Lachen oder weinen also? „Die meisten hatten sich ja schon mit der Lage abgefunden. Das wirft sie jetzt total aus dem Konzept“, sagt Kassenwart Jürgen Lynen. „Es ist nicht für jeden so toll.“ Manche hätten auch am Immobilienmarkt spekuliert, behauptet er. Deren Geschäfte würden jetzt platzen. Auch mit Häuserfluchten und Abwanderungen in Großstädte könne man nun rechnen.

„Das Ganze hat echt an meinen Nerven gezehrt. Seit ‘85 denke ich über die unsichere Zukunft nach“, sagt Johannes Oellers (59), Vorsitzender der Dorfgemeinschaft. „Er hat wirklich mein Leben bestimmt. Und ich bin ihn ja auch nicht los, ich habe ihn direkt vor der Nase. Ich hasse den Tagebau!“