Essen. Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger ist ein Mann vom Land. Einer, der früh gelernt hat, Verantwortung zu übernehmen. Einer, der zu seinen Entscheidungen steht. Jetzt steht ihm eine schwierigste Etappe bevor. Nach dem Rauswurf von gleich drei Vorständen muss er ein neues Team aufbauen. Ein Porträt.
Die schwäbische Alb ist ein besonderer Flecken in Baden-Württemberg. Wunderbare Landschaften, hübsch für Besucher, hart für die Bewohner. Das Mittelgebirge ist Bauernland, ein Ort, an dem die Leute wissen, was Arbeit heißt. In Stuttgart sagen sie zuweilen etwas despektierlich schwäbisch Sibirien.
Hier war es noch vor einigen Jahren nicht selbstverständlich, dass die Kinder nach der Grundschule aufs Gymnasium gehen. Auch für Heinrich Hiesinger, den Bauern-Sohn, war es ein Privileg als Ältester von sechs Geschwistern das Gymnasium besuchen zu dürfen, es war Glück, Förderer für seine Talente zu finden. Und die braucht Hiesinger heute als Chef des traditionsreichen Ruhrgebiets-Konzerns Thyssen-Krupp dringender denn je.
Was ist das für ein Mann, auf dem die schwierigste Aufgabe eines Vorstandschefs im Oberhaus der deutschen Wirtschaft lastet? Der eine Krise bei Thyssen-Krupp zu bewältigen hat, die sich in den letzten Wochen zu einer Art Multi-Organversagen hochgeschaukelt hat. Ein Schienenkartell, ein Korruptionsfall, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Luxusreisen und das alles überwölbende Desaster um die Stahlwerke in Brasilien – das alles führte zur Entlassung von drei Vorständen, die ein Befreiungsschlag sein soll.
Angst vor Verantwortung hat Hiesinger nicht
Hiesinger braucht gute Nerven, die hat er. Angst vor der Verantwortung hat er sicher nicht. Ansonsten wäre der 52-Jährige nicht Vorstand im Siemens-Konzern geworden, wo er die Industriesparte leitete, die mit 200 000 Mitarbeitern größer war als Thyssen-Krupp heute mit 180 000 Beschäftigten ist. Der frühere Siemens-Chef Heinrich von Pierer hatte Hiesingers Können entdeckt und gefördert.
Verantwortung war für „Heini“, wie sie ihn in dem 200-Seelen-Dorf Benzenzimmern bei Bopfingen nannten, früh ein Thema auf dem Hof. Klar, als ältester Sohn mit fünf Geschwistern. „Der Vater hat den Ältesten angesprochen, wenn Arbeiten zu erledigen waren“, sagte Hiesinger in einem Interview. Und fügt hinzu, dass er als Chance gesehen habe, „sowohl Erfolge als auch Misserfolge zu erleben. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man im Herbst sät und im Frühjahr Lücken auf dem Feld sieht.“
Ein Anti-Ruhrbaron
Hiesinger ist bodenständig. Keine Spur von Koketterie, wenn er über den Hof, die Geschwister, das Dorf spricht, darüber, wie schön es ist, wenn heute noch ab und an alle am Tisch sitzen und die Mutter den Laib Brot schneidet.
Was das Landleben mit Thyssen-Krupp, dem Ruhrgebiet zu tun hat? Eine ganze Menge. Hiesinger ist so etwas wie der Anti-Ruhrbaron: Der Mann produziert einfach keine Bugwelle vor lauter Wichtigkeit, er braucht auch keine Einstecktuch-Armada, die hinter ihm herläuft. Er tritt ruhig auf, freundlich, aber bestimmt, und fordert ganz gewiss Leistung ein. Ebenso Offenheit, Ehrlichkeit, das Eingestehen von Fehlern, die gemeinsame Arbeit im Team fürs Große und Ganze.
Miteinander neu organisiert
Das war im Vorstand nicht immer gegeben. Olaf Berlien, der Technologie-Chef, und Edwin Eichler, der Stahlchef, beharkten sich dann doch allzu oft im Einsatz für nur ihre Bereiche. Überhaupt haben sich in dem Riesenkonzern doch allzu viele Manager auf vielen Ebenen der Hierarchien selbstständig gemacht.
Hiesinger, der Freund gerader Furchen, stellt Regeln auf, organisiert das Miteinander neu, auch die Verantwortlichkeiten. Das hat sicherlich nicht allen Führungskräften gefallen. Er, so Hiesinger, habe festgestellt, „dass unsere Führungskräfte häufig zu viele Routinearbeiten erledigen und zu wenig denken“. Die Manager müssten zu Führungskräften werden und die „haben ein klares Ziel vor Augen und können dieses ihren Mitarbeitern auch vermitteln“. Man ahnt: Der nette Herr Hiesinger ist auch ein Mann klarer Worte.
Zu Hause im Essener Süden
Aber zurück zum Landleben. Denn dort, in Benzenzimmern, schlummert vielleicht noch eine Eigenschaft des Managers, die erklären kann, warum er wie handelt. Hiesinger ist unabhängig vom Managersein, will sagen: In Benzenzimmern ist er der „Heini“, schon allein deshalb, weil die Leute dort gar nicht wissen müssen, was ein Vorstandschef so macht. Es gäbe sicherlich ein großes Hallo im Dorf, würde er mit Limousine und Fahrer einrollen. Also fährt Hiesinger im Touran auf die Alb, „weil da der Hund reinpasst“.
Die Mutter erfährt dann aber doch hin und wieder einiges vom Sohn, dem Thyssen-Krupp-Chef, selbst wenn sie nicht telefonieren. Ein freundlicher Arzt im Dorf sammelt Zeitungsartikel, die er in Päckchen rüberreicht.
Zu Hause ist Hiesinger heute im Essener Süden, wo ein Haus draußen im Grünen steht und auf die vier Kinder aus zwei Ehen wartet. Der Hund ist wie es sich für einen Bauernsohn gehört ein Hovawart, ein Hofwächterhund. Das Ruhrgebiet, sagt Hiesinger, gefalle ihm sehr, weil die Leute hier offen und direkt sind. Das sagt der Schwabe nicht nur aus Höflichkeit, sondern weil diese Art zu ihm und seinem Führungsstil passt.
Alle Fragen beantwortet
„Er fordert die Diskussion, stellt sich ihr aber auch“, heißt es in seinem Umfeld. Sich stellen, zu seinen Entscheidungen stehen – es sollte selbstverständlich sein gerade in den Chefetagen, ist es aber nicht. Deshalb hat sich Hiesinger doch großen Respekt bei Arbeitnehmervertretern erworben, als er im Februar vor die Nirosta-Belegschaft trat und die Entscheidung zum Verkauf des Edelstahlwerkes an einen finnischen Konzern begründete, die das Aus für den Krefelder Schmelzofen bedeutete.
Trotz Sicherheitsstufe 1 kam er ohne Bodyguards und er blieb so lange, bis alle Fragen beantwortet waren. Stahlwerkern kann man nicht mit Blabla kommen, zum Schluss wurde Hiesinger von den Mitarbeitern mit Applaus bedacht.
Für Heinrich Hiesinger, den Manager, steht nun die schwierigste Etappe bevor. Nach dem harten, in deutschen Konzernen einmaligen Rauswurf von gleich drei Vorständen muss er ein neues Team aufbauen. Das ist eher ein Chance denn ein Risiko. Letzteres liegt in der Vergangenheit, in der immensen Belastung durch die Fehlinvestition in Brasilien.
Am Dienstag ist Bilanzvorlage, der Tag der Wahrheit.