Düsseldorf. Der wegen Luxusreisen auf Konzernkosten unter Druck geratene ThyssenKrupp-Vorstand Jürgen Claassen zieht sich von seinem Posten zurück. Ihm droht das Ende seiner Karriere, nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet hat. Der Fall Claassen kommt für ThyssenKrupp zur Unzeit.

Der hoch verschuldete Stahlkonzern ThyssenKrupp kommt kurz vor der mit Spannung erwarteten Vorlage seiner Geschäftszahlen wegen immer neuer Ungereimtheiten nicht zur Ruhe. Vorstand Jürgen Claassen droht das Ende seiner Karriere beim größten deutschen Stahlkocher, nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen im Zusammenhang mit Berichten über Luxusreisen eingeleitet hatte. Der 54-Jährige bat den Aufsichtsrat, ihn bis auf weiteres von seinen Aufgaben zu entbinden. Das Kontrollgremium, das am 10. Dezember zusammentritt, dürfte dem wohl folgen. Das Gremium muss sich mit einer Reihe von Problemen befassen - von Korruptionsvorwürfen gegen Mitarbeiter, den Verluste schreibenden Übersee-Stahlwerken bis zum schwächelnden Geschäft mit dem Werkstoff in Europa. Am 11. Dezember legt der Konzern seine Zahlen für das Geschäftsjahr 2011/12 vor.

Claassen beugt sich mit seinem Rückzug dem seit Wochen immer stärker werdenden Druck. "Durch diesen Schritt möchte ich angesichts der derzeitigen öffentlichen Berichterstattung Schaden vom Unternehmen fernhalten, dem ich mich seit über 28 Jahren tief verbunden fühle", ließ er am Samstagabend mitteilen. Der frühere Kommunikationschef und langjährige Vertraute von Aufsichtsratschef Gerhard Cromme soll Presseberichten zufolge Journalisten zu Luxusreisen eingeladen haben, deren geschätzter Wert zum Teil bei 15.000 Euro lag.

Ermittlungen könnten noch lange dauern

ThyssenKrupp hatte zunächst die Bedeutung von Pressereisen hervorgehoben. "Pressereisen sind bei ThyssenKrupp - wie bei vielen anderen großen Unternehmen auch - ein wichtiges Element der Medienarbeit", hieß es vor drei Wochen. Sie würden "intern und extern transparent im Einklang sowohl mit unseren internen Regularien als auch mit den einschlägigen Rechtsvorschriften" durchgeführt. Inzwischen hat der Konzern eine interne Untersuchung der Vorwürfe angestoßen. Dabei geht es auch um Dienstreisen der vergangenen Jahre, die Claassen ohne Pressevertreter unternommen hat.

Von dem Manager war auch am Sonntag keine Stellungnahme zu erhalten. Claassen war erst Anfang 2011 in den Vorstand aufgerückt und dort für den Bereich Compliance verantwortlich, bei dem es um eine korrekte Geschäftsführung geht. Hier hat ThyssenKrupp einiges zu tun. Am Freitag war ein neuer Fall bekannt geworfen. Mitarbeiter der Tochter GfT Bautechnik sollen in Osteuropa unsauber gearbeitet haben. Wegen des Verdachts auf Untreue hat der Dax-Konzern Mitarbeiter entlassen und die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

ThyssenKrupp kämpft zudem noch mit den Folgen seiner Teilnahme an verbotenen Preisabsprachen von Schienenherstellern. Hier drohen hohe Schadenersatzforderungen in dreistelliger Millionenhöhe der Deutschen Bahn und kommunaler Verkehrsbetriebe. Erst vor wenigen Jahren hatte die EU-Kommission eine Strafe von mehreren hundert Millionen Euro gegen ThyssenKrupp wegen eines Kartells von Aufzugsfirmen verhängt.

Der Fall Claassen trifft das Unternehmen in einer schwierigen Phase

Der Fall Claassen kommt für ThyssenKrupp zur Unzeit. Cromme und Vorstandschef Heinrich Hiesinger dürften rasch Klarheit anstreben. Eine lange Hängepartie während der Ermittlungen, die noch Monate dauern können, kann sich das Traditionsunternehmen mit weltweit über 170.000 Mitarbeitern kaum leisten. Zudem dürften der Ankündigung Claassens intensive Gespräche des Managers mit Cromme, Hiesinger und womöglich auch der 99-jährigen Konzernlegende Berthold Beitz vorangegangen sein, der sich bei wichtigen Entscheidungen immer noch einschaltet. Erst vor einem Jahr musste sich der frühere ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz wegen der Milliardenverluste bei den neuen Stahlwerken in Übersee aus dem Aufsichtsrat zurückziehen. Der frühere Stahlchef Karl-Ulrich Köhler musste wegen des Debakels zuvor seinen Hut.

Auf seiner Sitzung am 10. Dezember soll sich der Aufsichtsrat mit dem Jahresabschluss des Geschäftsjahres 2011/12 (per Ende September) befassen. Dieser wird einen Tag später auf einer Bilanzpressekonferenz in Essen präsentiert. Für das Geschäftsjahr erwarten Experten in dem amerikanischen Stahlgeschäft hohe Verluste. Nach Pleiten, Pech und Pannen waren die Kosten für die neuen Werke in Brasilien und den USA auf zwölf Milliarden Euro explodiert. Hiesinger sucht für sie händeringend nach Käufern, um die Schulden von rund sechs Milliarden Euro zu drücken. Inzwischen ist zweifelhaft, ob der Verkaufserlös überhaupt den Buchwert von sieben Milliarden Euro deckt. Damit drohen ThyssenKrupp weitere Abschreibungen in Milliardenhöhe. (rtr)