Viersen.. Die kontrollierte Sprengung einer Fliegerbombe zerstört Häuser in Viersen. Schaufenster zerspringen, mehrere Häuser werden schwer beschädigt. Das weckt Erinnerung an die Ereignisse von Schwabing – und an den Weltkrieg. Wer für die Schäden aufkommt, ist noch nicht geklärt.
Eine Bombe, sagt eine Frau am Tag danach, „findet man, entschärft sie, und fertig“. Und so ist das ja auch in Deutschland bald 70 Jahre nach dem Krieg; mehr als 120 zentnerschwere Blindgänger holte allein das Land NRW dieses Jahr schon aus der Erde, meistens still und leise. Bis Viersen, linker Niederrhein, Montagnacht um 23.05 Uhr: Da explodiert eine Bombe mitten in der Innenstadt. Überwacht, kontrolliert, auf Stroh und Sand gebettet – und doch: Die „Wahnsinns-Druckwelle“ (Einsatzleiter Frank Kersbaum) reißt Ziegel von den Dächern, eine Hauswand ein und hinter der Fußgängerzone ein Loch. Ein Scherbenhaufen.
Zwilling des Blindgängers von München-Schwabing
Natürlich haben alle an Schwabing gedacht: Kaum drei Wochen ist es her, dass dort ein Blindgänger gezielt gesprengt wurde. „Massive Gebäudeschäden“ meldete München, und fassungslose Bürger, die Bombenschäden nicht mehr kannten. Und nun zeigt sich, Viersen hatte denselben Typ in den Tiefen der Gartenstraße, der Kampfmittelräumdienst „hätte sich das nicht träumen lassen“ – amerikanische Fliegerbombe, fünf Zentner, 1,50 Meter lang, Säurezünder. Der kommt selten vor, hat in der Regel in Kriegstagen auch funktioniert, Kersbaum nennt das Modell „tückisch“. Das lässt sich nicht einfach entschärfen, das muss man kontrolliert detonieren lassen: Die 250 Kilogramm Sprengstoff brauchen Sprengstoff dafür.
In Viersen hat alles geklappt, wie es soll, keine zehn Stunden brauchten sie von der Entdeckung bis zur Sprengung und haben in der Zwischenzeit über 5000 Menschen evakuiert – ungefähr, denn sie genau zu zählen, dafür blieb keine Zeit. „Normalerweise hat man zwei, drei Tage für alles“, sagt Wehrführer Kersbaum. Aber was ist schon normal am Montag am Niederrhein. 1000 Einsatzkräfte kommen, sie karren 30 Kubikmeter Sand herbei, Bauern bringen zwei riesige Strohballen; sie packen die Bombe in Watte. Ihre Martinshörner heißen sie schweigen, die Sirenen auch. „Bei dem Begriffspaar Bombe und Sirene bekommen alte Menschen Angst, die sind bis heute traumatisiert.“ Lieber eilt der Bürgermeister persönlich in Fest- und Turnhalle, sagt den Wartenden die Wahrheit: „Die Situation ist brenzlig und sehr, sehr ernst“, erklärt Günter Thönnessen. „Die Bombe wird explodieren, es wird Schäden geben.“
Bei der Detonation zerspringen Schaufensterscheiben
Als es passiert, bekommen die Wenigsten es mit, es gibt keinen Knall, ein dumpfes Dröhnen nur, aber dann kommt die Druckwelle. Schlägt den Sand in feuchten Klumpen an die Fassaden im Umfeld, lässt Schaufensterscheiben zerspringen in blau schimmernde Scherben, zieht gezackte Risse in Mauern. Noch in der Nacht bemüht sich die Feuerwehr, den Sand wegzufegen, aber bei Tageslicht lässt sich der Schaden nicht mehr verbergen. In Trauben stehen vor allem sehr alte Menschen vor den betroffenen Gebäuden, eine entfernte Erinnerung als Tränen in den Augen.
„Häuser unbewohnbar“ melden die ersten Nachrichten, allerdings wohnte schon vorher niemand darin. Doch zwei Anbauten im Hinterhof der Einkaufsstraße wird man tatsächlich nicht mehr retten können, da schwebt brüchiger Fußboden über dem Nichts des Bombenlochs, Rollläden hängen schlapp herunter, Dachpappe knattert sinnlos im Wind, selbst Stahlträger sind krumm geworden unter der Wucht der Explosion. Im erdigen Krater liegen eine Leiter und Kniestrümpfe: Es ist ein Kindermodengeschäft, das sich hier erweitern wollte, deshalb steht der Kran im Garten, der die Bombe freilegte. „Damit Sie uns noch besser erreichen können“, steht auf dem Bauschild – doch nun ist die Straße vorerst gesperrt.
Ob die Versicherung für die Bomben-Schäden aufkommt, ist noch unklar
Nebenan kratzt der Mann vom Tabakgeschäft den Lehm von seinen Fensterbänken, durch ein Loch in der Wand kann man sehen, was die „Kinderstube“ sonst noch feilbot außer Socken: Kleine Kleider hängen in Gängen, durch die vor Scherben niemand mehr laufen kann. „Die Werkstatt ist nicht mehr“, sagt schulterzuckend der Chef vom Hörgeräte-Laden Hoenings, der Optiker rettet seinen Meisterbrief. Zur Hauptstraße hin liegt zerbrochenes Glas in den Auslagen, überall fegen Anwohner und Angestellte, Spanplatten werden in leere Fensterhöhlen gesetzt. Unter den niedrigen Platanen parken die Kleintransporter der Glaser.
Draußen betrachten die Menschen in Gruppen das Geschehen, drinnen Gutachter den Schaden. Wer zahlt? Das ist noch völlig ungeklärt in diesen ersten Stunden. Hausrat-, oder Gebäudeversicherung, hoffen manche. Das Land, behaupten andere, das habe schließlich sprengen lassen. „Aber“, wehrt sich Wehrführer Frank Kersbaum, „es ging doch nicht anders.“ Sonst passiert nie was, bemerkt ein Mann vor der Tür. „Aber wenn, dann richtig.“