Duisburg. . Die „Silvergreens“ aus Duisburg sind nicht die erste Rentnerband, sie sind auch nicht die ersten Rocker, die das Leben gezeichnet hat – aber vielleicht sind sie die ältesten und sicher die einzigen, die im Alter von 80+ ihr erstes Konzert geben. Am Freitag zur Kaffeezeit wollen sie ihr Seniorenheim rocken.
Vor, sagen wir, 80 Jahren hätte sie ein Star sein können – allein dieser Name! Corry Cogliatti. Aber mit 101 ist es ganz offensichtlich noch nicht zu spät: Corry ist heute so etwas wie die Frontfrau einer Band, jedenfalls sitzt sie ganz vorn. Und kommt mit dem Rollator zum Rocken.
Corry hat heute Kopfweh, aber das zeigt sie nicht. Probe ist Probe, sie wird jetzt singen, konzentrierte eineinhalb Stunden lang, das Handtäschen quer über der Brust, das Tambourin mit beiden Händen davor: „So lang wir noch am Leben sind, am Lachen, Weinen, Tanzen sind . . .“ Und sie wird den Kopf wiegen, der eben noch schmerzte, hin und her mit diesem Lächeln, das immer ein wenig aussieht, als würde sie staunen.
Es ist aber auch zum Staunen: vorne Lothar „Banjo-Boy“, der von allen Songs alle Strophen auswendig kann, obwohl er sonst nicht mehr viel weiß. Hinten das auch schon etwas ältere Mädchen Rosemarie, das den schicken Schal zurückwirft und die Fäuste in die Luft und „Let’s have fun“ schmettert. In der zweiten Reihe Herr P. mit dem schönen Bariton. Und rechts der Typ an den Trommeln, auch schon 89 (sieht aber viel jünger aus).
Die „Silvergreens“ aus Duisburg sind nicht die erste Rentnerband, sie sind auch nicht die ersten Rocker, die das Leben gezeichnet hat – aber vielleicht sind sie die ältesten und sicher die einzigen, die im Alter von 80+ ihr erstes Konzert geben. Nächsten Freitag zur Kaffeezeit wollen sie ihr Seniorenheim rocken, „das geht ab wie Pommes“, ahnt Dagmar Albert Horn. Der mindestens stadtbekannte Musiker spielt für die Gruppe die Gitarre und hat auch schon die Sechs vorn – aber der Begriff „Altrocker“ bekommt in dieser Runde einen ganz neuen Klang.
Nicht die Musik ihrer Generation, eher die ihrer Kinder
Die Musik allerdings auch. „Wir wollten nicht immer nur Schlager machen“, sagt Jutta Muntoni, im Awo-Heim „Im Schlenk“ die Frau für integrative Musiktherapie. Es ist ja nicht neu, dass sie mit den Senioren singt, aber dass es nun Englisch ist und manchmal mächtig Krawumm, „das find ich schön“, sagt Rosi und wedelt mit dem laminierten Textblatt. Anfangs haben sich die Alten ein wenig geziert, es ist nicht ihre Musik, eher die ihrer Kinder, „ich musste mir das damals immer anhören“, sagt Gerda Delkus, 82. Aber nun finden sie es doch ganz nett, „mal herausgelöst aus dem Alltag“, findet Herr P.. Und dass der „Krach“ schwerhörig machen könnte, nun, das soll ihr Problem nicht mehr sein.
„All Right Now“ singen die „Silbergrünen“ also, klatschen in die Hände und stechen bei „We Will Rock You“ faltige Finger mit goldenen Ringen in die Luft. „Rack you“, sollen sie sagen, mahnt Jutta Muntoni, klingt amerikanischer, und „wir haben an dem Tag ja keine Röcke an“. Um weitere Sprachhürden zu umgehen, hat sie Teile des Textes umgeschrieben: „Da stehen wir nun vor euch, spielen Rock und haben echten Spaß. Keiner glaubte daran, doch nun trommeln wir und geben Gas.“ Wir werden euch rocken! „Klingt nicht wie Queen“, gesteht Musiker Horn, „aber wenn man sich mit denen beschäftigt, kann man richtig was rausholen.“
Vor vor „Eisen“ die Pause kommt, vergessen die Damen nie
Ein Jahr haben sie nun geprobt, jeden Dienstag um drei, bis die stützbestrumpften Füße von den Rasten der Rollstühle rutschten, weiße Locken aus der Form und Rosi der Hut ins Gesicht – und bis Corry ihre Kopfschmerzen vergessen hatte: „Das brauch’ ich jetzt immer.“ Und selbst, wenn sie alt sind, krank und manche von ihnen dement, haben sie sich alles gemerkt. Nach einem halben Jahr im Koma erinnert sich einer der Sänger an nicht viel – bringt aber souverän jeden Vers von „Marmor, Stein und Eisen bricht“. Falls sein Background-Chor auch sonst nicht mehr viel weiß: Wo vor „Eisen“ die Pause kommt, vergessen die Damen nie. Andererseits, Rosis Klangstäbe, die sie so elegant streichelt – wie die heißen? „Egal! Hauptsache, die klingen gut.“
Musik speichert der Mensch anders ab, „sie macht emotional, trägt Erinnerungen“, weiß Jutta Muntoni. „Fliegen die Jahre auch fort, die Erinnerung, sie lebt“, heißt es in einem Lied. Die Musik mache „den liebenden, fröhlichen, musikalischen Menschen“ wieder sichtbar, so Muntoni: „Das, was wir oft nicht sehen, wenn wir alte Menschen betrachten.“ Sie wundert sich ja selbst über die Verwandlung ihrer Senioren-Singgruppe in eine Rock-Combo: „Ich bin ihr größter Fan.“
Guten Abend, meine lieben Gäste, gepflegte Damen und Herren
Alle anderen Fans sollten sich schleunigst um Karten bemühen: Der Eingangsbereich des Heims ist keine Konzerthalle. Wer kommt, wird von Rosemarie begrüßt: „Guten Abend, meine lieben Gäste, wir freuen uns, gepflegte Damen und Herren . . .“ Vielleicht spricht sie aber auch von „herrlicher Musik“ und „guter Laune“. Oder sie sagt etwas ganz anderes – je nachdem, was ihr in dem Moment gerade einfällt. Und dann wird sie tanzen. Rockerin Rosi ist eine der wenigen, die das noch kann.