Hamm. Erneut hat sich ein Gericht im Streit über ein Bagatelldelikt auf die Seite des Arbeitnehmers gestellt. Das Landesarbeitsgericht Hamm erklärte den Rauswurf eines Bäckerei-Mitarbeiters für unwirksam. Ihm war nach dem Verzehr von Brotaufstrich von einer Bergkamener Bäckerei gekündigt worden.
Keine Kündigung wegen des Verzehrs von Brotaufstrich: Erneut hat sich ein Gericht im Rechtsstreit über ein Bagatelldelikt auf die Seite des Arbeitnehmers gestellt. Das Landesarbeitsgericht Hamm erklärte am Freitag den Rauswurf eines Bäckerei-Mitarbeiters für unwirksam. Ihm war nach dem Verzehr von Brotaufstrich gekündigt worden. Unterm Strich wachsen angesichts der Krise die Aktenberge bei den Arbeitsgerichten bundesweit, wie eine Umfrage der Nachrichtenagentur AP ergab. Arbeitnehmervertreter warnten in diesem Zusammenhang vor verstecktem Stellenabbau.
In dem Fall aus Hamm verurteilten die Richter eine Bergkamener Bäckerei dazu, den 26-jährigen Mitarbeiter weiter zu beschäftigten. Zuvor hatte auch das Arbeitsgericht Dortmund dem Mann und einem 44-jährigen Kollegen recht gegeben. In dem Prozess ging es um eine kleine Menge eines «Hirten-Aufstrichs», den sich der Beklagte auf ein zuvor gekauftes Brötchen geschmiert hatte.
Der Vorsitzende Richter Franz Müller sagte, bei der Kündigung sei es zunächst um den Diebstahl des Brötchens gegangen - ehe sich herausstellte, dass dieses ordnungsgemäß bezahlt worden war. Erst danach sei der Aufstrich angeführt worden. Selbst beobachtet habe aber niemand, wie der 26-Jährige das Brötchen damit bestrich und es verzehrte. «Wenn man sich anguckt, was in der Substanz übrig bleibt, ist das sehr wenig», sagte Müller.
Das Gericht betonte, grundsätzlich rechtfertige durchaus auch der Diebstahl geringwertiger Dinge eine Kündigung, wenn das Vertrauensverhältnis zerstört sei. Doch im Einzelfall müsse es immer auch eine Abwägung geben.
Erinnerung an den Fall "Emmely"
Der in Hamm verhandelte Fall erinnert an zahlreiche andere Prozesse dieser Art in der jüngsten Zeit. So sorgte der Fall der Kassiererin «Emmely» aus Berlin bundesweit für Aufsehen. Der Frau war nach langjähriger Betriebszugehörigkeit gekündigt worden, weil sie Pfandbons im Wert von 1,30 Euro unterschlagen haben soll. Ihr früherer Arbeitgeber Kaiser's Tengelmann begründete den Schritt mit dem zerrütteten Vertrauensverhältnis. Die rausgeworfene Mitarbeiterin bestreitet die Unterschlagung. Voraussichtlich Anfang kommenden Jahres wird der Fall vom Bundesarbeitsgericht erneut geprüft. Die Erfurter Richter hatten Ende Juli eine Revision zugelassen.
Das Landesarbeitsgericht Berlin hatte ihre Kündigungsschutzklage wegen des zerstörten Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgewiesen und eine Revision ausdrücklich ausgeschlossen. Dagegen hatte sich die Frau mit einer sogenannten Nichtzulassungsbeschwerde an das BAG gewandt.
Zugunsten eines geschassten Arbeitnehmers entschied zuletzt das Mannheimer Arbeitsgericht. Dem bei einem Entsorgungsbetrieb beschäftigten Familienvater war vorgeworfen worden, ein Reisebett für seine Tochter aus dem Müll mitgenommen zu haben. Das Gericht entschied, dass die fristlose Kündigung nicht das notwendige Maß an Verhältnismäßigkeit erfülle. Der Tatbestand des Diebstahls sei zwar erfüllt, aber die erforderliche Interessenabwägung falle zugunsten des Klägers aus, hieß es damals zur Begründung.
Aktenberge wachsen
Angesichts der Krise wachsen die Aktenberge bei deutschen Arbeitsgerichten. Wie eine AP-Umfrage ergab, sind die Fallzahlen in diesem Jahr bundesweit kräftig gestiegen. Häufig müssen die Richter dabei über Kündigungsschutzklagen entscheiden. Dabei sind Kündigungsstreitigkeiten nicht die einzigen Klagen, die die Arbeitsgerichte beschäftigen, auch Lohnklagen gingen häufiger ein.
Juristen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) beobachten die Klageflut mit einiger Sorge. Denn Tjark Menssen vom DGB Rechtsschutz hegt einen Verdacht: «Es ist davon auszugehen, dass in vielen Fällen auch Stellenabbau über den Klageweg betrieben wird.» (ap)