Gladbeck. . Der 22-jährige Kevin wurde beim Gladbecker Stadtfest niedergeschlagen und liegt im Wachkoma. Der Täter wurde in erster Instanz nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Doch die Berufung wird der Mutter nun verwehrt – wegen formaler Fehler.

Ein einziger Faustschlag auf einem Stadtfest, ein Zwei-Sekunden-Angriff, reißt Kevin Schwandt aus dem Leben. Seit diesem schrecklichen 8. Mai 2011 liegt der heute 22-jährige Gladbecker im Wachkoma. Gilt als schwerstbehindert. Ist ein Pflegefall, der rund um die Uhr in einem Heim betreut wird. Der Täter, der damals 18-jährige Erdinc K., wird im November 2011 vom Gladbecker Amtsgericht zu einem Jahr Jugendstrafe auf Bewährung und 120 Sozialstunden verurteilt – wegen schwerer Körperverletzung. Das Ende der juristischen Streitigkeiten ist das nicht.

Kevin Schwandt. Foto: privat
Kevin Schwandt. Foto: privat © privat

„Zu wenig“, sagt Burkhard Benecken, der Anwalt von Kevins Mutter. Die Anklage hätte auf versuchten Totschlag lauten müssen, betont er, und legt Berufung vor dem Landgericht Essen ein. Benecken möchte, dass der Fall von einem Schwurgericht neu aufgerollt wird. Auch, weil das Gladbecker Gericht das Gewaltvideo „Bouncers in Russia“ (Rausschmeißer in Russland), das Erdinc K. zwölf Stunden vor dem Strafprozess auf seine Facebook-Seite gestellt haben soll, nicht berücksichtigt habe. Der Sieben-Minuten-Film soll eine Anleitung sein, wie man einen Menschen mit einem Schlag töten kann. „Wer sich nach einer Tatbegehung geradezu feiert und Gewaltvideos veröffentlicht, zeigt, dass er mit dem tödlichen Ausgang seines eigenen Tuns gerechnet hat“, erklärt Benecken.

Der Staatsanwalt in Gladbeck spricht hingegen von einer nicht „vorhersehbaren Verkettung unglücklicher Umstände“. Kevin Schwandt, der zur Tatzeit 2,4 Promille Alkohol im Blut hat, prallte bei seinem Sturz nach dem Faustschlag gegen ein geparktes Auto und dann auf den Asphalt.

„Die Frist beträgt eine Woche“

Seit Ende letzter Woche stehen die Chancen für die Berufung gegen das Gladbecker Bewährungsurteil schlecht. Die III. Strafkammer des Landgerichts Essen hat Beneckens Antrag abgelehnt. Gerichtssprecher Wolfgang Schmidt: „Das Problem ist, dass die Mutter zwar als Betreuerin ihres Sohnes eingesetzt wurde, diese Betreuung aber nicht für rechtliche Angelegenheiten des Sohnes gilt.“ Mittlerweile sei die Vollmacht erweitert worden. Im Strafprozess helfe es ihr aber nicht: „Die Frist, in der Berufung gegen das erstin­stanzliche Urteil eingelegt werden kann, beträgt eine Woche.“ Und diese Frist sei verstrichen, als die Mutter auch vor Gericht für ihren Sohn handeln durfte.

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Dass die Mutter zum Zeitpunkt der Antragstellung keine Betreuerin für rechtliche Angelegenheiten gewesen sei, sei für sie nicht erkennbar gewesen, sagt ihr jetziger Rechtsanwalt Burkhard Benecken. Fakt ist: Weder ihr früherer Anwalt Alfred H. Voigt, der Conny Schwandt im Gladbecker Verfahren vertrat, noch ihr heutiger Anwalt oder das Amtsgericht Gladbeck haben die Frau auf diesen Missstand hingewiesen. Niemand scheint aufgefallen zu sein, dass die Mutter „nur“ zur medizinischen Betreuerin ihres Sohnes bestellt war, dass sie kein Recht hatte, ihren Sohn auch juristisch zu vertreten. Im Gegenteil: In Gladbeck wurde der Familie sogar Prozesskostenhilfe bewilligt.

„Im Namen der Gerechtigkeit ...“

Burkhard Benecken, der meist als Strafverteidiger auftritt und selten Opfer von Straftaten vertritt, will die Entscheidung des Landgerichts Essen nicht hinnehmen. Notfalls will er bis zum Bundesverfassungsgericht ziehen, um eine aus Sicht der Opferfamilie angemessene Verurteilung zu erreichen. Große Worte wählt er: „Im Namen der Gerechtigkeit wollen wir eine juristisch korrekte Strafe für den Täter.“

Kevins Mutter will den Kampf auf jeden Fall nicht aufgeben. „Mit diesem Urteil kann keine Mutter dieser Welt leben, das ist ein Skandal-Urteil“, wird die 51-Jährige in den Medien zitiert. Ihr Anwalt Benecken, der den Beschluss des Essener Landgerichtes nach eigenen Worten am Sonntag im Gespräch mit dieser Zeitung noch nicht kannte, betonte, dass die Familie sehr betroffen sei, dass die Berufung zurückgewiesen wurde. Er dürfe aber sagen, dass Mutter, Vater und Bruder von Kevin sich von der Entscheidung nicht unterkriegen lassen werden.