Solingen. 120 Polizisten stellten die Moschee in Solingen auf den Kopf. Sie fanden einen Freigelassenen und einen Gesuchten. Die radikalen Führer allerdings sind schon längst weitergezogen.

Als Polizisten ihn rausführen aus der Millatu-Ibrahim-Moschee, ohne Strümpfe und mit dünnem T-Shirt, da möchte man ihm einen wärmenden Mantel geben, so zart wirkt er. Mit seinem Kindgesicht hätte es Robert B. schwer, ohne Ausweis in die Disco zu kommen. Vielleicht interessiert er sich auch deshalb für Dinge, die andere mit 24 nicht im Kopf haben – wie man Bomben baut, zum Beispiel.

Weil er einen Bauplan der Terrororganisation Al-Qaida mit nach England nahm, saß er dort monatelang im Gefängnis. Robert B. gilt als Islamist, und seit er wieder in Deutschland ist, feiern ihn seine Glaubensbrüder. Um 7.31 Uhr, als er die Moschee mit zwei Rucksäcken und einem Fahrrad verlässt, verliert B. sein Zuhause. Denn dort hat er gelebt.

Aufruf zum Heiligen Krieg

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Es gibt geistige Brandstifter unter den Salafisten, die in dem Gebetshaus mitten im Solinger Zentrum ein- und ausgingen. Sie rufen zum Heiligen Krieg auf, wollen einen islamischen Staat Deutschland, wollen dafür siegen oder sterben. Vor allem aber wollen sie Leute, die ihre martialischen Pläne ausführen – gerne solche wie Robert B., die bei näherem Hinsehen eher wie Opfer erscheinen.

Die geistigen Führer der salafistischen Weltordnung sind längst weg, als um Punkt 6 Uhr der grün-weiße Konvoi auftaucht. Rund 120 Einsatzkräfte rücken an. Bereitschafts- und Schutzpolizei, Landeskriminalamt und Staatsschutz, Hundeführer und Spurensicherer entern den Flachbau an der Konrad-Adenauer-Straße. In der Moschee treffen sie auf vier Leute. Ein Mann wird festgenommen, ein Engländer. „Er wird mit internationalem Haftbefehl gesucht“, sagt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich später in Berlin.

In Solingen durchkämmen Ermittler stundenlang die Moschee. Der Flachbau im Hinterhof der Fußgängerzone wird komplett auf den Kopf gestellt. Das sichergestellte Material füllt einen Klein-Lkw. Die beschlagnahmten Akten und Dokumente, Computer-Festplatten und Kontoauszüge könnten Anhaltspunkte für geplante terroristische Aktivitäten liefern, hoffen die Sicherheitskräfte.

Als Ermittler die Umzugskartons aufladen, schimpft ein Bürger im Vorbeigehen: „Schon wieder diese Scheiße hier.“ Soll heißen: Schon wieder dieser Auflauf, schon wieder alles voll Polizei – „nur wegen dieser Typen“. Solingen, bekannt für scharfe Klingen, hat das islamistische Säbelrasseln satt. „Entweder leben wir dafür, dass diese Flagge über dem Weißen Haus und über dem Vatikan weht, oder wir sterben.” Solche Töne dröhnten aus der kleinen Moschee hinaus in die Weiten der salafistischen Internet-Welt, als Mohamed Mahmoud, alias Abu Usama al-Gharib vor der schwarzen Fahne von Millatu Ibrahim saß und in die laufende Videokamera predigte. Solche Sätze wirken wie ein Staubsauger. Aus allen Ecken der Republik sind Islamisten nach Solingen gezogen. Der Dschihad ist in der Stadt, seit sich dort zwei Extremisten trafen.

Nähe zu Al-Qaida

Zum einen Mahmoud, der verurteilte Terrorist. Seine Nähe zu Al-Qaida und zu anderen Terrorgruppen, dazu viele Anschlagsdrohungen, brachten ihn vier Jahre hinter Gitter. Im September 2011 kam er frei, ging nach Berlin, rief gleich wieder zum Dschihad auf – und fand einen Bruder im Geiste: Denis Cuspert, früher bekannt als Gangsta-Rapper Deso Dogg. Dann hatte er genug von der Musik, nannte sich Abu Maleeq und lud im Internet eine Pistole durch. Die Botschaft: Auf in den bewaffneten Heiligen Krieg. Die Staatsanwaltschaft München fand eine Sprengstoffweste, die sie ihm zurechnete. Als dann noch die Staatsanwaltschaft Berlin wegen Volksverhetzung ermittelte, hieß es für Cuspert immer häufiger: Auf nach Solingen.

Inzwischen sind die Wortführer von Millatu Ibrahim wieder fort. Mahmoud wurde abgeschoben, predigt jetzt aus Ägypten den Hass gegen den Westen. Denis Cuspert ist erst nach Berlin gegangen, zieht aber gerade wieder um. Hessen soll sein Ziel sein; Erbach ist im Gespräch, ein 13 000-Seelen-Ort im Odenwaldkreis. Eine Salafisten-Wohnung wäre dort noch frei, in der Werner-von-Siemens-Straße 2. Dort wohnte – Mahmoud. Die islamistische Karawane, sie zieht längst weiter, die Kameltreiber voran. Bisher kamen die anderen noch immer hinterher. Zuletzt nach Solingen. Wie lange Robert B. wohl noch dort bleibt?