Ruhrgebiet. Der Streiktag förderte Kurioses zu Tage: Warum sich Verdi-Chef Bsirske freute wie ein kleiner Teufel. Dass eine ganze Schule von ihrem Hausmeister abhängig ist. Und wie routiniert das Ruhrgebiet den Ausstand von 71 000 öffentlich Bediensteten wegsteckt.

Mindestens einer wird sich am Mittwochmorgen wie ein kleiner Teufel gefreut haben über seine eigene Verspätung: Gewerkschaftsboss Frank Bsirske hing im Stau fest, den er selbst mit verursacht hatte. Um so dramatischer sein später Auftritt in Köln: Sollten die Arbeitgeber ihren Kurs fortsetzen, so der Verdi-Chef, drohe ein Streik, „wie es ihn 20 Jahre nicht gegeben hat“.

71.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst beteiligten sich laut Gewerkschaften am zweiten NRW-Warnstreik in zwei Wochen. Fast genauso viele demonstrierten für mehr Lohn, etwa in Dortmund, Duisburg, Köln und Bielefeld bei den großen Kundgebungen. Kindergärten und Kliniken, Ämter und Schwimmbäder, Sparkassen und Theater blieben vielerorts geschlossen, Mülltonnen ungeleert – vor allem standen Busse und Bahnen still. Warum eigentlich?, fragt man sich mit Blick auf Bielefeld. Dort streikten nicht die Busfahrer, sondern die Kontrolleure. Weil es den Arbeitgeber wohl mehr schädigt, wenn die Kunden kostenlos fahren.

Keine einzige städtische Kita ist in Oberhausen geöffnet

Aber die Erzeugung öffentlicher Ärgernisse gehört zum Repertoire eines jeden Arbeitskampfes. Man hofft, dass etwa die Oberhausener Mamas und Papas ihren Ärger weitergeben. Keine einzige städtische Kita wollte am Mittwoch ihre Kinder betreuen. Fast alle Städte hatten Notgruppen eingerichtet. In Oberhausen aber war die „Streik-Teilnahme der Erzieherinnen und Erzieher so groß, dass wir nicht einmal das Offenhalten einer einzigen Kita gewährleisten können“, so Dezernent Jürgen Schmidt.

Auch dürften Verdi solch unverhoffte Multiplikationseffekte wie in Hattingen gelegen kommen. Da streikte an der Gesamtschule Hattingen ein einzelner Hausmeister. Und alle 1200 Schüler freuten sich über einen freien Tag. Jens Mäckelburg, stellvertretender Schulleiter, erklärt: „Wir wüssten noch nicht einmal, an wen wir uns wenden könnten, wenn etwas passieren sollte.“

Das Ruhrgebiet im Allgemeinen aber bekommt Übung mit Warnstreiks: Die Regionalbahnen – voll, aber nicht überfüllt. Die Pendler lassen sich am Hauptbahnhof von Kollegen abholen oder sind gleich mit’m Radl da. Einige werden gar gesichtet, die auf dem Gepäckträger Anhalter mitnehmen. Routiniert stapeln die Bahnhofsbäcker ihre kalten Semmeln. Und die Taxifahrer verwöhnt der Erfolg. Zum Beispiel in Bochum wo Mahdi Khaleghi das Geschäft lobt: „Es könnten aber noch mehr Kunden sein.“

„Stand by me“ und „Let it be“

Auch die Demos sind professioneller geworden. Diesmal gibt’s Live-Musik in Dortmund: „Stand by me“ und „Let it be“. 30 000 Gewerkschaftsmitglieder verstopfen die Innenstadt, trillern, tröten, tragen Transparente. Und natürlich kommt es zu Staus bei der Abreise um 13 Uhr. Aber ein, zwei Stunden später entspannt sich die Verkehrslage.

Nur in Duisburg hängen viele der 18 000 Demonstranten länger fest. Eine Weltkriegsbombe muss nah der A 59 entschärft werden. In Duisburg begibt es sich auch, dass ein Firmenchef kurzerhand eine Polizeisperre durchbricht und einen Polizisten über den Haufen fährt. Der erwischt noch ein Wischerblatt und verletzt sich nur am Knie.

In NRW sind laut Verdi-Sprecher Günter Isemeyer zunächst keine großen Warnstreiks bis zu den Verhandlungen am 28. und 29. März geplant. 6,5 Prozent mehr Lohn fordern die Staatsbediensteten. Die Arbeitgeber bieten bislang 3,3 Prozent über zwei Jahre.

Wofür aber eigentlich gestreikt wird, erklärt der Bochumer Busfahrer Hartmut Sklenak (48): Unterm Strich bekomme er den gleichen Lohn wie zu Beginn seiner Laufbahn 1993. „Mit 1900 Euro netto muss ich eine Familie mit zwei Kindern durchbringen.“ (tom/Stadtredaktionen/dapd)