Fukushima. Eine WWF-Mitarbeiterin erinnert sich an den 11. März 2011, den Tag des Tsunami. Er begann als ganz normaler Arbeitstag und endete mit der Katastrophe. Zur Mittagszeit begann plötzlich die Erde zu beben.

Ein Jahr nach dem 11. März 2011 erinnert sich die 53-jährige Masako Konishi vom WWF Japan an die Katastrophe, die Japan bis heute traumatisiert hat.

Noch heute spüre ich die Angst in mir aufsteigen, wenn ich an den März des vergangenen Jahres zurückdenke – nach allem was nach dem Erdbeben in Fukushima passiert ist.

Der 11. März 2011 begann eigentlich wie ein ganz normaler Arbeitstag. Gemeinsam mit meinen Kollegen arbeitete ich im Büro des WWF Japan, das sich im Großraum Tokio gelegen ist. Ungefähr zur Mittagszeit begann plötzlich die Erde heftigen zu beben, begleitet von grollenden Geräuschen. Wie es in solchen Situationen üblich ist, suchten wir unter Tischen Deckung und warteten darauf, dass sich die Erde wieder beruhigt, was ungewöhnlich lange dauerte.

Weitere, schwere Nachbeben erschütterten das Gebäude immer wieder. Kurz darauf erfuhren wir zum ersten Mal, dass alle Züge und U-Bahnen in und um Tokio gestoppt wurden. Sie würden wohl erst frühestens am nächsten Tag wieder in Betrieb genommen werden sollten, hieß es. Der Nahverkehr hat in für die Metropolregion Tokio eine ganz besondere Bedeutung. Der gesamte Ballungsraum verfügt über die höchste Bevölkerungsdichte der ganzen Welt. Für die meisten dieser 35 Millionen Menschen, die hier leben, bedeutet das: um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen, müssen sie mitunter Entfernungen von bis 100 Kilometer täglich zurücklegen.

Drei Millionen Menschen in Tokio gefangen

Die Stilllegung der Transportzüge, hatte zur unmittelbaren Folge, dass auf einen Schlag über drei Millionen Menschen in der Stadt Tokio gefangen waren, dass sie nicht nach Hause fahren konnten. Ich gehörte war an jenem Abend zu diesen drei Millionen. Auf den Straße bot sich derweil ein völlig absurdes Bild: überall waren Menschen, die zu Fuß den Heimweg antraten. Weit weniger entspannt war die Situation in den U-Bahnschächten, wo die Leute weiterhin eingesperrt waren und nicht gar hinaus konnten. Draußen war es gleichzeitig bitterkalt. Mir persönlich blieb gar keine andere Wahl, als die Nacht im Büro zu verbringen.

Das gewaltige Erdbeben war ja an sich schon eine gigantische Katastrophe für mein Land und meine Landsleute. Im Nachhinein wissen wir, dass es erst der Beginn war. Ein massiver Tsunami rollte auf Japan zu. So heftig, dass ich meinen Augen nicht trauen konnte, als ich zum ersten Mal die Bilder im Fernsehen sah. Diese dunkle Flutwelle, die auf das Festland prallte und alles verschluckte, was sich unter ihr in den Weg stellte - ganze Städte und Tausende von Menschen. Diese Bilder konnten nicht echt sein. So etwas kann es doch nicht wirklich geben.

Und plötzlich war da noch mehr: ein Atomkraftwerk war von der Flutwelle getroffen worden, hieß es in den Nachrichten. Der Tsunami habe die Seite von Fukushima I zerstört, die Dieselgeneratoren wären ausgefallen und nun drohe zu allem Überfluss auch noch ein Ausfall der Sicherungssysteme. Im Inneren der Anlage kam es aufgrund der fehlenden Kühlung zu schweren Wasserstoffexplosionen. Die Reaktoren waren außer Kontrolle und die Kernschmelzen setzten ein.

Nachrichten führten zum Schock

Für alle Menschen in Japan und vor allem diejenigen, die im Osten des Landes leben, führten diese Nachrichten zu einem regelrechten Schock. Wir beteten jeden Tag für ein gutes Ende. Dafür, dass diese Schmelze noch gestoppt werden könnte, dass die Kühlsysteme endlich wieder funktionierten.

Für uns Japaner ergab sich ein zynisches Bild: Da kämpften Feuerwehrleute damit, Löschwasser in diese High-Tech-Reaktoren zu fluten. Eigentlich dachten wir, unsere Atomanlagen wären fortschrittlichsten auf der ganzen Welt und nun diese Bilder.

Ich persönlich habe in diesen Momenten meine Hoffnung auf ein glimpfliches Ende verloren. Voller Sorge schickte ich meine Familie in zur Sicherheit in den Westen des Landes. Der Schnellzug heraus aus der Krisenregion war vollgepackt mit Menschen. Ganze Familien, Männer, Frauen, kleine und größere Kinder, alle versuchten so schnell wie möglich aus Tokio zu fliehen.

Inzwischen liegt ein ganzes Jahr zwischen diesen Tagen und es hat natürlich vieles auch schon wieder normalisiert. Nicht normalisiert hat sich hingegen die Strahlenbelastung der betroffenen Region. Das ist ein schwerer Schlag für die Menschen, die ohnehin schon genug erlitten haben und nun noch viele Jahre leiden werden.

Meinung über Atomkraft änderte sich schnell

Die Öffentliche Meinung über Atomkraft hat sich im Zuge dieser Katastrophe drastisch geändert. Die Regierung hat recht schnell ein neues Energiekonzept, den „Energie-Plan 2020/2030“ erstellt. Derzeit beträgt die Speisung der Gesamtelektrizität durch Atomenergie fast 30 Prozent. Etwa 60 Prozent stammen von fossilen und nur neun Prozent von erneuerbaren Energieträgern. Vor der Fukushima-Katastrophe bestand der eigentliche Plan darin, bis zum Jahr 2020 insgesamt neun weitere AKW an das Stromnetz anzuschließen, insgesamt vierzehn sollten es bis zum Jahr 2030 sein.

Der Anteil von Atomstrom an der gesamten Elektrizität sollte eigentlich auf bis zu 50 Prozent ausgebaut werden – eine Zahl, die inzwischen von niemand mehr gefordert wird. Derzeit wird auf vielen politischen in Ausschüssen über die Energiefrage diskutiert. Wie genau der erforderliche Strom-Mix für Japan aussehen könnte, will die Regierung im April/Mai präsentieren. Anschließend folgt eine nationale Debatte im Sommer, bevor schließlich über den Energie-Plan abgestimmt werden soll. Erst dann werden wir wissen in welche Richtung Japans Zukunft führt.

Atomausstieg stemmen, so wie es Deutschland im Juni 2011 vorgemacht hat

Hier in Japan waren wir sehr darüber überrascht, wie schnell diese Entscheidung von der Bundesregierung getroffen und verabschiedet wurde. Gerade unter diesem Gesichtspunkt muss es die Deutschen Bürger verwundern, dass wir Japaner uns mit dieser Entscheidung da viel schwerer tun, schließlich geschah diese Katastrophe nun einmal bei uns im Land. In dieser Diskussion muss man aber auch wissen, dass die Atomenergie für Japans Energiepolitik historisch gesehen einen ganz besonderen Stellenwert besitzt. Sie galt gewissermaßen viele Jahre als Zukunftstechnologie, die langfristiges Wirtschaftswachstum sichern sollte. Die Industrie versperrt sich bis heute, nach allem was passiert ist, gegen diese Energiewende. Allen voran diejenigen Unternehmen, die auf große Mengen Energie angewiesen sind. Japan benötige Sicherheit in seiner Energieversorgung, heißt es oftmals, weil wir ja selber über keine nutzbaren Ressourcen verfügen.

Die Industrielobby droht damit, dass wichtige japanische Unternehmen ihre Standorte verlegen. Dorthin, wo sie weiterhin „High-Quality Elektrizität“, gewonnen aus Atomkraft, beziehen können. Beispielsweise in den Vereinigten Staaten. Ein weiteres Argument gegen die Energiewende ist nach Ansicht der Kritiker, die fehlende Infrastruktur für Stromnetze, die nicht für die Nutzung erneuerbare Energie angelegt wurden.

Neue Strukturen auf dem Strommarkt schaffen

Das Land Japan ist in insgesamt neun Regionen unterteilt. Die Stromerzeugung - ob mit fossilen oder nuklearen Energieträgern, der Vertrieb und die Netzhoheit werden in diesen Provinzen von jeweils einem Energieunternehmen dominiert. Die effektive Nutzung erneuerbarer Energien würde aber eine andere, eine lokalere Struktur benötigen. Der Aufbau einer solchen dezentralen Struktur mit einer Vielzahl von Anbietern, die einfach notwendig ist, um die Stromerzeugung zu stabilisieren und somit zu etablieren, wurde bislang schlicht ignoriert oder mitunter auch bewusst unterbunden. Ganz einfach, weil diese Dezentralisierung nicht den Interessen der regional dominierenden Unternehmen widerspiegelt und sie ihre Vormachtstellung gefährde. Dass im Jahr 2008 der Anteil erneuerbarer Energien bei gerade einmal einem Prozent lag, resultierte somit unmittelbar aus dieser hegemonialen Stellungen der großen Energieunternehmen. Gerade im Vergleich zu Deutschland ist Japan in dieser Hinsicht noch lange nicht wettbewerbsfähig.

Aber die Zeit für die Energiewende ist reif. Erneuerbare Energien sind zum ersten wirklicher Gegenstand der politischen Debatten. Im August 2011 wurde sogar im Rekordtempo eine Einspeisungsvergütung verabschiedet. Nach den vielen Jahren, in denen der WWF zusammen mit anderen Nichtregierungsorganisationen verzweifelt gegen diese mächtigen Interessen chancenlos ankämpfte, ist eine solche Entwicklung natürlich ein großer Erfolg. Jahrelang wurde uns Naivität vorgeworfen. Erneuerbaren Energien würden niemals eine wirkliche Alternative zur konventionellen Stromerzeugung darstellen, hieß es immer wieder. Nach Fukushima hat sich diese Sichtweise geändert. Die Debatten über die Energiepolitik erreichten die Öffentlichkeit in einem bislang unbekannten Ausmaß und diese Aufmerksamkeit bereicherte diese Diskussion entscheidend.

Tragischer Tag für unser Land

Der 11. März war in vielerlei Hinsicht ein tragischer Tag für unser Land. Aber wir müssen uns nach dieser Katastrophe wieder aufzurichten und einen neuen Weg einschlagen. Dieser Weg geht nur über wirklich sichere und saubere Energiegewinnung ohne Atomkraft. Mit der Unterstützung der Bevölkerung sind die „naiven“ Alternativen plötzlich realistisch geworden. Die Politiker haben umgeschwenkt, sie glauben nun auch an diese historische Chance für einen wirklichen Wandel.

Der WWF Japan hatte im November 2011 eine Studie veröffentlicht. „Das Szenario einer dekarbonisierten japanischen Energieversorgung bis 2050“ basierend auf dem „Energiereport“ des WWF International, zeigt die Realisierbarkeit eines kompletten Wandels hin zu 100 Prozent Erneuerbare Energien. Durch Effizienzen und Fördermaßnahmen ist dieser Schritt möglich. Die Konzepte dafür sind unglaublich vielfältig: Elektrische Automobile, optimierte Wärmedämmungen für Gebäude, die Nutzung von LED-Leuchten sind nur einige von einer Vielzahl von Maßnahmen. Wenn in den nächsten 30 Jahren nach und nach die AKW abgeschaltet werden und wir es gleichzeitig schaffen, unseren Verbrauch von fossilen Brennstoffen drastisch zu senken, dann ist die Vision „2050“, von einer Gesellschaft, die zu 100 Prozent erneuerbare Energien bezieht, mehr als nur eine naive Utopie, sondern sie ist machbar.

Die notwendig dieser Energiewende ist aber auch noch aus einem weiteren Grund von elementarer Bedeutung. Im Jahr 2009 hatte sich Japan dazu verpflichtet, seine selbstgesteckten Klimaziele aus dem Kyoto-Protokoll unbedingt verwirklichen zu wollen. Auch in diesem Zusammenhang gibt es Stimmen, die behaupten, dass diese Ziele nicht mehr erreichbar seien, nach allem, was in Fukushima passiert ist.

Einen Sommer ganz ohne Atomenergie

Der WWF Japan versucht nach wie vor, den Fokus der Bevölkerung auf diese weltweite Verantwortung zu richten. Etwa 90 Prozent der CO2-Emissionen unseres Landes resultieren aus der Energiegewinnung. Es ist unsere Aufgabe, die japanische Gesellschaft darüber aufzuklären. Die Energiewende läutet einen Strukturwandel ein. Wir sind auf dem Weg hin zu wirklich sicheren Technologien und zum anderen zu nachhaltigen und umweltfreundlichen Konzepten. Festzuhalten bleibt im Übrigen noch, dass die CO2-Emissionen im Zuge der Katastrophe nicht angestiegen sind. Und das obwohl fossile Brennstoffe den Ausfall der Kernenergie kompensieren mussten.

Das bedeutet, dass die Japanische Bevölkerung bereits jetzt es geschafft hat, so viel Energie einzusparen. Die im Kyoto-Protokoll vereinbarte Verringerung der Kohlenstoffdioxid-Emissionen um sechs Prozent ist demnach für Japan immer noch möglich. Derzeit gibt es in Japan 54 Atomkraftwerke. Derzeit sind alle bis auf zwei Reaktoren turnusmäßig für Kontrollen vom Netz genommen worden. Im April werden auch diese beiden Verbliebenden abgeschaltet und Japan wird einen Sommer ganz ohne Atomenergie erleben. Genau in diesem Sommer wird sich auch über den Energieplan 2020/2030 abgestimmt. Wir werden in dieser Zeit Aufklärungsarbeit leisten, damit wir die offene Diskussion in Japan erhalten.