Wuppertal. . Wird Anori der nächste Knut? Wuppertal freut sich über seinen kleinen Eisbären. Das Medieninteresse ist bundesweit groß. Doch Tierschützer sind nicht erbaut vom erwarteten Rummel um den Nachwuchs. Sie lehnen die Haltung von Eisbären in Gefangenschaft generell ab.
Das Eisbär-Knäuel rollt sich auf Mutter Vilma zusammen und lässt sich abschlecken. Schnitt. Anori nuckelt und schläft und kuschelt sich an Mamabär. Schnitt. Siehe da: Es hat die Augen geöffnet und blickt zum ersten Mal in diese Welt. In Endlosschleife sind Anoris erste Eisbärwochen auf einem Bildschirm im Pinguinhaus des Wuppertaler Zoos zu sehen -- eine zehnminütige Zusammenschau der süßesten Szenen, die Videokameras mit leichtem Blaustich seit dem Geburtstag am 4. Januar rund um die Uhr in der Geburtshöhle aufzeichnen. Steuert Wuppertal da auf eine Knut-Hysterie zu?
Tödlicher Beschützerinstinkt
Kein Mensch darf diesen Raum betreten. Vilmas Beschützerinstinkt wäre vermutlich tödlich, erklärt Zoodirektor Ulrich Schürer. Also gibt es Kameras. Tierpflegerinnen beobachten das Mutter-Kind-Verhältnis und notieren, wie oft Anori trinkt. Und Parkbesucher bekommen durch die Bilder immerhin schon einen ersten Eindruck von dem Kleinen. Die Aufnahmen lassen vermuten, dass es ein Weibchen ist, sagen die Pflegerinnen. Sie schätzen, dass das Tier inzwischen rund vier Kilo wiegt und so groß ist wie ein Schnauzer. Noch bis mindestens April werden sich Mutter und Baby in der Höhle verkriechen. Spätestens mit den ersten Schritten raus ins Gehege wird es vorbei sein mit Ruhe und Zweisamkeit.
Blitzlichtgewitter, dichtes Gedränge vor der Eisbärlandschaft, Kinderhände, die an Gehege-Scheiben patschen: So wird es vermutlich ablaufen. Anori ist in diesem Jahr das einzige Eisbärbaby, das in einem deutschen Zoo zur Welt gekommen ist. Vater des Kleinen ist Lars – der Eisbär also, der 2006 Knut zeugte, die Berliner Tiergarten-Sensation. Knut war eine Handaufzucht, die Mutter hatte ihn verstoßen. Das ist bei Anori – bisher – nicht passiert. Trotzdem ist das Medienecho auf das Kleine in Wuppertal schon jetzt riesig, sogar in Gottschalks Vorabendshow waren die Kamerabilder zu sehen.
Eisbär-Baby bekommt mehr Aufmerksamkeit als Nachwuchs beim Roten Felsenhahn
Hunderte Tierbabys kommen jedes Jahr im Wuppertaler Zoo zur Welt. Wenn aber etwa der Rote Felsenhahn Nachwuchs bekommt, was zoologisch durchaus eine Sensation ist, lockt das maximal zehn Ornitologen mehr in den Tiergarten. Anori hingegen, so viel scheint festzustehen, wird ein Publikumsmagnet. „Klar kommen wir wieder, wenn man das Baby sehen kann“, sagt Besucher Uwe Heldmann, der mit Tochter Cleo im Moment noch lieber die lebendige Pinguin-Parade beobachtet als den flackernden Eisbär-Bildschirm gegenüber.
„Anori ist in erster Linie ein Erfolg für die Nachzucht“, findet Zoodirektor Schürer. Seit 1976 dürfen Tiergärten keine in freier Wildbahn gefangenen Eisbären aufnehmen. Sie brauchen die eigene Nachzucht, sonst könnten sie die Raubtiere bald nicht mehr zeigen. Für Schürer ist es deshalb nicht mehr als „ein schöner Nebeneffekt“, dass wegen des knuddeligen Eisbärenbabys im Frühling höchstwahrscheinlich deutlich mehr Gäste in den Park strömen werden, behauptet er. Rund 650 000 sind es bisher im Jahr.
Das wollen ihm Tierschützer nicht abnehmen. „Hier soll ein neuer Star aufgebaut werden. Marketing und Eintrittsgelder sind Wuppertal wichtiger als eine nachhaltige Eisbärzucht“, kritisiert Marius Münte vom Deutschen Tierschutzbund. Warum sonst, fragt er, begleitet der Zoo jeden kleinen Eisbärfortschritt eigens mit einer Pressemitteilung?
Enormer Stress in Gefangenschaft
Tierschutzorganisationen wie der Deutsche Tierschutzbund oder Peta lehnen eine Eisbärhaltung in Zoos ab. Die Raubtiere seien in Gefangenschaft einem enormen Stress ausgesetzt, argumentieren sie. Eisbären seien Einzelgänger, die in freier Wildbahn täglich bis zu 100 Kilometer übers Packeis wanderten. Gehege in Tiergärten könnten diesen natürlichen Lebensraum niemals abbilden.
Problematisch sind aus Tierschützersicht auch die Nachzuchtbemühungen. Weil es nur eine begrenzte Zahl von Eisbären in europäischen Zoos gibt, müssten zur Zeugung meist Tiere zusammengebracht werden, die bereits miteinander verwandt sind, will Edmund Haferbeck von Peta wissen. Diese Inzucht könne junge Eisbären verstärkt anfällig für Krankheiten machen, urteilt er. Anoris Eltern, Lars und Vilma, hätten denselben Großvater.
Eltern sind miteinander verwandt
Zoodirektor Schürer will die verwandtschaftliche Beziehung der Eisbäreltern nicht bestätigen. Von „diesem Blödsinn“ will er ohnehin nichts mehr hören. Dass Vilma und Lars entfernt miteinander verwandt sind, habe „überhaupt keine Bedeutung“ für das kleine Eisbärbaby. Im Rahmen des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms werde streng kontrolliert, welche Tiere Kinder miteinander zeugen dürfen. Ohnehin: Bislang zeigten die Kamerabilder ein gesundes Junges, das von seiner Mutter liebevoll aufgepäppelt werde.
Die kritische Phase ist allerdings noch nicht vorbei. Noch immer kann es passieren, dass Vilma sich von Anori abwendet. Ein Geschwisterbaby, das mit Anori zur Welt gekommen war, hatte es nicht geschafft. Die Mutter hat es aufgefressen, nachdem es gestorben war. Wie bei Eisbären üblich.
Verlegung in einen anderen Zoo
Bis an ihr Lebensende zusammen bleiben werden Vilma und Anori ebenfalls nicht. Sollte Anori zu einem gesunden Eisbären heranwachsen, wird sie nach einem Jahr in einen anderen europäischen Zoo verlegt. Um dort mit einem Partner für weiteren Nachwuchs zu sorgen.
Nachwuchs in Wuppertal