Essen. . Die junge Arzu Ö. wurde von der eigenen Geschwistern verschleppt, weil sie sich in einen Deutschen verliebt hatte. Seit sieben Wochen gibt es kein Lebenszeichen. Vielleicht ist die junge Frau tot. Doch es gibt Menschen, die für Arzu kämpfen.

Seit sieben Wochen gibt es von ihr kein Lebenszeichen. Von Arzu Ö., der Kurdin aus Detmold, die sich in einen jungen Deutschen verliebt hatte. Wurde sie Opfer eines „Ehrenmordes“? Die Hoffnung jedenfalls, sie lebend wiederzufinden, sinkt mit jedem weiteren Tag. Ihre fünf Geschwister, die sie in der Nacht des 1. Novembers mit vorgehaltener Pistole verschleppten, sitzen seitdem in Untersuchungshaft und schweigen konsequent. Inzwischen gründete sich auf Facebook eine kleine Gruppe, die die Suche nach Arzu nicht aufgibt.

Katharina Sänger ist die Frau, die Arzu Ö. das schöne, lange Haar abschnitt. „Schneid sie kurz, färb’ sie, setz Dir eine Sonnenbrille auf, damit man Dich nicht mehr erkennen kann“, hatte sie zu Arzu gesagt. Im September war das, als Arzu aus Angst vor ihrer Familie bereits ins Frauenhaus geflohen war. Man hatte sie geschlagen, zu Hause eingesperrt und den Kontakt mit ihrem deutschen Freund Alex verboten. Der Vater soll geplant haben, sie mit einem Türken jesidischen Glaubens zu verheiraten. Bevor es jedoch dazu kam, gelang Arzu die Flucht, suchte Hilfe bei der Polizei, die sie im Frauenhaus unterbrachte.

„Arzu war sehr verliebt“

„Ich war ein paar Tage vorher ausgezogen und noch einmal zu Besuch dort, als ich Arzu kennenlernte“, erzählt die 31-jährige Katharina Sänger. Sie habe Arzu als ein liebes, junges Mädchen erlebt, das in seinen Freund, den Bäckergesellen Alex, sehr verliebt gewesen sei. Ihre Angst vor der Familie sei groß gewesen. „Arzu hat zu mir gesagt, wenn sie irgendwann einmal verschwunden sein sollte, sei sie entweder tot oder in der Türkei verheiratet worden“, erinnert sich Katharina Sänger.

Bereits kurz nach dem 1. November, jener Nacht also, in der Arzu von ihren Geschwistern aus der Wohnung ihres Freundes Alex verschleppt worden war, hat Katharina Sänger für Arzu eine Seite bei Facebook unter ihrem Namen eröffnet. Darauf informiert sie über die neuesten Entwicklungen in dem Fall, über Medienberichte und startet gerade einen Aufruf, den Geschwistern Arzus Briefe ins Gefängnis zu schicken, um sie zu bitten, ihr Schweigen zu brechen.

Die verschleppte Kurdin Arzu Ö. Foto: Polizeipraesidium Bielefeld/dapd
Die verschleppte Kurdin Arzu Ö. Foto: Polizeipraesidium Bielefeld/dapd

Katharina Sänger und die kleine Facebook-Gruppe mögen die Hoffnung nicht aufgeben, dass Arzu noch lebt und womöglich zu einer „Umerziehung in die Türkei oder bei Familienmitgliedern in Deutschland untergebracht wurde“. „Ich wünsche mir, dass sie noch lebt, aber mein Verstand sagt mir, dass es immer unwahrscheinlicher wird“, sagt Sänger.

Auch die Ermittlungskommission der Bielefelder Polizei sucht unermüdlich weiter nach Arzu. Nachdem Zeugen von Schüssen in der Entführungsnacht berichtet hatten, durchforstete eine Hundertschaft die Wälder rund um Detmold. Vergeblich. Auch durch die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY ungelöst“, die sich Arzus Geschichte annahm, ergab sich keine neue Spur. „Nach der Ausstrahlung bekamen wir elf Hinweise aus der Bevölkerung, doch keiner brachte den Durchbruch“, sagt Polizei-Sprecherin Sonja Rehmert.

Das Mädchen mit dem offenen Gesicht

Wo also ist Arzu Ö., die Tochter jener türkischstämmigen Familie, die vor 30 Jahren nach Detmold kam, die ihren Nachbarn so integriert erschien wie kaum eine andere? Starb sie noch in der Nacht ihrer Entführung oder lebt sie irgendwo, versteckt von ihrer Familie oder deren Helfern? Polizeisprecherin Rehmert sagt, beides sei denkbar.

Arzu Ö.. Jenes Foto, das die Polizei von ihr veröffentlichte, zeigt ein junges Mädchen mit modischem Kurzhaarschnitt. Ein offenes Gesicht. Doch so modern, so westlich sie auch wirken mag, so traditionell denkt ihre Familie. Eine Beziehung zu einem Deutschen, zu einem Andersgläubigen passt nicht in ihr Weltbild. „Arzu hat erzählt, wie es gewesen ist, als sie zuhause eingesperrt war. Wann immer jemand in das Zimmer gekommen sei, habe Arzu nicht gewusst, ob er Essen in der Hand hielt oder eine Pistole“, sagt Katharina Sänger. In der Nacht des 1. Novembers dann sind die fünf Geschwister bewaffnet.