Essen. . Die Lateinamerika-Hilfsaktion Adveniat mit Sitz in Essen hat in 50 Jahren mehr als 200.000 Projekte unterstützt. Am Samstag feiert sie ihr Jubiläum. 95 Mitarbeiter aus elf Nationen kümmern sich um die Nöte der Projektpartner jenseits des Atlantik.
Von Rhein und Ruhr ist Lateinamerika mindestens 7500 Kilometer entfernt. Und doch hat man zwischen Mexiko und Feuerland gute Chancen auf ein besonders herzliches Willkommen, wenn man sich als jemand aus der Nähe von Essen zu erkennen gibt. Zumindest, wenn der Gastgeber katholisch und arm ist – was in Lateinamerika beides nach wie vor eher die Regel ist. Essen ist dort jedenfalls ein Begriff – dank Adveniat. Seit 50 Jahren hat die deutsche Lateinamerika-Hilfsaktion hier ihren Sitz und seitdem mithilfe der Spenden aus Deutschland mehr als 200 000 Projekte mit insgesamt über zwei Milliarden Euro gefördert.
Von außen sieht man Adveniat – laut „Spenden-TÜV“ DZI einer der zehn größten deutschen Spendensammler – weder ihre Geschichte noch ihre Bedeutung an. Ein schlankes Bürohochhaus in der Essener City beherbergt in den oberen Etagen die Zentrale der Hilfsaktion. Doch kaum öffnet sich in Etage vier die Tür zum Empfang, spürt man die besondere Kultur dieses Hauses. Nicht nur wegen der knallbunten Kreuze und Lesezeichen, die hier in Verkaufsvitrinen ausliegen. Sondern auch wegen der Begrüßung, die hier auf Spanisch oder Portugiesisch oft akzentfreier klingt, als auf Deutsch.
95 Mitarbeiter
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95 Mitarbeiter aus elf Nationen kümmern sich hier um die Nöte der Projektpartner jenseits des Atlantik. Hier geht es um den Wiederaufbau von Haiti, dort um Friedensarbeit in Bolivien, einen Flur weiter um Hilfe für die Slums in den Mega-Städten Brasiliens. In jedem dieser Büros landen täglich Dutzende E-Mails – immer seltener Briefe –, mit Bitten um Hilfe. Zum Beispiel für ein neues Auto für eine 3000 Quadratkilometer große Urwald-Pfarrei. Oder für den Bau eines Multifunktionssaals – „im Moment ein klassisches Adveniat-Projekt“, wie Sprecher Christian Frevel erklärt. „Da gibt’s am Sonntag Gottesdienst, samstags Glaubensunterricht und werktags Gewerkschaftstreffen, Hebammen-Sprechstunden oder Fortbildungsveranstaltungen.“ So ganzheitlich wie das Leben einer lateinamerikanischen Gemeinde sei auch die Position der Priester, sagt Frevel. „Die sind nicht nur Seelsorger, sondern oft auch Menschenrechts- und Umweltaktivisten, Lebensberater und Taxifahrer.“ Oft sind andere Verkehrsmittel Mangelware.
Im Büro nebenan kümmert sich Magdalena Holztrattner um Projekte aus Mexiko – angesichts des blutigen Drogenkriegs derzeit Lateinamerikas Krisenherd Nummer 1. Mehrere Zehntausend Menschen sind dem Kampf zwischen Drogenbanden und Polizei schon zum Opfer gefallen. „Die täglich Ermordeten sind die ,kleinen Fische’ im Drogengeschäft“, sagt Holztrattner. Erst vor Kurzem war sie selbst in der Region Tarahumara unterwegs. „Die Bauern dort leben vom Marihuana-Anbau“, sagt Holztrattner. Die Erlöse für die Drogenpflanze seien höher als für jedes andere Produkt. „Die Lösung des Problems, liegt bei uns, in den industrialisierten Ländern“, sagt die Theologin. Zentrale Aufgabe der von Adveniat unterstützten Kirchengemeinden vor Ort sei es, „in diesem Klima des Misstrauens Gemeinschaft aufzubauen und das Gute im Menschen zu fördern.“ Und ihr Chef, Adveniat-Geschäftsführer Prälat Bernd Klaschka, ergänzt: „Die Kirche ermahnt diejenigen, die in diesen Drogenkrieg verstrickt sind, das menschliche Leben und die Würde jeder Person zu achten.“
Gerade in Mexiko kennt sich Klaschka aus, schließlich war er dort selbst insgesamt 15 Jahre als Priester tätig. „Adveniat fühlt sich der Evangelisierungsarbeit der Kirche in Lateinamerika verpflichtet“, sagt er. Und wenn man die „frohe Botschaft Jesu Christi“ ernst nehme, „muss man sich mit den Armen solidarisieren“. Dabei sei nicht nur Nahrung, sondern etwa auch Bildung wichtig, um den Menschen ihre Würde wiederzugeben. „Armut ist der schlimmste Feind des Menschen, weil sie den Mensch am Menschsein hindert“, so Klaschka. Für eine bessere Welt einsetzen könnten sich die Adveniat-Mitarbeiter jedoch allein mithilfe der Spenden aus Deutschland, „für diese Solidarität bin ich sehr, sehr dankbar.“
„Reich wird hier niemand“
Die „Option für die Armen“, wie es bei Adveniat heißt, ist auch in der Essener Zentrale spürbar. Die Büroausstattung ist zweckmäßig. Und die Angestellten - teils europaweit anerkannte Spezialisten - bekämen Tarifgehalt, sagt Christian Frevel. „Reich wird hier niemand.“ Zumal Adveniat selbst den Gürtel enger schnallen muss: Die Einnahmen aus der Haupteinnahmequelle Weihnachtskollekte gehen angesichts sinkender Kirchenbesucherzahlen zurück. Zwar hat Adveniat auch Spender außerhalb der Kirche - etwa den Evonik-Konzern - „aber die anderen Spenden steigen nicht stark genug an“, sagt Frevel. „Unsere Hilfe wird aber weiter dringend gebraucht.“