Essen. Das Essener Uniklinikum lässt seine Versicherung für die Anwaltskosten des suspendierten Chefarztes Prof. Broelsch aufkommen. Und das, obwohl die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass die Klinik selbst betrogen wurde.
Keine sechs Wochen ist es her, da ordnete der Rektor der Universität Duisburg-Essen, Prof. Lothar Zechlin, die Dienstenthebung des Essener Starchirurgen Prof. Christoph Broelsch an. Zu konkret waren die Betrugs-Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, als dass man den früheren Leibarzt Johannes Raus noch hätte halten können. Jetzt nimmt der Fall eine kuriose Wendung: Das Klinikum, selbst laut Ermittlungen in 31 Fällen von Broelsch betrogen, gewährt seinem suspendierten Chefarzt Rechtsschutz. Heißt, seine Anwaltskosten zahlt nicht er, sondern die Versicherung der Uni-Klinik.
Der Fall Broelsch, er sorgt seit Monaten bundesweit für Aufsehen: Ein Star-Chirurg, eine Kapazität auf dem Gebiet der Transplantationschirurgie, soll todkranken Menschen fünf- oder sechsstellige Summen abverlangt haben, bevor er, "ihre letzte Hoffnung", sie operierte. Das Bild, das die Ermittler von ihm zeichnen, es schmeichelt ihm nicht. Danach nahm der Chefarzt Geld, wo immer er meinte, es nehmen zu können. Auch für Chefarzt-Operationen, die er gar nicht selbst durchführte. Die Staatsanwaltschaft geht soweit, ihm vorzuwerfen, er habe Menschen, die in anderen angesehen Kliniken als "austherapiert", als hoffnungslos galten, regelrecht erpresst.
Dass nun das Klinikum ihm Rechtsschutz zugesteht, mutet merkwürdig an. Wie alle Krankenhäuser hat natürlich auch die Uniklinik Essen ihre Beschäftigten gegen Strafverfahren rechtsschutzversichert, soweit das Verfahren im Zusammenhang mit einer dienstlichen Tätigkeit steht. Heißt, verklagt ein Patient einen Arzt etwa wegen einer misslungenen Operation, steht diesem Rechtsschutz durch die Versicherung seiner Klinik zu. Auch Prof. Broelsch, so heißt es, habe der Justitiarin des Uni-Klinikums einen solchen Antrag vorgelegt. Deren Veto soll jedoch später vom Dekanat der Medizinischen Fakultät korrigiert, in eine Zustimmung abgeändert worden sein.
"Bei internen Rechtsstreitigkeiten verweigern wir im Auftrag des Krankenhauses eigentlich die Deckung", sagt Bettina Hesse von der ÖRAG, dem Rechtsschutz der öffentlichen Versicherer, zu deren Kunden viele Krankenhäuser gehören. Wenn in so einem Fall die Klinik die Geschädigte ist, erwarte die Versicherung auf jeden Fall deren Zustimmung. "Schließlich geht es um richtig Geld. Im Fall Broelsch bestimmt um Kosten von 100 000 Euro", so Hesse.
Der Vorstand des Uniklinikums erklärte der WAZ gestern, er habe diese Entscheidung getroffen "ohne Rücksicht auf die Person des Beschuldigten": "Sie wurde allein aus dem Fürsorgegedanken des Arbeitgebers getroffen, einem Mitarbeiter die Möglichkeit zu sichern, sich in einem Ermittlungsverfahren rechtsanwaltlich vertreten zu lassen."
Dabei soll auch das Klinikum selbst von Prof. Broelsch betrogen worden sein. In 31 Fällen habe er alternativ zu einem Wahlleistungsvertrag, wie er bei Privatpatienten abgeschlossen wird, gegen Spenden operiert. Die Spenden der Kassenpatienten flossen auf ein Drittmittelkonto für Forschungszwecke. Bei einem Wahlleistungsvertrag hätte Prof. Broelsch 35 Prozent der Einnahmen an die Uniklinik abführen müssen.
Steuerhinterziehung, Vorteilsnahme, Erpressung, Betrug, Verstoß gegen das Transplantationsgesetz. . . inzwischen soll Prof. Broelsch sich von mehreren Anwälten vertreten lassen, darunter der prominente Frankfurter Strafrechtler Prof. Rainer Hamm, der im Mannesmann-Prozess den früheren IG-Metall-Chef Klaus Zwickel verteidigte.
Nach der Hausdurchsuchung in Broelschs Düsseldorfer Wohnung und seinen Klinikräumen im Oktober heißt es in Ermittler-Kreisen "man drehe nun jeden Stein um", werde juristische und medizinische Gutachter bemühen, letztere, um Broelsch "auf Augenhöhe begegnen zu können".
Nach WAZ-Informationen überprüfen die Fahnder zur Zeit auch 70 Fälle von sogenannten Lebendspenden. Transplantationen, bei denen Ausländer nach Essen angereist kamen mit (angeblichen) Verwandten oder Freunden, die ihnen etwa eine Leber spenden wollten. In Deutschland sind Transplantationen nur in solchen Fällen legal, wenn eine enge Beziehung zwischen Spender und Empfänger existiert.
Schon 2003 waren gegen Broelsch Vorwürfe erhoben worden, er habe Patienten aus Israel Organe von Spendern aus Moldawien eingepflanzt. Offenbar geben auch nach 2002 Namen von Spendern und Empfängern Anlass für intensivere Ermittlungen.
Das NRW-Wissenschaftsministerium, das Prof. Broelsch einst eingestellt hatte, mochte gestern den Rechtsschutz für den Chirurgen nicht kommentieren. Das Klinikum sei inzwischen eigenständig, erklärte ein Sprecher, der Fall liege allein in dessen Verantwortung.