Gelsenkirchen. . Eine Gelsenkirchenerin Professorin sollte an die HTWK Leipzig wechseln. Das Ministerium lehnte ab, weil sie eine überstandene Krebserkrankung bekannt gemacht hatte – und löste eine ethische Debatte aus.

Studenten pro­testieren, die Technische Fachhochschule in Leipzig bleibt führerlos, das sächsische Wissenschaftsministerium gerät unter Druck, steht schon jetzt moralisch in der Ecke: Die Karriere von Renate Lieckfeldt ist zum Politikum geworden. Die Gelsenkirchener Professorin sollte eigentlich zum Mai als neue Rektorin an die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) in Leipzig wechseln – doch nun verweigert ihr das Ministerium den Posten: wegen einer im Jahr 2010 überwundenen Krebserkrankung.

Begründung: Die in NRW bereits verbeamtete Lieckfeldt sollte auch in Sachsen Wahlbeamtin auf fünf Jahre werden. Das Gesetz sieht in diesem Fall ein Gesundheitsgutachten vor, und das bescheinigt Lieckfeldt, sie könne in den nächsten fünf Jahren erneut erkranken und zur Belastung für den Steuerzahler werden. Das Ministerium zog die Reißleine – obwohl es erheblichen Ermessensspielraum hat. Und so drängt neben der juristischen Frage die moralische in den Vordergrund.

Die Studenten empfinden das Vorgehen der parteilosen Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer als „menschenverachtende Diskriminierung“. Sie be­setzten das Rektorat, zogen Transparente auf, machten Musik. Christian Wille, Sprecher des Studentenrats: „Wir haben ein Recht auf eine demokratisch gewählte Rektorin – unabhängig von ihrer Person.“

Notfalls will sie klagen

Tatsächlich ist die Gelsenkirchenerin bereits im Januar vom Erweiterten Senat gewählt worden, knapp im dritten Durchgang. Aber auch hier ging ein Nervenkrieg voraus. Der Hochschulrat hatte zuvor die Bewerbung Lieckfeldts ignoriert und lediglich den bisher amtierenden Rektor Hubertus Milke aufgestellt. An der Uni kursieren Gerüchte, es gebe CDU-Seilschaften ins Ministerium. Lieckfeldt erklagte eine neue Wahl – und gewann. Auch wegen dieser Vorgeschichte hat der jetzige Einspruch aus dem Ministerium für die Studentenvertreter „einen sehr unangenehmen Beigeschmack“.

Die Professorin für Technisches Management gibt sich jedenfalls erneut kämpferisch. Sie will notfalls klagen. Schließlich hat sich ihre ganze Familie schon auf einen Umzug nach Leipzig vorbereitet, einer ihrer drei Söhne ist bereits vor Ort. Doch zunächst gibt es am Dienstag ein Gespräch im Ministerium. Eine mögliche Lösung: Lieckfeldt könnte als Angestellte Rektorin werden. Eine unbefriedigende Lösung, finden die Studenten: Lieckfeldt wäre arbeitsrechtlich schlechter gestellt. „Es wäre für die Ministerin einfacher, sie wieder loszuwerden“, sagt Wille.

Es geht längst ums Prinzip. Zum Beispiel hat sich Christian Wolff eingeschaltet, Pfarrer der Leipziger Thomaskirche, und kritisiert die Entscheidung in einem offenen Brief an Ministerin Schorlemer als „verheerende Botschaft“ an erkrankte berufstätige Menschen. Und wie würde das Ministerium wohl bei Kettenrauchern oder Übergewichtigen verfahren?

Auch Übergewicht ist oft ein Knackpunkt

Nun, tatsächlich ist Übergewicht – meist in Verbindung mit Diabetes – oft ein Knackpunkt bei Verbeamtungen. Der Fall Lieckfeldt ist eher der Regelfall. Im März 2008 lehnte das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen die Klage eines an Diabetes erkrankten Bewerbers ab. Und das Oberverwaltungsgericht NRW bestätigte im September 2005 die Entlassung einer Beamtin während der Probezeit wegen Neurodermitis und Allergien. Das Beamtenrecht tickt anders. Denn den normalen Arbeitnehmer kann man einfacher entlassen, der Beamte bezieht Geld auf Lebenszeit.

426.000 Menschen erkranken jedes Jahr neu an Krebs, viele im berufsfähigen Alter, sagt Prof. Peter Propping, Humangenetiker aus Bonn und im Vorstand der Deutschen Krebshilfe. Aus pragmatischen Gründen aber auch aus ethischer Sicht müsse der Gesetzgeber das Recht anpassen. Nur eine akute Erkrankung solle ausschlaggebend sein für eine Einstellung und unter Umständen die Prognose für die Probezeit. „Die Rückfallrate eine Tumors kann sehr variabel sein. Es wird immer mit Prozentzahlen enden. Und man muss eine Grenze ziehen ... Die Krebskranken sind mit ihrer Krankheit genug gestraft.“