Dortmund. Der Rohstoffmulti K+S sowie die Energieriesen RWE und EnBW schickten jahrelang zehntausende von Tonnen mit PCB belastetem Material an die Dortmunder Skandalfirma Envio. Und die Bezirksregierung sah zu.

Massenweise kippten deutsche Spitzenunternehmen ihren Giftmüll im Dortmunder Hafen ab. Allein der Rohstoffmulti K+S sowie die Energieriesen RWE und EnBW schickten jahrelang zehntausende von Tonnen mit PCB belastetem Material an die Skandalfirma Envio. Was daraus wurde, kümmerte niemanden.

Das größte Giftgrab der Welt liegt in 800 Meter Tiefe: die Untertagedeponie (UTD) Herfa-Neurode. In dem hessischen Salzstock lagern „die verseuchtesten Transformatoren überhaupt“, sagt Michael Müller, PCB-Berater der Vereinten Nationen. Betrieben wird die Grube von der K+S Entsorgung GmbH. Die Tochter der im DAX notierten K+S AG pflegte schon seit 1995 mit dem Dortmunder Ableger des Weltkonzerns ABB geschäftliche Kontakte. 2004 stieß ABB die Entsorgungssparte ab. ABB-Manager Dirk Neupert übernahm sie und nannte die neue Firma Envio.

Nach einer ersten Versuchslieferung in 2002 kamen die Geschäfte zwischen der Skandalfirma und der Giftmüllgrube richtig ins Rollen. K+S-Sprecher Ulrich Göbel bestätigt „regelmäßige Belieferungen von Envio“ – fünfeinhalb Jahre lang, von November 2004 bis April 2010. Rund 14 000 Tonnen ultraverseuchte Großtransformatoren wurden aus Herfa-Neurode in den Dortmunder Hafen geschafft. K+S kassierte doppelt. Für jede eingelagerte Tonne Giftmüll streicht der Salzstock-Betreiber 260 Euro ein. Jede ausgelieferte Tonne kostet noch einmal. Wie viel, das verschwieg der Sprecher – „aus Wettbewerbsgründen“.

Der Fokus lag auf den Rohstoffpreisen

Statt auf fachgerechter Reinigung der PCB-Trafos lag der Fokus auf den Rohstoffpreisen. Foto: Franz Luthe
Statt auf fachgerechter Reinigung der PCB-Trafos lag der Fokus auf den Rohstoffpreisen. Foto: Franz Luthe © WR/Franz Luthe

Auch Envio scheffelte Geld. Statt auf fachgerechter Reinigung der PCB-Trafos lag der Fokus auf den Rohstoffpreisen. Die Erlöse für Kupfer und Aluminium kletterten zwischen 2006 und 2008 auf Rekordhöhen. Envio erhöhte die Produktion, aber nicht die Reinigungskraft. Marode Maschinen liefen auf Hochtouren – zum Teil ohne Genehmigung, was die Bezirksregierung wusste, aber nicht ahndete. Das Ende ist bekannt: 280 Arbeiter und Angehörige haben hohe PCB-Konzentrationen im Blut, drei Dutzend Arbeiter sind extrem vergiftet, das 55.000 qm große Envio-Firmengelände ist verseucht.

Für PCB-Experte Müller eine Katastrophe mit Ansage. „Die Envio-Technik konnte verseuchte UTD-Trafos gar nicht reinigen“, weiß der UN-Berater. Dessen ungeachtet lief die ursprünglich auf sechs Monate befristete Versuchsanlage der Giftfirma fünf Jahre lang. Selbst als die Bezirksregierung 2007 „Abweichungen vom genehmigten Betrieb“ erkannte, zog sie nicht die Stilllegungsoption. Heute gibt Arnsberg zu, dass die Verseuchungen auf dem Envio-Areal „entscheidend durch den unsachgemäßen Umgang mit PCB-haltigen Bindemitteln verursacht“ wurden. Die giftigen Bindemittel stecken in jedem Trafo aus der Salzgrube.

Was die Skandalfirma unter Entsorgung verstand, brachte K+S nicht in Erfahrung. Die verseuchten Trafos „wollte Envio mit dazu geeigneten Verfahren aufbereiten“, sagt Göbel. Und: K+S habe sich „im Rahmen einer Auditierung von der Eignung und Zulassung des Recyclingbetriebes überzeugt und dazu auch die erforderlichen behördlichen Zulassungen und Zertifizierungen eingesehen“. Dass diese Papiere nichts über die Envio-Kompetenz aussagten, fiel nicht auf.

Andere Spitzenunternehmen schauten erst gar nicht in die Unterlagen. „Als zertifizierter Entsorgungsbetrieb“ habe Envio automatisch auch „als führender Anbieter dieser Dienstleistungen“ gegolten, „nicht nur national, sondern auch international“, meint ein RWE-Sprecher – Grund genug für eine Zusammenarbeit „über mehr als ein Jahrzehnt“. Ein Prüfer der DQS GmbH, die Envio zertifizierte, war nur dreimal bei der Skandalfirma vor Ort, jeweils im Mai 2010, dem Monat der Stilllegung.

Aus EnBW-Vorstand in den Envio-Aufsichtsrat

Diese dreiköpfige Familie wurde durch PCB in der Arbeitskleidung des Familienvaters vergiftet. Foto: Ralf Rottmann
Diese dreiköpfige Familie wurde durch PCB in der Arbeitskleidung des Familienvaters vergiftet. Foto: Ralf Rottmann © Ralf Rottmann

Schon die RWE-Vorgängergesellschaften schickten ihre Gift-Trafos nach Dortmund. Später ließen die Verteilnetzbetreiber der RWE Rheinland Westfalen Netz „nicht mehr benötigte Ortsnetztransformatoren und Großtransformatoren“ durch Envio entsorgen. Bis 2010, als die Skandalfirma aufflog, gingen „pro Jahr im Durchschnitt 30“ PCB-belastete RWE-Trafos dorthin.

Eine weitere Masche im Giftmüllnetz: RWE war auch Kunde von K+S. „Es ist richtig, dass in den 90er Jahren Trafos an Kali+Salz geliefert wurden“, bestätigt RWE. „Ob diese Trafos von K+S an andere Firmen weitergereicht wurden, können wir nicht ausschließen.“

Von 2005 bis 2010 schickte die Energie Baden-Württemberg, Nummer drei auf dem deutschen Strommarkt, Giftmüll zu Envio. EnBW-Sprecher Dirk Ommeln bestätigt „98 Bestellungen“. Die Auftragspalette umfasste „die Entsorgung von Transformatorenteilen, Kundentrafos, Spannungswandlern, Kondensatoren und Dienstleistungen wie Transport und Verladung“. Die Geschäftsbeziehungen waren eng, Übergänge fließend.

Auch personell. So stieg Ex-EnBW-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Hartkopf gleich nach seinem Ausstieg bei dem Energieriesen im Jahr 2007 in den Aufsichtsrat der Envio AG ein. Dort sitzt er heute noch. Der Bundesgerichtshof gibt Müll-Lieferanten auf, die fachgerechte Entsorgung zu prüfen. Wer das unterlasse, „verletzt seine Sorgfaltspflicht und handelt fahrlässig“.