Düsseldorf. Die Rechtsberatung für Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger soll eingeschränkt und teurer werden. NRW startete eine Gesetzesinitiative. Hintergrund sind die explodierenden Kosten. Der Präsident des Landessozialgerichts, Jürgen Brand, kritisiert: Die Arbeitslosen werden allein gelassen.
Das Land Nordrhein-Westfalen macht sich gemeinsam mit anderen Bundesländern dafür stark, dass die Rechtsberatung für Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger erschwert und teurer wird. Der Bundesrat stimmte am Freitag einer Gesetzesinitiative der Länder NRW, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu, wonach das Beihilferecht reformiert werden soll. Der Gesetzentwurf wird nach Beschluss der Länderkammer nun in den Bundestag eingebracht.
Schärfere Prüfung
Inhalt des neuen Gesetzes soll es sein, dass sich sozial Schwache wie Hartz-IV-Empfänger nicht mehr ohne Weiteres von einem Rechtsanwalt beraten lassen dürfen. Stattdessen sollen zunächst andere Möglichkeiten der Beratung ausgeschöpft werden. Bislang konnten Betroffene, die sich beispielsweise gegen ihren Hartz-IV-Bescheid zu Wehr setzen wollen, beim Amtsgericht Beratungshilfe beantragen und mit dem ausgestellten Berechtigungsschein einen Anwalt aufsuchen. Künftig soll die Bedürftigkeit des Antragstellers sowie die Notwenigkeit der Rechtsberatung genauer unter die Lupe genommen werden. Die Amtsgerichte sollen die Betroffenen stärker auf alternative Beratungsmöglichkeiten verweisen.
Des Weiteren soll der Gang zum Anwalt teurer werden: Wer sich von einem Anwalt vertreten lassen will, soll zu den bisherigen zehn Euro zusätzlich 20 Euro zahlen.
Justizministerin will Kosten sparen
Hintergrund für das Vorpreschen der Länder sind die stark gestiegenen Ausgaben bei der Rechtsbeihilfe. Nordrhein-Westfalens Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) sprach von einer «dramatischen Explosion der Kosten». Hauptursache sei neben den erhöhten Anwaltsgebühren vor allem, dass diese Beratung zunehmend «als allgemeine Lebenshilfe» in Anspruch genommen werde. Als solche könne sie durch die Justizhaushalte aber nicht finanziert werden. Die CDU-Politikerin kritisierte derzeit unklare gesetzliche Begrifflichkeiten und eine «großzügige Bewilligungspraxis».
Der Grund für die explodierenden Kosten ist vor allem die seit Jahren steigende Zahl der Hartz-IV-Klagen. Sie hat auch in diesem Jahr in NRW weiter zugenommen. Laut Landessozialgericht gingen bei den nordrhein-westfälischen Sozialgerichten in den ersten drei Quartalen dieses Jahres über 14.700 Hartz-IV-Klagen ein. Das bedeutete eine Zunahme um über 30 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Ausgaben seit 2002 verdreifacht
„Wir müssen die Kosten irgendwie in den Griff bekommen“, sagte der Sprecher des Justizministeriums, Ulrich Hermanski. Den Angaben zufolge haben sich die Kosten für die Rechtsbeihilfen in NRW seit 2002 verdreifacht und betrugen im vergangenen Jahr 18,9 Millionen Euro.
Kritik vom Präsident des Landessozialgerichts
Der Präsident des Landessozialgerichts in Essen, Jürgen Brand, verurteilte die Landesinitiative. „Ich bedauere das außerordentlich“, sagte er im Gespräch mit DerWesten.de. Viele Betroffene, die den Weg vor Gericht wählen, bräuchten eine Rechtsberatung, so Brands Erfahrung. Er bezeichnete die geplante Reform als „Einschnitt in die Rechtsstaatlichkeit“. Behörden würden die Bescheide ausstellen und gleichzeitig sollen sich diejenigen, die sich dagegen wehren wollen, von einer Behörde beraten lassen. „Das halte ich für äußerst merkwürdig“, sagte Brand. Die bisherige Erfolgsquote der Hartz-IV-Kläger ist hoch. Etwa jedes dritte Verfahren geht zugunsten der Kläger aus.
Kürzung bei Beratungsstellen
Die Gesetzesinitiative fällt fast zeitgleich mit einem anderen Sparschritt der Landesregierung zusammen: Zum ersten Oktober hatte das Land die Finanzierung der Arbeitslosenberatungsstellen gekürzt, nachdem die Förderung durch die EU ausgelaufen war. Viele Stellen mussten daraufhin schließen. „Man lässt die Arbeitslosen mit ihren Problemen allein“, kritisierte Jürgen Brand.