Duisburg. .
Sextäter Ricardo K. wohnte direkt an einer Grundschule. Zehn Tage nach seiner Entlassung hat der Mann offenbar ein zehnjähriges Mädchen überfallen. In NRW könnten 2010 noch 13 Sicherungsverwahrte freikommen
Für einen aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Sexualstraftäter hätte es wohl keinen unpassenderen Wohnort geben können. Das Wohnhaus, in dem der 47 Jahre alte Ricardo K. nach seiner Freilassung vor elf Tagen bei Verwandten Unterschlupf gesucht hatte, liegt direkt gegenüber einer Grundschule und in unmittelbarer Nähe von zwei Kindergärten.
Umso mehr machten sich gestern Wut und Ärger darüber breit, warum die Polizei den Entlassenen nicht rund um die Uhr bewacht hatte. Vor allem aber ist die Aufregung groß, weil die Behörde nicht stärker vor dem Gefahrenpotenzial des Mannes gewarnt hatte. Die Chance hätte bestanden: Am vergangenen Mittwoch besuchten zwei Kripo-Beamte die Schulkonferenz der Grundschule. Sie informierten allerdings nur oberflächlich über Möglichkeiten der Observierung und über die geänderte Gesetzeslage bei der Sicherungsverwahrung. Dass die Gefahr direkt auf der anderen Straßenseite lauert, blieb unerwähnt.
Einer von 15 ehemals Sicherungsverwahrten
Die spärlichen Informationen wollte die Schule ursprünglich erst heute Abend an die Eltern weitergeben. Auch in den umliegenden Kindergärten waren Elternabende geplant. Die Gefahr schien bis Sonntag auch nicht allzu groß zu sein. Denn wie die Duisburger Polizeipräsidentin Elke Bartels noch vor einer Woche auf NRZ-Nachfrage erklärte, würden „Beamte den Mann und sein Umfeld beobachten“. Bei „konkreten Anhaltspunkten für eine Gefährdung“ wolle man „die Betroffenen warnen und Verhaltenshinweise geben“. Warum die Behörde stattdessen die Beschattung eingestellt hatte, ließ sie gestern unbeantwortet.
Die Strategie der Duisburger Polizei bestand bis dahin darin, jegliche Panik zu vermeiden und gründete letztlich auf der Hoffnung, den Entlassenen irgendwie im Griff zu behalten. Wohl nicht nur, aber vor allem in Duisburg wird man eine solche Vorgehensweise überdenken müssen. Denn der nächste Sicherungsverwahrte, der entlassen werden könnte, hatte bereits vor Wochen erklärt, dass er sich ebenfalls in Duisburg niederlassen will. Ihn zieht es - Gerüchten zufolge - in das ebenfalls linksrheinische, beschauliche Dorf Baerl.
Fünf der 15 Entlassenen gelten weiterhin als gefährlich
K. ist einer von 15 Männern in Nordrhein-Westfalen, die in diesem Jahr aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden mussten. Sicherungsverwahrung wird gegen Straftäter verhängt, die als stark rückfallgefährdet gelten. Die Straßburger Richter hatten allerdings im Dezember 2009 entschieden, dass die in Deutschland seit 2004 mögliche nachträgliche und unbefristet geltende Anordnung von Sicherungsverwahrung nicht mit den Grundrechten vereinbar ist.
Fünf der 15 Entlassenen gelten laut NRW-Justizministerium weiterhin als gefährlich. K. gehörte nicht dazu. Von ihm gehe keine „hochgradige Gefahr für die Begehung schwerster Gewalt- und Sexualdelikte“ aus, attestierte ein Gutachter, weswegen ihn das Oberlandesgericht Hamm auf freien Fuß setzte. Nach seiner Entlassung am 18. November aus der Justizvollzugsanstalt Werl griff bei K. wie bei allen ehemals Sicherungsverwahrten die „Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern“ (Kurs): Die örtliche Polizei, Berater des Landeskriminalamtes und Bewährungshelfer berieten darüber, wie mit dem Mann zu verfahren sei – etwa darüber, wie scharf er bewacht werden müsse. Da sich K. kooperativ verhielt und täglich seinen Bewährungsauflagen nachkam, wurde die Überwachung offenbar gelockert; wohl auch deshalb, weil die Polizei sich bei der Observation von Freigelassenen auf rechtlich äußerst dünnem Eis bewegt.
„So etwas wird sich wiederholen“
In diesem Jahr werden noch bis zu 13 weitere Sicherungsverwahrte in NRW freigelassen. Für die Polizei ein Horrorszenario: Ein Vorfall wie der in Duisburg „wird sich wiederholen, wenn wir nicht schnellstmöglich ein Unterbringungsrecht unabhängig vom Strafrecht bekommen“, warnte Frank Richter, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) gegenüber der NRZ. „Das sind Zeitbomben, die ticken.“ Um eine Drei-Schichten-Bewachung zu gewährleisten, benötige man in jedem Einzelfall 30 bis 40 Polizisten: „Wir werden nicht in der Lage sein, überall eine Rund-um-die Uhr-Betreuung zu leisten.“ Dringend nötig sei es, für diese entlassenen Straftäter die Möglichkeit einer Unterbringung zu schaffen, wie es sie schon für psychisch Kranke gebe, wenn diese sich oder andere gefährden. „Hier fehlt uns aber bislang die rechtliche Möglichkeit“, so Richter.
Die gute Nachricht: Dem Mädchen, das Ricardo K. angegriffen haben soll, geht es verhältnismäßig gut. „Das Kind ist unverletzt und psychisch stabil“ teilten die Beamten gestern mit.