Herne/Bonn. .

Eine 30-Jährige Bonnerin soll eine junge Afrikanerin zur Prostitution gezwungen haben. Als Druckmittel benutzte sie „Voodoo-Zauber“ – nicht der erste Fall dieser Art. Eine Hernerin stand immer Sommer in Dortmund vor Gericht.

Plötzlich müssen sie sich mit einem grausamen Zauber beschäftigen. Der ist selbst für hartgesottene Kriminalisten neu und mit gesundem Menschenverstand nur schwer zu verstehen. Eine Magie ist es, die von der afrikanischen Westküste kommt und hier den Ermittlern den Atem stocken lässt. Denn sie und und Hilfsorganisationen bekommen die Qual der Opfer zu spüren – Mädchen und junge Frauen werden von Priestern in Nigeria seelisch zu käuflichem Geschlechtsverkehr genötigt, nach Deutschland und in andere europäische Länder mit falschen Pässen geschleust und über Tausende von Kilometern abhängig gehalten.

Anfang des Jahres gestand eine 32-jährige Frau aus Herne, mehrere junge Frauen als Prostituierte nach Deutschland geholt und mit einem Voodoo-Zauber gefügig gemacht zu haben. Eine 30-jährige Zuhälterin, im Rotlicht-Jargon „Madame“ genannt, wartet nun in Bonn auf ihren Prozess. Ein ähnlicher Fall: „Madame“ steht im dringenden Verdacht, ihr 20-jähriges Opfer mit Voodoo ähnlichen Drohungen zur Prostitution gebracht und ausgebeutet zu haben. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft ihre Anklage erhoben, in der auch der Vorwurf des Menschenhandels steht.

Leben in Wohlstand
versprochen

Menschenhandel – diesen Begriff benutzt auch Margit Forster, Sprecherin des Vereins „Solidarität für Frauen in Not“ (Solwodi). Sie spricht von einer „Vernetzung“ der neuen Methoden. Ahnungslosen Mädchen und Frauen wird in ihrer Heimat Nigeria ein Leben voller Verheißung, in Wohlstand versprochen. Mit dem Anreiz zudem, von Europa aus ihrer armen Familie zu helfen. In diese Erwartung hinein setzen die Verführer ihr Teufelswerk. Die Mädchen und Frauen werden unter seelischen Druck gesetzt. Mit einem Ritual, einer Mischung aus (auch christlicher) Religion, afrikanischem Brauchtum und Aberglaube.

„Tschu-Tschu“, so spricht Forster den Kult namens „Ju-Ju“ aus. Er ähnelt dem Geistergehabe des bekannten „Voodoo“. Ein Priester sammelt von den Arglosen intime Dinge. Schamhaare etwa, Fingernägel. Diese Zutaten („Pac“ genannt) werden in einem Schrein vergraben, an einem angeblich heiligen Ort. Dazu schwören die Opfer bei ihrem Leben, ihrer Gesundheit und der ihrer Familie absolutes Schweigen und: unbedingten Gehorsam.

Die angebliche Investition für ihre lockende Zukunft müssen die Mädchen und Frauen mit ihrem Körper abarbeiten. Sie müssen in Deutschland und den Nachbarstaaten Sex mit unzähligen Männern erdulden. Wenigstens solange, bis sie zwischen 40.000 und 70.000 Euro vermeintlicher Schulden in Nigeria zurückgezahlt haben.

Gespaltene Persönlichkeiten

Dabei stehen sie, gleich mehrfach, unter Zwang. Einerseits fordert die Familie ihren Geldanteil von der Ausgebeuteten, die sich auch ihrer Familie – anderseits – nicht offenbaren darf. Denn daheim lauert der Priester, der wiederum Kontakt zur Familie hält. Erfährt dieser Hexer etwas, was ihm nicht passt (und auch zur „Madame“ hält er Kontakt), könnte er sich an dem „Pac“ vergreifen, über die Ferne also seinem Opfer zusetzen. Das ist zwar naturwissenschaftlich Humbug. „Doch die Frauen glauben, das ist das Tragische“, weiß Margit Forster, „an eine solche Wirkung.“ Sie sehen sich von Krankheiten, vom Wahnsinn und dem Tod bedroht. „Erste Anzeichen selbst einer Erkältung werden für die Folge des Voodoo-Zaubers gehalten.“ Das Gefühl steigere sich bis zur Todesangst. Die zudem von den „Madames“ gefördert werde.

Deren Persönlichkeit sei überdies oft gespalten: „Sie sind oft selber Prostituierte gewesen“, berichtet Helga Tauch. Sie ist in Duisburg die Solwodi-Leiterin für NRW, betreut momentan Opfer im Alter zwischen 15 und 24 Jahren und kennt deren Leiden: „Sie klagen über Unterleibsbeschwerden und Schlaflosigkeit. Dabei gibt es medizinisch keinen Befund.“ Solwodi versucht, das Selbstbewusstsein der geschundenen Seelen und Körper zu wecken, zu stärken. „Wir versuchen es mit Sprachschulungen, Tanz, Therapien.“ Aber immer droht dabei ein bürokratisches Hindernis: Dürfen diese Frauen in Deutschland bleiben?

Gute Zeuginnen gegen ihre Unterdrücker sind sie selten. Die meisten können, weil sie Analphabetinnen sind, den Ermittlern nichtmal einen Straßennamen nennen. Selbst wenn sie wollten. Doch sie haben geschworen zu schweigen.