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Hilfe für Kinder. Hört sich gut an. Die Hänsel- und Gretel-Stiftung bietet „Notinseln“ im Franchise-Verfahren an. Meint: Kinder in Not werden etwa in Geschäften Fluchtwege per Aufkleber gewiesen. Nur ein Teil eines Geschäftsmodells?

Die drei stilisierten Kinderköpfe schauen mit großen Augen von zahlreichen Ladentüren im Ruhrgebiet. Die niedlichen Gesichter werben für die „Notinsel”. Hinter diesem Begriff und dem Slogan „Wo wir sind, bist Du sicher” verbirgt sich ein Hilfs-Projekt für Kinder. Engagement für Kinder ist immer positiv besetzt, bei den „Notinseln” stellt sich die Frage, ob sie nicht nur Teil eines Geschäftsmodells sind.

Die Idee klingt gut: Geraten Kinder in Gefahr – sei es durch Ärger mit anderen Kindern oder durch zudringliche Erwachsene –, weisen ihnen die Aufkleber den Weg zu sicheren Fluchtpunkten in Läden, ob Café oder Bäckereikette. Die Geschäftsinhaber müssen nur ihre Angestellten schulen, wie sie im Falle eines Falles helfen sollen, dann erhalten sie den Aufkleber.

Viele Vertragspflichten und Verwaltungskosten

Allerdings fällt die Verbreitung dieser Idee auf: Die Hänsel-und-Gretel-Stiftung aus Karlsruhe bietet Notinseln bundesweit im Franchise-Verfahren an. Eine Stadt muss die Rechte am gesamten Notinselsystem kaufen, ehe sie das Projekt bei den Läden vor Ort installieren kann. Zum System gehören unter anderem Türaufkleber, Plakate oder Flugblätter, aber auch Richtlinien zur Einführung der Notinseln.

Dem Online-Portal DerWesten liegt ein Franchise-Vertrag vor. Auf einem Dutzend Seiten werden Rechte und Pflichten dargestellt. Städte sehen sich unter Paragraph 4 mit vielen Pflichten konfrontiert. Sie müssen sich Spendensammlungen schriftlich genehmigen lassen, Werbe-Material darf nur bei der Stiftung bestellt werden.

Wie streng die Stiftung die Paragraphen auslegt, zeigte sich im vergangenen Jahr. In Unna wurde ausgerechnet Kindern, die ein Informationsblatt über die Notinseln gestalten wollten, die Nutzung des Logos untersagt. Erst nach Protesten ruderte die Stiftung zurück.

Ein kostenloses Starterpaket bekommen

Trotz des vertraglichen Korsetts und der Kosten – eine Erstausstattung kostet inklusive Verwaltungskosten über 5300 Euro, hinzu kommt die Franchisegebühr in Höhe von 750 Euro – sind eine Reihe von Ruhrgebietsstädten Notinsel-Standorte, etwa Gelsenkirchen, Bochum, Oberhausen, Duisburg oder Mülheim. „Wir haben vor einigen Jahren ein kostenloses Starterpaket bekommen”, nennt Andreas Knost vom Bochumer Kinderbüro einen Grund, warum die Stadt sich beteiligt. Allerdings räumt er ein, dass die Stadt für die operative Arbeit verantwortlich sei. So organisierte das Büro eine Rallye, damit Kinder die Bochumer Notinsel-Läden kennenlernen.

Dieses Beispiel offenbart, dass die Stiftung die Markenrechte verkauft, die Städte danach aber finanziell und personell auf sich gestellt sind. In vielen Fällen wird die Arbeit vor Ort von ehrenamtlichen Mitarbeitern geschultert.

In Dortmund wollte man diesen Weg nicht gehen. Dort entwickelte man mit dem „Schutz in der Burg” ein eigenes Programm. Pilar Wulff, Koordinatorin im Jugendamt, hält mit ihrer Meinung zu den Notinseln nicht hinter dem Berg. „Wenn ich Ehrenamt auf hohem Niveau haben möchte, denn nehme ich niemandem auch noch Geld dafür ab.” Für Verträge mit den Dortmunder Stadtteilen, die am Burg-Programm teilnehmen, reiche ein einziges DIN-A4-Blatt.

Fünf Notfälle in Bochum genannt

Interessant ist ein Blick auf die Stiftung. Die trägt seit Jahren das Siegel des „Spenden-TÜVs” DZI. Doch mit bis zu 35 Prozent Anteil der Werbe- und Verwaltungskosten an den Gesamtausgaben zählt sie nach DZI-Maßstäben längst nicht zu den kostengünstigsten. Stiftungs-Geschäftsführer ist Jerome Braun, der auf Anfrage mitteilt, kein Gehalt von „Hänsel und Gretel” zu bekommen. Doch ist Braun in gleicher Funktion bei der Benefit Identiy GmbH, der Mentorstiftung sowie der Stiftung TV GmbH tätig. Stiftung und alle Organisationen firmieren unter einer Adresse.

Braun bestätigt, dass Benefit Identity als Dienstleister mit der Realisierung der Notinseln beauftragt ist und dafür einen Pauschalbetrag erhalte, alle anderen Aktivitäten stünden jedoch nicht in Zusammenhang mit der Hänsel-Gretel-Stiftung. Dennoch stellt sich die Frage, ob mit dieser personellen Konstellation nicht ein Interessenkonflikt vorprogrammiert ist.

Offen bleibt, welche Wirkung die Notinseln entfalten. Auf der Internetseite des Projekts gibt es eine Liste mit Erfahrungsberichten. Der Inhalt ist ziemlich allgemein gehalten.

Für Bochum werden fünf Notfälle genannt – und ein Mädchen, das sich zu einem Bäcker flüchtete. „Ein fremder Mann wollte sie mit nach Hause nehmen”, heißt es. Doch Andreas Knost vom Bochumer Kinderbüro ist dieser Vorfall völlig unbekannt. . .

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