Dortmund. Die Stadt räumt auf und holt die schwarz-gelben Fahnen wieder ein. Die Fans trauern und sind doch stolz: „Mein Gott, wir waren im Finale!“

„United by football“, steht in Dortmund auf Plakaten zur EM, im Fußball vereint. Aber am Tag nach dem anderen Wettbewerb ist die Stadt eher im Frust vereint; fühlt sich an wie auseinandergefallen. Ein trüber, träger, trauriger Sonntagmorgen. Was vom Finale übrigblieb, ist aufgeräumt und weggeputzt, die Fahnen sind eingeholt oder hängen schlapp im Wind. Wer jetzt noch Schwarz-Gelb trägt, hat einen Kater, und den nicht nur vom Alkohol. Stimmung „wie bei einer Beerdigung“, sagt Andrija aus Frankfurt. Dabei gibt es noch Hoffnung.

Sie hätten so gern gefeiert am Sonntag, Dortmunds Borussen und alle, die aus halb Europa kamen und halb Deutschland sowieso. „Es tat weh“, sagt Tom aus Bonn, „und es tut heute noch mehr weh, weil man nicht feiern kann.“ Anika aus Hamburg hätte es ihrer 14-jährigen Tochter Wiebke „so gewünscht, dass sie das mal erlebt“. Schwarz-gelbe Glückseligkeit, sieben Jahre nach dem letzten Public Viewing diesmal Platz für mehr als 40.000 vor den großen Leinwänden, der Korso rund um den Borsigplatz und bis zum U – es war ja wieder einmal alles bereitet.

Tränen, Abfall, Bierpfützen: Was vom Finale übrigblieb. Am Morgen danach ist davon nichts mehr zu sehen.
Tränen, Abfall, Bierpfützen: Was vom Finale übrigblieb. Am Morgen danach ist davon nichts mehr zu sehen. © DPA Images | Bernd Thissen

Kein Wüten, kein Schimpfen in Dortmund, nur Schockstarre

Aber dann ist da am Samstagabend diese eine Minute, in der diese Stadt, zum Spiel ein einziges Stadion, plötzlich still wird. Eben noch hat der Boden vibriert, die Innenstadt bebte, es war, als stünde der ganze Hansaplatz auf Zehenspitzen... Da fällt im fernen London dieses Tor. Kein Wüten, kein Schimpfen in Dortmund, nur Schockstarre. „Unser Schicksal“, sagt Jonas nach dem Schlusspfiff. Ein Jahr nach der verspielten Meisterschaft hat es wieder nicht gereicht, nur für Tränen.

Als es zu Ende geht, gehen Tausende einfach nach Hause, auf dem Hansaplatz bleibt ein glitschiger Teppich aus Bier zurück, aus zerbrochenen Plastikbechern und Flüssigkeiten, über die man besser nicht nachdenkt. Es wird ein paar Scharmützel geben in dieser Nacht, Frust-Feuerwerk knallt durch die Innenstadt, aber die Polizei wird „nichts Außergewöhnliches“ melden. Als es zu Ende geht, ist es auf allen Fußballguckplätzen Dortmunds, als sei die Luft raus. Die Fans haben gekämpft mit ihren Gefühlen, ihre Enttäuschung herausgebrüllt, den Jubel immer wieder erstickt. Dann wird es ruhig. Die Schwarz-Gelben sind enttäuscht. „Sieger der Herzen“, sagt Theresa, was man so sagt als „bester Fan“. Aus den Musikboxen klingt leise eine Textzeile: „An einem Tag ging‘s gar nicht gut.“

Untröstlich: Diese Dortmund-Fans können die Niederlage nicht fassen. 
Untröstlich: Diese Dortmund-Fans können die Niederlage nicht fassen.  © Annika Fischer / Funke Mediengruppe | Annika Fischer

Dortmund-Fans: Gesungen, getrunken, gefeiert, als gäbe es kein Morgen

Männer, Frauen, auch Kinder stehen weinend oder strecken sich aus im Dreck, erschöpft, als hätten sie selbst gespielt. Hatten sie nicht wieder ihre ganze Stadt geschmückt und sich selbst, diesmal mit Dortmund und London gleich zwei Großstädte in vorfreudiges Gelb getunkt? Wieder für nichts? Viele waren ja neun, zehn Stunden zuvor schon in der Stadt und auf den Plätzen zum Rudelgucken, haben gesungen und getrunken, als gäbe es kein Morgen. Aber nun ist dieses „Morgen“ so.

„Ist halt Madrid“, sagt Karsten. Die seien halt so, bringt Rico heraus: „Machen aus keiner Chance zwei Tore.“ Aber immerhin, findet Anika, ist es jetzt doch „nicht so schlimm wie im letzten Jahr“. Als Dortmund schon vorfeierte, weil es sich seiner Sache so sicher war, sogar Glückwünsche zur Meisterschaft hatten die Leute aufgehängt. „Aber diesmal standen alle ein bisschen auf der Bremse.“ Und seien danach „nicht so gereizt“.

Stadion-Außenstelle Hansaplatz: Tausende Fans feiern hier schon am Samstagnachmittag ihren BVB.
Stadion-Außenstelle Hansaplatz: Tausende Fans feiern hier schon am Samstagnachmittag ihren BVB. © DPA Images | Bernd Thissen

BVB-Anhänger Rico aus Bochum: „Es war eine schöne Reise“

„Als Dortmund-Fan muss man leiden“, seufzt am Sonntag einer aus Bonn, da erwacht mit den Lebensgeistern auch der des Kampfes. „Aber auf hohem Niveau!“ Ist es nicht so, dass die Mannschaft diesmal gekämpft hat? Dass sie überhaupt bis ins Finale gekommen ist, dass es Spiele gab, „die man nie mehr vergisst“! Es war, hat schon am späten Abend Rico gesagt, doch „eine schöne Reise“. David aus Hamburg ist so stolz auf seinen BVB, „glücklich, dass der überhaupt so gut gespielt hat“ – er kauft an diesem Wochenende Trikots und Taschen, Kappen, Bauchtasche und Feuerzeug für 213 Euro. „Mein Gott, wir sind im Finale gewesen!“

Tor für Madrid: Der Hansaplatz in Dortmund kann es nicht mehr mit ansehen.
Tor für Madrid: Der Hansaplatz in Dortmund kann es nicht mehr mit ansehen. © DPA Images | Bernd Thissen

Dortmund denkt schon an die EM: „Nie aufhören, an dein Team zu glauben!“

Die mobilen Fan-Shops sind am Sonntag eigentlich geschlossen, neben den mobilen Toiletten sind sie die einzigen Überbleibsel der Fußball-Party. Nur der am Stadion verkauft, es ist ein Gedränge, es gibt Tränen, weil Shirts ausverkauft sind – und der Begegnungsschal, mit einer Hälfte Madrid, ist sowieso längst weg. Schwarz-gelbe Bälle kaufen die Leute und Rucksäcke für den Transport gleich dazu. Nur das dünne gelbe „London 2024“-Shirt, das sich die Fans am Samstag noch aus den Händen rissen, es wird wohl den Laden fortan hüten. Wiebke allerdings hat eines ergattert, „als Erinnerung, dass wir wenigstens zum Finale dabei waren“.

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Es wird weitergehen für die Borussen, wie auch dieser allerletzte nationale Spieltag für den BVB und seine Anhänger begonnen hat. „Glaube, Liebe, Hoffnung“, zitierte da eine Dortmunderin am Samstag aus dem 1. Korintherbrief. Und der Bibelvers geht ja noch weiter: „Aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.“ Das passt zu diesem Verein, die Fans feiern seit Jahren ihre „Echte Liebe“, aber bei vielen ist sie längst größer als Glaube und Hoffnung. Auch wenn an der Westfalenhalle eine Werbung Großes verspricht, „wenn du nie aufhörst an dein Team zu glauben“.

Das Plakat allerdings hängt da auch schon für die Europameisterschaft. So wie die blaue Farbe der UEFA an der Stadionwand die Bilder alter BVB-Trophäen überdeckt. Ein paar Meisterschalen sind da noch; der einzige Henkelpott, Champions League 1997, ist bereits nicht mehr zu sehen.