Dortmund. Die ganze Stadt ein Stadion: Zehntausende gucken Finale der Champions-League in Dortmund. Doch schon wieder fällt der Jubelkorso aus.
Und auf einmal ist diese Stadt, die heute Abend ein Stadion war, still. Eben noch hat in Dortmund der Boden vibriert, die Innenstadt bebte, es war, als stünde der ganze Hansaplatz auf Zehenspitzen... Da fällt im fernen London dieses Tor. Kein Wüten, kein Schimpfen – Schockstarre. „Dortmund“, sagt Jonas nach dem Schlusspfiff. „Unser Schicksal.“ Ein Jahr nach der verspielten Meisterschaft hat es wieder nicht gereicht, nur für Tränen.
Hummel wird es machen, hatte Owen aus Gelsenkirchen (!) gesagt. Reus macht das entscheidende Tor, hatte Lisa geglaubt. Und der kleine Elias (7) mit dem BVB-Logo im Gesicht tippte auf Adeyemi (und 7:6 nach Elfmeterschießen). Aber dann sind es nicht Hummels und nicht Reus , sondern Carvajal und Vinícius Júnior, und es ist auch kein 1:0 oder 2:1, wie so viele getippt haben in der Stadt. Die Tore macht Madrid, und die einzige, die das freut, ist die kleine Malin auf dem Hansaplatz. „Mein Lieblingsverein, immer schon“, sagt die Zehnjährige über die Spanier und schlägt erschreckt die Hand vor den Mund. „Aber ein bisschen bin ich auch für Dortmund.“
Glitschiger Teppich aus Bier – und Tränen
Zu spät. Neben ihr weint Lukas aus Stuttgart schon seit dem ersten Tor bittere Tränen, der Elfjährige kann nichts mehr sagen. „Hart“, bringt Rico aus Bochum weinend heraus, aber so sei eben Madrid: „Machen aus keiner Chance zwei Tore.“ Tausende gehen mit dem Schlusspfiff, auf dem Platz bleibt ein glitschiger Teppich aus Bier und Plastikbechern zurück. Und hier und da ein Grüppchen weinender Fans, sie liegen sich in den Armen, strecken sich aus im Dreck, applaudieren, als auf der großen Leinwand der BVB seine Medaillen entgegennimmt. Aus den Musikboxen klingt leise eine Textzeile: „An einem Tag ging‘s gar nicht gut.“
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Dabei hat dieser Tag begonnen wie so oft in der Stadt der Borussen: „Glaube, Liebe, Hoffnung“, zitiert eine Dortmunderin am Morgen aus dem 1. Korintherbrief. Und der Bibelvers geht ja noch weiter: „Aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.“ Das passt zu diesem Verein, die Fans feiern ihre „Echte Liebe“, aber bei vielen ist sie größer als Glaube und Hoffnung. Auch wenn an der Westfalenhalle eine Werbung Großes verspricht, „wenn du nie aufhörst an dein Team zu glauben“. Das Plakat hängt da allerdings schon für die EM.
Pizza- und Postboten tragen ein Borussen-Shirt
Es ist einer dieser Tage, an denen sich ganz Dortmund schwarz-gelb färbt: Bäcker backen gelbe Kuchen, Geschäfte schließen früh, damit die Mitarbeiter zum Fußball können. Kneipen hängen Fahnen vor die Tür, und jeder, der noch einkaufen muss oder mit dem Hund raus, trägt Vereinsfarben. Auch die Müllwerker und ihre großen Autos, die Pizzeria, die zufällig ein gelbes Schild an der Tür hat, die Werbung für Immobilien oder auch die Post; in der Innenstadt hat der Bote aber tatsächlich ein Borussen-Shirt an. Wahrscheinlich ist der BVB der einzige Verein, der gleich zwei Großstädte gleichzeitig in seine Farben tunken kann.
Eine ganze Stadt trägt Schwarz-Gelb – und dann Trauer
Yannis ist da in diesem neuen T-Shirt, das eigentlich ein Kleid ist für den Jungen. Auf dem Hansaplatz gibt er den Stadionsprecher: „Und mit der Nummer 11 – Marcoooo Reuuuus!“ Fans in alten Uhu-Trikots sind gekommen oder den neongelben aus den 90ern. Ein Mann, auch in Gelb, hat sich bloß in seine Fahne gewickelt. Basti aus Würzburg ist angereist, der mit Alufolie dicke Henkelpötte gebastelt hat in der Hoffnung auf den echten, aus Silber, aber Gold wert. Eine einzelne Frau in rosa Zivil befragt die Schwarz-Gelben nach ihren Tipps, sie selbst wird wieder umschalten oder ab-, sie ahnt schon, sie wird es nicht mit ansehen können. Richard hat das Trikot von Bellingham angezogen, „mein Lieblingsspieler“, was soll er machen?
Die Fans sind aus Italien gekommen, aus Frankreich, den Niederlanden und Polen. Sind aus Ravensburg und Freiburg angereist, aus Bottrop und Viersen. Und aus Peine, wo die „Fuhsespacken“ ins Auto gestiegen sind. Sechs aus dem Fanclub sind in London, Robin bloß in Dortmund, er muss am Sonntag zum Junggesellenabschied. Robin spricht schon vor sieben ohne Stimme, dafür mit viel Bier intus. Was vielen so geht, die schon nicht mehr stehen können, als es vor den Leinwänden nun wirklich nicht mehr anders geht.
Erstes Public-Viewing für BVB-Fans seit sieben Jahren
Das letzte Public Viewing hatte es in Dortmund 2017 gegeben – vor ganzen sieben Jahren also, zum Pokalfinale gegen Frankfurt. Damals war die halbe Innenstadt ein einziges Rudelgucken, dazu kamen die Westfalenhallen. Die sind als Einzige übriggeblieben, und das hat Gründe: Auf dem Friedensplatz, seit den Meisterschaften der 90er-Jahre als Hotspot der Draußen-Gucker entdeckt und spätestens seit dem Champions-League-Sieg 1997 etabliert, läuft an diesem Wochen das Festival der Bierkultur. Die hat zwar auch etwas mit Fußball zu tun, es streiten sich „Finalbier“ und „Borussia“ um die Kunden, aber Leinwände gibt es hier diesmal nicht.
Auch der Westfalenpark steht zum Finale nicht zur Verfügung – weil schon bald ein anderes Fußball-Ereignis beginnt: Auf dem Gelände der Bundesgartenschau von 1959 baut die Stadt für die Fußball-Europameisterschaft um, die in zwei Wochen startet, just seit dem ersten Juni. Auch am Stadion hängt schon die blaue EM-Werbung, fast überdeckt sie die Trophäen an der Wand des Borusseums. Der Henkelpott von 1997 ist bereits nicht mehr zu sehen. Also feiern sie wieder in zwei Westfalenhallen (11.000), auf dem Hansaplatz (an die 10.000) und erstmals auf dem Kirmesplatz am Fredenbaum (20.000). Und es ist, als sei die ganze Stadt das Stadion, es läuft schon ab den Mittagsstunden voll.
Enttäuschung herausgebrüllt, Jubel erstickt
Als es zu Ende geht, ist es auf allen diesen Fußballplätzen Dortmunds, als sei die Luft raus. Mehr als neun Stunden stehen viele schon da, haben gekämpft mit ihren Gefühlen, ihre Enttäuschung herausgebrüllt, den Jubel immer wieder erstickt. Nach dem 2:0 für Real wird es ruhig. Wer jetzt noch bleibt, steht einfach nur da. Gerade Männer weinen bitterlich. Die Schwarz-Gelben sind enttäuscht. Und müde. „Sieger der Herzen“, sagt Theresa, was man so sagt als „bester Fan“.
Rico strafft die Schultern. Die Freunde wollen nach Hause, sie ziehen den Trauernden am Ärmel. Eigentlich, sagt er, hätten die Borussen gut gespielt. Und dass sie überhaupt im Finale waren, „überraschend: Es war ein schöner Weg“.
Der Weg durch die Stadt fällt am Sonntag nun aus. Zum zweiten Mal binnen eines Jahres ist die Planung für den großen Autokorso vom Borsigplatz bis zum Dortmunder U für nichts gewesen.