Unsere Fluss-Idyllen sind für immer verloren. Essener Wasserforscher arbeiten an Maßnahmen, wie sich der ökologische Zustand verbessern lässt.

In kleinen Plastikeimerchen tummeln sich zahlreiche schwarze Schnecken zwischen Blättern im Wasser. „Wir haben sie in einem Bachlauf gefangen und untersuchen sie auf Parasiten“, erklärt Bernd Sures, Professor für Aquatische Ökologie an der Uni Duisburg-Essen. Sind die Schnecken denn alle krank? Sures lächelt. „Nein. Aus der Vielzahl der Parasiten, die die Schnecken befallen haben, können wir Rückschlüsse auf den Zustand des jeweiligen Gewässers ziehen.“

Je größer die Vielfalt der Parasiten, desto besser. Denn finden sich zum Beispiel an den Schnecken Parasiten etwa von der Wasserfledermaus, von Storch, Waschbär oder Kormoran sei das ein Zeichen für ein gutes und vielfältiges Ökosystem. Und keine Sorge, anschließend werden die Schnecken wieder ausgesetzt, verspricht der Professor.

Wir sind in einem Biologie-Labor im dritten Stock der Uni Duisburg-Essen. Prof. Sures und Chemie-Professor Torsten Claus Schmidt wollen hier mit einem interdisziplinären Forscherteam herausfinden, womit und wie sehr unsere Bäche und Flüsse belastet sind und wie man sie wieder zu funktionierenden Ökosystemen machen kann. „Reasons“ heißt das Vorhaben, was man wohl ungefähr mit „wissenschaftliche Lösungen für ein nachhaltiges Flussmanagement“ übersetzen kann.

55 Millionen Euro für die Forschung

Jüngst erhielt das deutschlandweit einzigartige Projekt beim bundesweiten Exzellenz-Wettbewerb der deutschen Universitäten die Aufforderung, sich für eine Förderung zu bewerben. Bekommt Reasons im Mai 2025 von der Jury dafür grünes Licht, winken für sieben Jahre insgesamt rund 55 Millionen Euro Forschungsgelder von Bund und Land. Und natürlich außerordentliches Prestige. Also, was machen die Wasserforscher da so Besonderes?

Wie geht es unseren Gewässern? „Nicht besonders gut“, meint Sures. Zwar habe sich in den vergangenen Jahrzehnten einiges verbessert, viele Gewässer sind sauberer als vor Jahrzehnten. Dennoch gilt laut Umweltbundesamt nur ein Bruchteil der Flüsse in Deutschland noch als natürlich. Davon wiederum verdienen nach den Kriterien der europäischen Wasserrahmenrichtlinie weniger als zehn Prozent das Prädikat „gut“ oder „sehr gut“.

Intakte Gewässer sind lebenswichtig, doch der Mensch bringt sie aus dem Gleichgewicht. Der Klimawandel erwärmt sie, sie wurden in Kanäle gezwängt und zu Transportautobahnen begradigt, durch landwirtschaftliche Nutzung werden Gülle und Schadstoffe in die Gewässer gespült, Rückstände von Medikamenten sowie Altlasten und Schwermetalle lauern im Schlick. Aus mäandernden Bächen wurden durch Wehre, Schleusen und Deiche in den letzten zwei Jahrhunderten effiziente Wasserstraßen. Das alles verhindert einen guten ökologischen Zustand.

Kein Zurück zu den Fluss-Idyllen der Vergangenheit

Deshalb können die Gewässer wichtige ökologische Funktionen wie etwa ihre Selbstreinigung nicht mehr erfüllen, erklärt Sures. Flussauen, die bei Hochwasser als Überschwemmungsgebiete dienen können, wurden zurückgebaut. Die Artenvielfalt in diesen Lebensräumen ging dadurch zurück.

„Aber es gibt kein Zurück mehr zu Fluss-Idyllen wie vor 200 Jahren“, stellen Sures und Schmidt fest. „Wir wollen zwar Gewässer, die wieder frei fließen, doch wir müssen uns von der Idee verabschieden, Flüsse, Bäche und Seen wieder in den Urzustand zurückversetzen zu können.“ Allein schon wegen des Klimawandels.

Die Natur kehrt zurück: Renaturierungs-Gebiet am Oberlauf der Emscher bei Castrop-Rauxel an der Stadtgrenze zu Dortmund.
Die Natur kehrt zurück: Renaturierungs-Gebiet am Oberlauf der Emscher bei Castrop-Rauxel an der Stadtgrenze zu Dortmund. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Durch die Erwärmung würden sich nun andere Organismen verbreiten und Lebensräume gewinnen. Andere Arten, die kühle Gewässer benötigen, würden zurückgedrängt. „Wir können die Gewässer ja nicht künstlich kühlen“, so Schmidt. Extreme Dürrephasen wie im Sommer 2022 oder Starkregen und Überschwemmungen wie in diesem Winter gehören zur neuen Normalität. „Wir müssen uns realistische Ziele setzen, um die Gewässer wieder in einen guten ökologischen Zustand zu versetzen und sie etwa ihre Selbstreinigungsfunktion wieder erfüllen können.“ Ob das nun andere Organismen übernehmen als früher, sei zunächst einmal egal.

Blaupause für ökologisch intakte Gewässer

Doch wie kann die Forschung dafür sorgen? Zunächst untersuchen die Wissenschaftler, welche Schadstoffe sie in den Gewässern finden und wie sich dies auf den aquatischen Lebensraum auswirkt. „Das geht bei Viren, Bakterien, Parasiten und Algen los und endet nicht bei Krebsen, Fischen und Schnecken“, erklärt Sures.

Der Aufwand ist gewaltig, allein über Insekten verfügen die Wasserforscher über eine Datenbank mit ökologischen Informationen von mehr als 20.000 verschiedenen Arten. Von Kleinkrebsen gar nicht erst zu reden. Mit einer selbst entwickelten Analyse-Box, die in Gewässer versenkt werden kann, sammeln die Forscher zudem Erbinformationen (DNA) von allen Lebewesen, die sich dort aufhalten. „Das ist ein gewaltiger Datenschatz, den wir anschließend auswerten müssen“, erklärt Schmidt.

Darauf aufbauend will das Team aus Medizinern, Biologen, Chemikern, Ingenieuren und Geisteswissenschaftlern ein Konzept erarbeiten, das weltweit als Blaupause dienen könne für ein nachhaltiges Flussmanagement. Sures: „Dafür erforschen wir die Wechselbeziehung in den Gewässern zwischen Schadstoffen und anderen Stressoren auf die Lebensgemeinschaften und auf die Ökosystem-Funktion von Gewässern. Wenn wir diese Zusammenhänge kennen, ist das die Grundlage, um das Management von Gewässern in Zukunft besser und erfolgreicher angehen zu können als bisher.“

Davon profitiere nicht nur die Natur, sondern vor allem der Mensch, betont Schmidt. „Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass jeder Tropfen Wasser, den wir nutzen, einen ewigen Kreislauf absolviert. Was wir durch die Toilette spülen, ist nicht weg. Sondern kommt irgendwann wieder aus dem Wasserhahn.“

>>>> Die Exzellenz-Initiative

Im bundesweiten Exzellenz-Wettbewerb der Universitäten erhielt das Wasserforschungs-Projekt „Reasons“ der Uni Duisburg-Essen von einer wissenschaftlichen Jury die Aufforderung, sich für eine Vollförderung zu bewerben. Damit wäre ein erster Schritt geschafft auf dem Weg zu einer „Elite-Uni“ im Ruhrgebiet.

Denn sollte das Vorhaben im Mai 2025 den endgültigen Zuschlag der Jury bekommen, werden sich die drei Ruhrgebiets-Universitäten Dortmund, Bochum und Duisburg-Essen (Universitäts-Allianz Ruhr) gemeinsam für die Förderlinie „Exzellenz-Universität“ bewerben. Die Voraussetzung dafür ist, dass jede der drei Universitäten jeweils mindestens ein Exzellenz-Cluster erhält.