Hamminkeln. Fast 24 Stunden trieb der Einhandsegler Martin Daldrup alleine mitten auf dem Atlantik. Hier erzählt er, wie er gerettet wurde.
Freundlich ist das Lächeln, fest der Händedruck zur Begrüßung. „Kommen Sie durch“, sagt Martin Daldrup und bittet ins Wohnzimmer des gepflegten Einfamilienhauses am Stadtrand von Hamminkeln. Kein Meer ist in der Nähe, kein See, nicht einmal ein Fluss. Kein Wasser jedenfalls um ihn herum. Ganz anders, als im Oktober. Da sank sein Boot mitten auf dem Atlantik und in den sozialen Medien fieberten Zehntausende Menschen mit dem Einhandsegler, der in einer kleinen Rettungsinsel auf Hilfe wartete. Dabei hatte der Trip so gut begonnen.
Es war ein Törn, auf den er sich „das ganze Jahr gefreut hatte“. Von New York nach Kapstadt. Mit dem Boot. Alleine. Rund 10.500 Seemeilen. „Eine ordentliche Strecke für einen Segler“, nennt Martin Daldrup das. Was untertrieben ist, vor allem im Spätsommer. „Hurricane-Saison über dem Atlantik“, sagt er nur. Aber darauf hat er sich vorbereitet.
Er ist ja auch nicht zum ersten Mal quer über den Ozean unterwegs. Vor drei Jahren schon ist er alleine von der Karibikinsel Martinique nach Helgoland gesegelt. Dabei ist Daldrup eine Art Spätberufener. Erst 2012 kommt er bei einem Segeltörn mit Freunden in der Türkei auf den Geschmack. Ein Jahr später in Holland packt es ihn endgültig. Er macht alle nötigen Scheine, kauft ein Boot, kauft die „Jambo“. Mit ihr fährt er mal mit Freunden, mal mit Lebenspartnerin Anke, irgendwann auch alleine. Erst in Küstennähe, dann auf dem offenen Meer. Nordsee, Ostsee, Atlantik. Immer länger werden die Strecken, die er zurücklegt. „Das hat sich alles so nach und nach entwickelt.“
Martin Daldrup: „Auf einmal gibt es einen Riesenrumms“
Um nicht in einen Sturm zu geraten, nimmt er dieses Mal nicht den direkten Weg nach Kapstadt. Über die Azoren geht es nach Brasilien, von da aus will er dann den Ozean queren. 64 Tage und fast 7000 Seemeilen lang läuft alles nach Plan. Auch Tag 65 beginnt „mit einem ganz normalen Morgen“. Wind um die 20 Knoten, Wellengang von drei Meter Höhe – „alles nicht ungewöhnlich“. Kurz nach Sonnenaufgang ist es, der erste Kaffee ist gekocht, unter Deck läuft der Brotbackautomat. Doch das Frühstück fällt aus.
„Auf einmal gibt es einen Riesenrumms und danach habe ich keine Ruderwirkung mehr.“ Er räumt den Weg zur Ruderanlage frei, hört ein Rauschen. „Ich schaue in den Salon, und dort steht das Wasser schon über den Bodenbrettern“, schildert Daldrup die dramatischen Minuten. Er schaltet zwei Pumpen ein, holt eine dritte vom Deck. Als er zurückkehrt, ist das Wasser trotz der beiden bereits laufenden Pumpen weiter gestiegen. „Ich wusste, dass ich nur ein paar Minuten hatte, um mein Leben zu retten.“ „Innerhalb von Millisekunden“ entscheidet er sich, das Boot aufzugeben.
„SOS. Die Jambo sinkt, Rettungskette aktivieren.“
War er damals im rauen Atlantik tatsächlich so ruhig, wie er das jetzt ein paar Wochen später im Wohnzimmer seines Hauses schildert? „In solchen Situationen sind Angst und Panik bei mir komplett ausgeblendet. Dann geh nur darum, die Aufgabe zu lösen, die vor mir liegt.“ Vielleicht, mutmaßt er, hänge das auch damit zusammen, dass er als Bergbauingenieur 14 Jahre unter Tage gearbeitet habe. „Da lernt man, wie wichtig es ist, in kritischen Momenten Ruhe zu bewahren.“
Der Segler wirft seine Rettungsinsel ins Wasser, die sich schnell aufbläst. „Da fällt einem der erste große Stein vom Herzen.“ Bevor er wechselt, sendet er über Starlink Highspeed-Internet zwei WhatsApp-Nachrichten. Die eine an Lebensgefährtin Anke, die andere an Segler-Freund Christoph Feld. „SOS. Die Jambo sinkt, Rettungskette aktivieren.“
Dann beginnt er, die Insel zu bestücken. Aus der Kabine holt er zwei 5-Liter-Kanister mit Trinkwasser, ein paar Joghurts, sein I-Phone, ein spezielles Iridium-Satelliten-Telefon, das Laptop und die Kamera, mit denen er seit Jahren die rund 60.000 Follower auf seinen Social Media-Kanälen über seine Fahrten informiert. Dazu eine „EPIRB“ genannte Funkbake zur Kennzeichnung der Notposition. Am wichtigsten aber sind die zwei starken Powerbanks, die alle Geräte wieder aufladen können.
Keine zehn Minuten sind seit dem Wassereinbruch vergangen, da steigt er um. Aus der Ferne sieht Daldrup die „Jambo“ in den Fluten verschwinden. Trauriger Anblick, klar, „aber alles Materielle war in diesem Augenblick total nebensächlich. Es ging ums nackte Überleben.“
Extrem heiß am Tag, bitterkalt in der Nacht
Um die Chancen dafür zu verbessern, haben Anke und Christoph bereits reagiert. „Ich war im Zug auf dem Weg zu meiner Tochter nach Berlin, als die WhatsApp kam“, erzählt seine Lebensgefährtin, die im Wohnzimmer neben ihm sitzt. Geschockt hat sie die Nachricht, aber sie behält einen klaren Kopf, ruft – genau wie Daldrups Segel-Kumpel Feld - sofort „Bremen Rescue“ an, die zentrale deutsche Einsatzleitstelle zur Koordinierung der Seenotrettung.
Von dort aus werden die Kollegen der Seenotrettung in Brasilien alarmiert. Die südamerikanischen Seenotretter entdecken und verständigen die „Alanis“, einen Frachter, der „nur“ 200 Seemeilen von der im Ozean treibenden Rettungsinsel durch die Wellen pflügt. Sofort ändert der Kapitän den Kurs. „Rettung naht“, schreibt Feld. Aber sie braucht gut 20 Stunden, bis sie eintrifft.
Es werden lange 20 Stunden. Stickig ist es in der Rettungsinsel, aber wenn Daldrup Dach oder Lüftungsschlitze öffnet, schlagen sofort die Wellen ins Innere. „Alles war nass. Ich saß permanent im Wasser.“ Und zur Herausforderung wird es, die mitgeführte Elektronik trocken zu halten, über die er kommuniziert. Mit Sonnenuntergang kommt die Kälte. „Kälte, die mich überrascht hat.“ In nassem Polohemd und Badehose sitzt er auf einem kleinen Stück Plastik, das auf den Weiten des Ozeans treibt. „Da habe ich mich in manchen Augenblicken schon gefragt, ob ich das alles hier überstehe.“
Kurz vor zwei in der Nacht erreicht die „Alanis“ seine Position. Über eine Strickleiter soll er bei vier Meter hohen Wellen an Bord klettern. „Die konnte ich aber nur vom Wellenkamm aus erreichen.“ Vorsichtshalber lässt die Besatzung ein Sicherheitsgeschirr herunter, das sich Daldrup umlegt. Ins Meer fallen kann er jetzt nicht mehr, „aber nach einem Fehlversuch wäre ich bei diesem Wellengang immer wieder gegen die Bordwand geknallt“. Er atmet durch, erwischt die Leiter und klettert an Bord. Erschöpft und ausgekühlt auf 33 Grad. „Viel länger hätte ich es in der Insel wohl nicht geschafft.“
Hat ein Seecontainer den Rumpf aufgerissen?
Während der Frachter Richtung Kapstadt unterwegs ist, kommt Daldrup schnell wieder zu Kräften. In Südafrika wartet seine Freundin. Nach einem Urlaub dort kehren die beiden in ihr Haus nach Hamminkeln zurück. Mittlerweile glaubt Daldrup auch zu wissen, was den Rumpf seines Bootes aufgerissen hat. „Wahrscheinlich ein Container, der irgendwo von einem Schiff gefallen und direkt unter der Wasseroberfläche getrieben ist.“ Was auch immer es war: „Mir geht es wieder gut, körperlich und mental gibt es keine Probleme.“ Ist er also ein Glückspilz? Daldrup schüttelt den Kopf. „Ich habe nicht Glück gehabt, ich habe nur kein Pech gehabt.“ Dafür aber eine gute Ausrüstung, wie ihm die Seenotretter bestätigt haben.
Längst steht für ihn dann auch fest, dass er wieder aufs Wasser will, sich ein neues Boot kaufen wird. Eines mit wasserdichten Schotten. „Dann wäre das alles nicht passiert.“ Was für ein Modell es am Ende sein wird, weiß Daldrup noch nicht. Einen Namen aber für den Jambo-Nachfolger hat er schon.
„Comeback.“