Weeze. An den Wochenenden im Advent rücken Scharen von Familien an, um sich ihren Tannenbaum auszusuchen und in die gute Stube zu bringen.
,Der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar’. So zauberhaft beschreibt Matthias Claudius den Wald in seinem Abendlied. Die Zeilen kommen uns in den Sinn, als wir mit Baron von Loë im Forst von Schloss Wissen am Niederrhein stehen. In der Nacht hat es geschneit. Es ist kalt. Die dünne Schneeschicht knirscht unter den Stiefelsohlen. Auf den Spitzen der Tannen sind die Schneeflocken längst geschmolzen. Als Wassertropfen hängen sie jetzt an den Nadeln und glitzern im diffusen Sonnenlicht. Es scheint, als wollten die Nordmann-Tannen für ihren großen Auftritt am Heiligen Abend proben. Denn sie warten darauf, geschlagen zu werden und als Weihnachtsbäume zu glänzen. In der Schonung ist es deshalb bald mit der Waldesruh’ vorbei.
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An den Wochenenden im Advent rücken Scharen von Familien an, um sich ihren Tannenbaum auszusuchen, zu schlagen – korrekter: abzusägen – und in die gute Stube zu bringen. Bei Wildschweingulasch, Glühwein sowie heißem Saft und Pommes frites für die Kinder steigt das Fest vor dem Fest im Forst von Schloss Wissen in der Nähe von Weeze. Besitzer Raphaël Baron von Loë kann da so einiges erzählen: „Wir erleben schon spaßige Dinge. Da kam doch tatsächlich mal eine Dame in Stöckelschuhen. Ein Herr beschwerte sich, weil wir keine Stiefel zur Verfügung stellen. Hin und wieder hängen Zettel mit der Aufschrift reserviert an den Bäumen, die aber nicht von uns stammen. Amüsant sind die Diskussionen über die Kriterien des perfekten Baums. Am Ende entscheidet meist der Nachwuchs.“
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Lange Tradition mit Hintergrund
Das fröhliche Tannenbaum-Schlagen im Wald von Schloss Wissen, dessen Geschichte im Jahr 1372 beginnt, hat eine lange Tradition und einen ganz pragmatischen Hintergrund. „Zwei Drittel des Waldes hier sind Nachkriegswald. Das heißt: Zwei Drittel des Baumbestands sind im Krieg zerschossen worden. Uns fehlte also der Ertrag aus der Forstwirtschaft. Der Vater hatte die Idee, Weihnachtsbäume anzupflanzen. Zunächst Fichten, später Nordmann-Tannen“, berichtet der Baron. 75 Prozent der in Deutschland verkauften Weihnachtsbäume seien mittlerweile Nordmann-Tannen. Die ursprünglich in Skandinavien und Sibirien beheimateten Bäume bezeichnet der Baron als „Objekt der Begierde“. Sie haben weiche Nadeln und verlieren sie nicht, lautet die simple Erklärung. Die deutsche Fichte hat es dagegen schwer. Wir erinnern uns: Schon nach dem Schmücken steckten Hunderte Nadeln im Teppich. Spätestens Silvester war die Tanne kahl. An ein Überleben bis zum Dreikönigstag war nicht zu denken. Das tut uns die Nordmann-Tanne nicht an.
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Nachhaltige Forstwirtschaft
Im Durchschnitt steht ein Weihnachtsbaum zehn Jahre im Wald. Die Setzlinge werden in Forst-Baumschulen gezüchtet und als zwanzig, dreißig Zentimeter kleine Pflanzen per Hand in die Schonung gesetzt. Nach acht Jahren sind die Tannen bis zu zwei Meter hoch gewachsen. Die Aufforstung im Wald von Schloss Wissen ist nachhaltig. „Der Begriff Nachhaltigkeit kommt aus der Forstwirtschaft“, erläutert Baron von Loë. „Wir schlagen nur so viel Holz, wie nachwächst. Insektizide, Herbizide und Pestizide werden nicht präventiv eingesetzt. Nur wenn ein Fachmann einen Befall oder eine Erkrankung feststellt, wird mit halber Dosis behandelt.“ Im Wissen-Wald stehen auf einem Hektar 5000 Nordmann-Tannen. Ist ein Quartier abgeschlagen, ruht der Boden ein Jahr unter einer nährstoffreichen Saat bevor wieder eine neue Schonung angelegt wird.
Wie krank ist der deutsche Wald wirklich, wollen wir vom Baron wissen. „Er verändert sich. Eichen und Eschen sterben immer früher, auch Nadelbäume. Wir haben vor 15 Jahren die Aufforstung mit dem Ziel geändert, einen natürlichen und gesunden Mischwald wachsen zu lassen. Die Bäume sind unterschiedlich hoch, so dass auch in den unteren Bereichen genügend Licht einfällt. Die stärkere Bejagung von Rehwild und Kaninchen ist für die Gesundung des Waldes ebenfalls von Bedeutung.“ So soll sich ein Naturwald entwickeln, der mehr Kohlendioxid bindet, besser für das Klima und damit ökologischer ist. „Ob es erfolgreich sein wird, wird die nächste Generation feststellen“, sagt der Baron. Die Plantagen der Nordmann-Tannen sind der ökonomische Aspekt der Forstwirtschaft.
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Der Weihnachtsbaum
Der Brauch, sich zur Winterzeit immergrüne Pflanzen ins Haus zu holen, war wohl mit der Sehnsucht nach Frühling und Hoffnung auf neues Leben verbunden. Die Geschichte des Weihnachtsbaums lässt sich daraus nicht wirklich ableiten. In Kirche und Liturgie hat er keine Bedeutung. Dennoch ist er für Christen das Symbol für Weihnachten schlechthin. Der erste Weihnachtsbaum soll 1539 im Straßburger Münster aufgestellt worden sein – im Elsass, das im Mittelalter zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörte. Der Sinn des Weihnachtsbaums bleibt nebulös. Das berühmte Märchen ,Der Tannenbaum’ von Hans Christian Andersen bringt natürlich auch keine Aufklärung.
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Damit der Weihnachtsbaum möglichst lange außerhalb seiner Heimat, dem Wald, überlebt, empfiehlt Baron von der Loë: zwischen Schlagen und Aufstellen kühl lagern. Vor dem Einstielen unten eine Scheibe von zwei bis drei Zentimetern abschneiden. Möglichst sofort ins Wasser stellen. Ein zwei Meter großer Baum benötigt zwei Liter Wasser pro Tag. Frohes Fest!
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