Ruhrgebiet. Schwere Straftaten und Krawalle haben in den letzten Tagen den Fußball begleitet. Die entsprechenden Zahlen steigen. In einem Bereich besonders.
Bis zum Abpfiff des Bundesligaspiels Dortmund gegen Mönchengladbach erkennt die Polizei nur „veranstaltungstypische Straftaten“: Rempeleien, Beleidigungen - was halt passiert bei 80.000 Menschen auf engstem Raum. Doch danach eskaliert die Situation.
100 bis 200 Vermummte mit Mundschutz und Quarzhandschuhen, so die Polizei, sollen Gladbach-Fans und Polizisten angegriffen haben. Schläge, Tritte, Flaschenwürfe, dann beruhigt sich die Lage. Doch an anderer Stelle geraten gleichzeitig zwei andere Fan-Gruppen aneinander, und als sie auseinandergehen, ist ein Gladbach-Fan aus Waltrop lebensgefährlich verletzt. Es sei eventuell um einen Fanschal gegangen, der wohl weggerissen und dann weggeworfen wurde, sagt Staatsanwältin Maribel Andersson in Dortmund.
13.608 Fans, „die zu Gewalt neigen oder sie suchen“
Der Streit um einen Schal mit lebensgefährlichen Folgen hat die bundesweite Diskussion um Fußballgewalt in Deutschland neu angefacht. Denn Dortmund war nicht der einzige Vorfall in den letzten Tagen. Richtig üble Szenen gab es auch bei Eintracht Frankfurt in Hessen, Verletzte beim Spiel St. Pauli gegen Hannover 96 und einen Einsatz mit Pfefferspray bei Bochum gegen Köln. Eine zufällige Häufung? Eine Entwicklung? Niemand weiß es genau, doch die Diskussion läuft.
Neue Zahlen finden sich allerdings bei der „Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze“ (ZIS) der Polizei in Duisburg. Sie hat die Saison 2022/23 mit der letzten vor Corona verglichen. Danach gebe es im Unfeld der 54 Fußballvereine der obersten drei Ligen 13.608 Menschen, „die zu Gewalt neigen oder sie suchen“. Das seien 234 mehr als 2018/19.
„Es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese Explosivstoffe mehr Verletzte fordern“
1176 Menschen wurden verletzt, 79 mehr als in der Vergleichssaison. 6549 Strafverfahren wurden eingeleitet. „Ob die in der Saison gestiegenen Zahlen bei Verletzten und Strafverfahren auch zukünftig Bestand haben werden, bleibt abzuwarten“, sagt Polizeidirektor Oliver Strudthoff, der Leiter der ZIS. Deutlich gestiegen sind allerdings Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, bei denen Pyrotechnik verwendet wurde: von rund 1000 auf etwa 3000. „Es ist nur eine Frage der Zeit, wann diese Explosivstoffe mehr Verletzte fordern“, so Strudthoff.
Aktuell will die hessische Gewerkschaft der Polizei (GdP) beobachtet haben, dass „deutschlandweit zusätzliche Polizeikräfte unterwegs“ seien, um Fußballgewalt zu begegnen. Sie hat die Innenminister der Länder und des Bundes aufgefordert, über „diese zunehmende Gewalt“ intensiv zu beraten. Wer als Fußballfan zum Straftäter werde, müsse „konsequent und dauerhaft aus unseren Fußballarenen ausgeschlossen werden“, sagt der GdP-Hessen-Vorsitzende Jens Mohrherr.
Polizei und Fanhilfe widersprechen einander deutlich
Doch gerade dieses Beispiel offenbart, wie unterschiedlich die Wahrnehmung ist. Die Polizei, so die Polizei, sei hinter der Fankurve „unmittelbar angegriffen worden“. Es hätten sich „300 bis 400 Personen der Frankfurter Risiko-Fanszene - vielfach vermummt“ an den Angriffen mit Flaschen, Pyrotechnik und Eisengittern beteiligt. 57 Polizisten und 59 Ordner und Ordnerinnen seien verletzt worden. Eine Soko ist eingesetzt, Augenzeugen der Angriffe sind aufgerufen, sich zu melden.
Die Fanhilfe „Der 13. Mann“ nimmt einen etwas anderen Blickwinkel ein auf denselben Samstagabend: Die Polizei sei „immer wieder mit Pfefferspray und Schlagstöcken auch gegen unbeteiligte Fans vorgegangen . . . ohne jede Rücksicht auf normale Fans, Frauen und Kinder“. Nach dieser „gezielten Eskalation“ gebe es 70 verletzte Fans, darunter sieben Schwerverletzte. Augenzeugen sind aufgerufen, sich zu melden.
Diskussion um Bezahlung von Polizeieinsätzen lebt wieder auf
Die letzte gründliche Untersuchung für ganz Deutschland bezog sich auf die Jahre 2011 bis 2019 und hat vor allem - große Schwankungen belegt. So stieg die Zahl der Verletzten im Umfeld des Fußballs 2018 und 2019 stark an - lag aber immer noch um 24 Prozent unter der Zahl von 2011. Dann kam Corona. Keine Zuschauer, keine Straftaten.
Doch jetzt ist die Diskussion wieder da. Experten aus Fanprojekten haben schon vor längerem gewarnt, dass „die Ultras, die gewaltbereit sind, mehr Einfluss und Zulauf gewinnen“. Aus der Koordinierungsstelle Fanprojekte hieß es : „Alle Vereine, die mit allen ihren Fangruppen einen engen Dialog haben“, sollte man darin unterstützen. „Zu intensiv geht gar nicht.“ Die Vereine müssten sich aber auch die Möglichkeit bewahren, Straftaten sanktionieren zu können, etwa durch Stadionverbote.
Auch die Diskussion, dass die Vereine Polizeieinsätze bei Hochrisikospielen bezahlen sollten, geht in die nächste Runde. Die Innenministerin von Niedersachsen und der Innensenator von Hamburg haben sie angestoßen nach den Krawallen rund um Hannover in St. Pauli. Dessen Präsident wehrt sich, denn der Fußballverein „ist weder Störer, noch hat er die Störungen veranlasst. Zahlen soll er trotzdem.“ St. Pauli, muss man dazu sagen, hat zwei Risikospiele direkt vor der Brust: am nächsten Samstag in Rostock und am Freitag danach gegen den HSV.