Essen. Mediziner warnen vor einer Pandemie durch Seelenleid bei Kindern und Jugendlichen. Der neue DAK-Report zeigt alarmierende Zahlen.

Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen sind durch anhaltende Krisen weiter stark psychisch belastet. Vor allem Mädchen sind betroffen. So wurden 2022 fast 90 Prozent mehr Teenagerinnen zwischen 15 und 17 Jahren mit einer Essstörung in Kliniken versorgt als im Vor-Corona-Jahr 2019. Das war ein neuer Höchststand, meldet die DAK Krankenkasse. Auch die Behandlungszahlen bei Angststörungen und Depressionen nahmen demnach deutlich zu. Das zeige eine Sonderanalyse zur stationären Behandlung psychischer Erkrankungen im DAK Kinder- und Jugendreport für Nordrhein-Westfalen.

Mediziner warnen vor einer „Mental-Health-Pandemie“ durch Seelenleiden

Mediziner, so die Kasse, sehen wachsende Zukunftsängste bei jungen Menschen und warnen vor einer „Mental-Health-Pandemie“ durch Seelenleiden. DAK-Landeschef Klaus Overdiek fordert eine Präventionsoffensive zur Stärkung der psychischen Gesundheit. Für die aktuelle DAK-Sonderanalyse im Rahmen des Kinder- und Jugendreports untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Vandage und der Universität Bielefeld Abrechnungsdaten von rund 144.000 Kindern und Jugendlichen bis einschließlich 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit in NRW versichert sind. Analysiert wurden Krankenhausdaten aus den Jahren 2018 bis 2022. Es ist die erste umfassende Analyse von Klinikbehandlungen für das vergangene Jahr.

„Ein stiller Hilfeschrei, der uns wachrütteln muss“

„Die massive Zunahme von schweren Ängsten und Depressionen bei Mädchen ist ein stiller Hilfeschrei, der uns wachrütteln muss“, sagt Klaus Overdiek, Landeschef der DAK-Gesundheit in NRW. „Die anhaltenden Krisen hinterlassen tiefe Spuren in den Seelen vieler junger Menschen. Wir müssen offen über die Entwicklung sprechen und den Betroffenen und ihren Familien Unterstützung und Hilfe anbieten.“ Die Politik habe mit übergreifenden Fachtagungen bereits wichtige Impulse gesetzt. Die sogenannten „Mental Health Coaches“ an Schulen seien aber nur ein erster Schritt. „Wir brauchen sehr kurzfristig eine breite Präventionsoffensive in Schulen, Vereinen und Verbänden, um die psychische Gesundheit von Mädchen und Jungen zu stärken“, fordert Overdiek. „Wir dürfen sie und ihre Eltern nicht allein lassen.“

Essstörungen: neuer Höchstwert bei jugendlichen Mädchen

2022 wurde laut DAK-Report bei jugendlichen Mädchen in Nordrhein-Westfalen ein neuer Höchstwert bei stationär versorgten Essstörungen erreicht: Hochgerechnet auf alle Jugendlichen in der Altersgruppe 15 bis 17 kamen 2022 in NRW rund 1250 Mädchen mit einer Essstörung ins Krankenhaus. Das entspreche einem Anstieg von 86 Prozent im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019. Auch bei Angststörungen und Depressionen nahmen die Krankenhausbehandlungen jugendlicher Mädchen laut Statistik zu: So stieg die Zahl der Klinikaufenthalte 2022 im Vergleich zu 2019 bei Angststörungen um 17 Prozent an, bei Depressionen nahmen die Behandlungszahlen um 16 Prozent zu.

Negative Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit

„Wir befinden uns mitten in einer Mental-Health-Pandemie, deren Auswirkungen erst nach und nach sichtbar werden. Das zeigt sich bereits jetzt besonders im Bereich der Angststörungen und der Essstörungen“, sagt Prof. Dr. med. Christoph U. Correll, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Berliner Charité als Bewertung der neuen DAK-Sonderanalyse. „Die Pandemiesituation hat nachhaltig negative Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit junger Menschen, die sich in Zukunftsangst manifestiert“, so Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Hier wirken jedoch sicherlich Faktoren zusammen. Neben der Pandemie sind dies der Ukrainekrieg sowie die Angst um die wirtschaftliche Zukunft und um unseren Planeten Erde.“

Mädchen leiden besonders

Die DAK-Sonderanalyse zeige, dass Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren häufiger aufgrund psychischer Erkrankungen in Kliniken sind als Jungen. Von hochgerechnet 2000 Jugendlichen, die mit einer Angststörung stationär behandelt wurden, waren 1600 Mädchen. 1300 Jugendliche kamen mit einer Essstörung ins Krankenhaus, davon waren 1.250 weiblich. Von 4950 Jugendlichen mit einer stationären Behandlung aufgrund von Depressionen waren 4100 Mädchen.

Bei Schulkindern im Alter zwischen zehn und 14 Jahren zeigt sich ein ähnliches Bild. „Mädchen neigen eher zu internalisierenden psychischen Störungen als Jungen. Sie ziehen sich beispielsweise mit Depressionen und Ängsten eher in sich zurück. Bei Jungen sind externalisierende Störungen häufiger zu beobachten. Jungen zeigen tendenziell häufiger ein Verhalten, das nach außen gerichtet ist, also zum Beispiel aggressive Verhaltensmuster. Dass dies durch die Pandemiesituation nochmals verstärkt worden ist, ist unbestritten,“ sagt BVKJ-Präsident Fischbach. „Depressionen, Angst- und Essstörungen sind häufig in stationärer Behandlung, während gerade die Verhaltens- und emotionalen Störungen im ambulanten Bereich versorgt werden.“