Gertrud N. (71) sollte zahlen, um ihren Sohn aus dem Gefängnis zu holen. Der rettete sie – im letzten Moment: Sie war schon bei der Geldübergabe.

Die Masche:Am Telefon meldet sich die „Schwiegertochter“. Man kann ihre Stimme nicht erkennen, sie schluchzt bitterlich, übergibt an eine Kommissarin: Der Sohn hat einen schweren Verkehrsunfall verursacht, eine schwangere Frau ist noch am Unfallort verstorben. Nun muss er ins Gefängnis. Es sei denn, die Mutter zahlt eine Kaution. Sofort. Es muss alles schnell gehen; wenn sie nicht genug Geld hat, soll sie den Schmuck hergeben, alles.

Gertrud N. hätte mittags ihren Enkel abholen sollen. Aber Oma kommt nicht. Oma geht auch nicht ans Telefon. Sie ist auf dem Weg zur Bank. 40- bis 60.000 Euro, hat die Polizei am Telefon gesagt, kostet die Kaution. „Wie bitte“, hat sie sich noch gewehrt, „woher soll ich so viel Geld nehmen?“ Dann rafft sie ihre Wertsachen aus dem Schrank, Stunden später finden die Kinder ihre Schubladen und Türen offen, etwas Schmuck noch auf dem Bett. Bei der Sparkasse hebt sie 10.000 Euro ab, so viel hat sie gespart.

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Der Unbekannte, inzwischen ist es ein Mann, ist die ganze Zeit am Telefon, so blockiert er die Leitung. Sohn und Schwiegertochter versuchen pausenlos, aber vergeblich, die Mutter zu erreichen. „Irgendetwas stimmt nicht“, ahnen die längst, es ist ein heißer Mittwoch im Juli, „nicht, dass sie umgekippt ist“? Derweil sitzt Gertrud N. wieder im Auto, man dirigiert sie zur „Kasse“ am anderen Ende der Stadt, wo sie sich nicht auskennt. Sie fährt falsch, dreht, es ist schon kurz vor drei Uhr; zur vollen Stunde, sagt man ihr, macht die Kautionskasse dicht. Die 71-Jährige steigt schließlich aus und geht zu Fuß, das Geld hat sie in einem Umschlag in der Handtasche.

Im letzten Moment geht Gertrud N. doch noch ans Telefon

Gertrud N. am Telefon: Der Betrüger erzählte der 71-Jährigen vom Unfall ihres Sohnes.
Gertrud N. am Telefon: Der Betrüger erzählte der 71-Jährigen vom Unfall ihres Sohnes. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Es ist ihr Glück, dass sie niemanden sieht, „kein Schwein“, sagt sie und merkt gar nicht, wie doppeldeutig das klingt. Sie blickt auf das Handy, in das laufende Gespräch blinkt ein eingehender Anruf: Christian, ihr Sohn. Diesmal geht Gertrud N. dran. „Wo treibst du dich rum?“, fragt Christian. „Ich bezahle deine Kaution.“ Der Sohn kann gar nicht so schnell so erklären, wie er denkt: „Ich hatte keinen Unfall! Ich habe niemanden umgefahren! Ich bin im Auto auf dem Weg zu dir! Fahr sofort zur Polizei, mach die Türen zu, wir treffen uns da!“

„Kris, die haben die Oma verarscht“

Es war knapp, Gertrud N. weiß das. „Mittlerweile.“ Nur mühsam erzählt sie, wie viel Angst sie hatte, wie sie zitterte, wie ihr das Herz schlug bis zum Hals. „Furchtbar. Das war für mich das Schlimmste, was ich erlebt habe.“ Es war die Sorge um ihren Sohn, der sie funktionieren ließ im Sinne der Betrüger, „man will ja helfen“. Und „das Geheule“ klang so echt. Auch Kris, der siebenjährige Enkel, hat gebraucht, bis er begriff: Der Papa ist gar nicht im Gefängnis. „Die haben die Oma verarscht“, haben sie ihm erklärt.

Der Oma ist die Sache ziemlich peinlich. „Man ist manchmal so bescheuert.“ Nach dem Tag, an dem „das passiert ist“, hatte sie Angst, auch nur einkaufen zu gehen. Sie macht niemandem die Tür auf, den sie nicht kennt, am Telefon meldet sie sich nicht mehr mit Namen. Kris sagt: „Oma, du hättest einfach auflegen sollen!“ Gertrud N. nimmt den Enkel in den Arm. „Das machen wir jetzt auch.“

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