Essen/Dortmund. Viele große Städte des Ruhrgebietes wolle mehr Tempo 30-Zonen. Warum das schwierig ist und was es bewirken kann.

Wird Tempo 30 das neue Tempo 50? Fast alle großen Städte des Ruhrgebietes würden die erlaubte Geschwindigkeit auf ihren Straßen gerne herunterschrauben, um so für weniger Lärm und mehr Lebensqualität zu sorgen. Aber so einfach ist das gar nicht. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Können Städte nicht selbst bestimmen, wie schnell auf ihren Straßen gefahren werden darf?

Nein. Anordnen können sie Tempo 30 bisher nur in Wohngebieten, bei besonderen Gefahrenlagen, zum Lärmschutz, zum Schutz vor Abgasen oder rund um Einrichtungen wie Schulen und Kindertagesstätten. „Diese Auflistung ist abschließend“, bestätigt die Stadt Essen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) könnte das ändern, lehnt ein flächendeckendes Tempolimit 30 in Städten aber ab. Es müssten, findet er, auch die Interessen Durchreisender berücksichtigt werden.

Was wollen die Städte?

„Wir wollen Tempo 30 in bestimmten Gebieten oder auch für einzelne Straßen anordnen können, ohne dafür wie bisher aufwendig besondere Gefahrensituationen nachweisen zu müssen“, sagt Verena Göppert, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Städtetages. Mittlerweile haben sich dafür 900 Städte und Gemeinden in der Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ zusammengeschlossen. Auch Duisburg ist dabei. „Eine Neuregelung würde die Möglichkeit bieten, den oft bemängelten Flickenteppich auf kurzen Streckenabschnitten zu verhindern“, sagt eine Stadtsprecherin.

Reicht es für die erfolgreiche Einführung einer Tempo-30-Zone aus, einfach Schilder aufzustellen?

Nein. In den meisten Zonen wird nach Auskunft der Städte deshalb nach einer Schonfrist auch verstärkt geblitzt. Zudem, sagen Verkehrsplaner, gibt es neben Tempolimits auch die „gefühlt richtige Geschwindigkeit“. Ist die Straße schmal und gibt es vielleicht sogar Schwellen auf dem Asphalt, wird automatisch langsamer gefahren als auf einer breiten, geraden Fahrbahn. Diesen Effekt können Kommunen erzielen, indem sie Mittelinseln einbauen oder die Mittelmarkierung entfernen.

Auch in Bochum gibt es diverse Tempo 30-Zonen in der Stadt.
Auch in Bochum gibt es diverse Tempo 30-Zonen in der Stadt. © imago images/Jochen Tack | imago stock

Bin ich mit Tempo 30 länger unterwegs?

Nicht viel, sagen Experten. Rein rechnerisch ist ein gleichmäßig fahrendes Auto auf 100 Metern nämlich nur knapp fünf Sekunden länger unterwegs, wenn es mit 30 statt 50 Kilometern in der Stunde fährt. Praktisch sind es meist noch weniger, manchmal gibt es gar keinen Zeitverlust, weil der Verkehr bei geringerer Geschwindigkeit gleichmäßiger und ungestörter fließt. Laut einer aktuellen Studie des Umweltbundesamtes verlängert sich eine typische Stadtfahrt nur zwischen 36 Sekunden und knapp zwei Minuten. Das sei „volkswirtschaftlich kaum relevant“.

Hat Tempo 30 Auswirkungen auf Bus und Bahn?

„Kommt darauf an“, sagen ÖPNV-Experten. „In der Innenstadt, wo alle 400 bis 500 Meter eine Haltestelle ist, macht sich das kaum bemerkbar“, erklärt Heinz-Josef Pohlmann, Leiter Betrieb und Marketing der DSW21 in Dortmund. „In den Außenbezirken, wo schneller gefahren werden darf, tut uns das teilweise sehr weh und wirkt sich negativ auf die Beförderungszeit aus.“ Wichtig sei, so Pohlmann weiter, dass es frühzeitig Gespräche zwischen Stadt und Nahverkehrsunternehmen gebe. Dann könnte man Zeitverluste durch Maßnahmen wie etwa einer grünen Welle für Busse kompensieren.

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Verlagert sich der Verkehr bei Tempo 30 nicht auf andere Straßen?

Kann sein, wie die Studie des Umweltbundesamtes zeigt. Verallgemeinern lasse sich dieser Effekt aber nicht, alles hänge sehr von den örtlichen Gegebenheiten ab. „Bei der Festlegung einer Tempo-30-Zone sind Prognosen flankierende Maßnahmen sehr wichtig“, bestätigt Christian Schön, Sprecher der Stadt Dortmund. „Sonst werden die Probleme tatsächlich nur verlagert.“

Wird es durch Tempo 30 leiser auf den Straßen?

Ja. Schon weil dort, wo Tempo 30 gilt, konstanter gefahren und weniger gebremst und beschleunigt wird. Messungen zeigten, dass die Lärmbelastung an Hauptverkehrsstraßen nach einer solchen Geschwindigkeitsreduktion tatsächlich um bis zu vier Dezibel sinkt. Um ein vergleichbares Ergebnis zu erreichen, heißt es in einer Mitteilung der Stadt Dortmund, wäre ansonsten eine Reduzierung der Verkehrsmenge um etwa 40-50% nötig.

An der  Gladbecer Straße in Essen-Altenessen wird die Luftqualität gemessen.
An der Gladbecer Straße in Essen-Altenessen wird die Luftqualität gemessen. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Verbessert sich die Luftqualität durch Tempo 30?

Untersuchungen sind zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen, nutzten aber auch unterschiedliche Verfahren. Manche verzeichneten leichte Verbesserungen bei Stickstoffdioxid-, Kohlenstoff- und Feinstaubemissionen. Andere fanden keine Entlastung oder bei bestimmten Stoffen sogar leichte Verschlechterungen.

Macht Tempo 30 die Städte sicherer?

Eindeutig ja. Tempo 30 macht die Straßen schon dadurch sicherer, dass es überhaupt verhindert, dass Autofahrer und Fußgänger zusammenprallen. Wenn der Unfall aber doch passiert, geht er bei langsamerer Geschwindigkeit mit höherer Wahrscheinlichkeit glimpflich aus: Laut einer Studie überleben 70 Prozent von Fußgängern eine Kollision mit einem Auto bei Tempo 30, bei Tempo 50 sind es nur noch 20 Prozent. In Brüssel hat sich das in der Praxis ausgewirkt. Seit 2021 in der ganzen Stadt - bis auf einige Hauptverkehrsachsen - Tempo 30 gilt ist die Zahl der Verkehrstoten gesunken. Um 50 Prozent.