Ruhrgebiet. Die Bahn schließt weitere Reisezentren, in Oberhausen und Recklinghausen. Sie seien nicht mehr wirtschaftlich. Andere Vertriebswege bevorzugt.
Noch vor drei Monaten hat die Deutsche Bahn so getan, als wolle sie den Hauptbahnhof von Oberhausen aufwerten: Sie hat Sitzbänke und Pflanzkübel aufgestellt und im Regal der wohlklingenden Floskeln weit nach oben gegriffen. Bahnhöfe seien „zentrale Orte am Puls des urbanen Lebens“, so ein Manager. Der Standort sollte „noch attraktiver“ werden, „damit sich Reisende hier gerne aufhalten“.
Jetzt dimmt sie selbst diesen Puls deutlich. Und Reisende, die sich hier aufhalten, können die Zeit auf den Sitzbänken bald sinnvoll nutzen, um ein Bahnticket mit dem Mobiltelefon zu kaufen. Am Schalter geht das von Januar 2024 an nicht mehr: Die Bahn schließt das Reisezentrum, und das in Recklinghausen auch. Das sind die Einrichtungen, wo es Fernverkehr- und Sondertickets auf Papier und Beratung von Angesicht zu Angesicht gibt.
„Wichtig, den Bahnverkehr massiv zu stärken“
Der Grund: die Wirtschaftlichkeit. Reisende buchten heute vier von fünf Fernverkehr-Tickets auf bahn.de im Internet oder mit der App „DB Navigator“ auf dem Mobiltelefon. „Der anhaltende Trend zu digitalen Vertriebsplattformen . . . hat im Lauf der letzten Jahre dazu geführt, dass immer weniger Kundinnen und Kunden das Reisezentrum für den Kauf ihrer Fahrscheine oder Auskünfte in Anspruch genommen haben“, sagt ein Bahn-Sprecher. Das Unternehmen verwiest auch auf „weiterhin acht Reisezentren in der Region“ (Dortmund, Bochum, Gelsenkirchen, Essen, Duisburg, Hagen, Wuppertal, Düsseldorf) mit „personenbedientem Zugang zu Fahrscheinen“.
In den beiden Städten, in denen die Schließung droht, versucht die Politik zu retten, was zu retten ist. Oberhausen hat einen Brief an die Bahn geschrieben, worin es heißt, ein geschlossenes Reisezentrum mache den öffentlichen Nahverkehr nicht attraktiver. „Im Hinblick auf die Verkehrs- und Mobilitätswende“ sei es vielmehr wichtig, den Bahnverkehr massiv zu stärken.
Bahn sucht andere Partner für den Ticketverkauf
Auch Recklinghausens Bürgermeister Christoph Tesche (CDU) hat die Schließungspläne zunächst scharf kritisiert, schließlich ist der eine Hauptbahnhof zentraler Anlaufpunkt für die Menschen aus zehn Kreisstädten. Heute sagt Tesche: „Es wird angestrebt, ein anderes Serviceangebot für die Kundinnen und Kunden einzurichten.“
Das könnte bedeuten, dass die Bahn nicht nur weitere Fahrkarten-Automaten aufstellt. Sondern dass ein anderer Betrieb an oder im Bahnhof den händischen Ticket-Verkauf übernimmt, so wie es in Mülheim und Wanne-Eickel gekommen ist nach der Schließung der Reisezentren dort.
Vor allem ältere, nicht internet-affine Menschen sind nun auf dem Baum. „Ältere Menschen dürfen nicht wieder abgehängt werden“, sagt Jörg Fleck, der Vorsitzende des Seniorenbeirats, in der „Recklinghäuser Zeitung“. Die geplante Schließung habe „eine erhebliche Unruhe und auch Unverständnis hervorgerufen“.
Verlust des VRR-Vertriebs spielt eine große Rolle
Andere sagen: „Jeglicher Service wird abgeschafft und man wundert sich, dass die Fahrgastzahlen nicht steigen.“ Oder: „Der Kauf einer Fahrkarte vor Ort mit Ausdruck der Zugverbindungen in der Hand ist mir wichtig und gibt mir Sicherheit.“ Es sind überwiegend Stimmen aus einer Generation, deren gewohnte Infrastruktur aus Briefkästen, Telefonzellen, Bankfilialen und Vorverkaufsstellen dahinschwindet. Und jetzt eben Reisezentren.
Die Bahn macht für die Schließungen auch den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) mitverantwortlich. 2020 verlor sie die Ausschreibung für den VRR-Vertrieb an einen Konkurrenten, verkauft seitdem keine Bus- oder Straßenbahntickets mehr. Die Marge aus diesem Geschäft entfiel ersatzlos, deshalb sei „ein Weiterbetrieb wirtschaftlich nicht darstellbar“. Dass die Verabschiedung des VRR eine große Rolle spielt, bestätigt auch Lothar Ebbers, der Sprecher von „pro Bahn“: Aber „das kann sich aber auch wieder ändern, wenn der Nahverkehr neu ausgeschrieben wird.“
Noch rund 400 Reisezentren in Deutschland - inclusive der Video-Reisezentren
Ebbers sieht aber noch einen anderen, tiefergehenden Grund für die anstehenden Schließungen. Das sei die „grundlegende Strategie“ der Bahn, möglich alle Fahr-, Sitzplatz- und sonstigen Karten online zu verkaufen. Selbst Sonderaktionen wie der Senioren-Sparpreis würden nur online angeboten.
Nach den Zahlen der Bahn gibt es in Deutschland rund 1600 Reisebüros mit DB-Lizenz, wo Kunden sich beraten lassen und Fahrkarten auf Papier bekommen können. Und sie zählt noch rund 400 Reisezentren. In der Zahl sind allerdings die Video-Reisezentren inbegriffen.