Ruhrgebiet. Die Städte bauen Trinkwasserbrunnen, Initiativen arbeiten an der Wasserwende, um dem Klimawandel zu begegnen. Doch es fluppt nicht überall.
Im Moment stemmt sich noch ein Wandkalender gegen die Wasserwende. „Normalerweise ist hier ein Aufkleber, wo ist der Aufkleber?“, fragt Christine Wecker und blickt suchend ins Schaufenster des Stadtteilbüros Ückendorf. Sie sucht jenen blauen Aufkleber, der Menschen darauf stupsen soll, dass sie in diesem Haus ihre Flasche kostenlos mit Leitungswasser auffüllen können. Ah, da, er hatte sich hinter einem Kalender versteckt. Jetzt kann’s losgehen: Wasserwende marsch!
Es ist heiß und es ist die Bochumer Straße in Gelsenkirchen, wo man mittags nicht weiter von Schatten belästigt wird. Genau die richtige Zeit also und der richtige Ort, um sich im so ernannten „Wasserquartier Gelsenkirchen“ umzuschauen. Im Moment besteht es erst aus gut einem halben Dutzend solcher öffentlicher Zapfstellen für Leitungswasser in Gastronomien, öffentlichen Räumen, einer Apotheke. Aber es wächst - und ist auch keine lokale Skurrilität, sondern ein deutschlandweites Vorhaben. Jede Flasche ist willkommen!
„Es gibt bereits 6000 Refill-Stationen und Trinkwasserbrunnen“
Die zunehmende Hitze bricht zwei langjährige Trends. Die Deutschen trinken eher Mineralwasser als Leitungswasser - das ändert sich gerade, langsam, aber es ändert sich. Und die Revierstädte hatten über die Jahre aus hygienischen Ängsten fast alle Trinkwasserstationen abgeschafft - jetzt bauen sie neue oder machen alte wieder an. „Es gibt bereits 6000 Refill-Stationen und Trinkwasserbrunnen in Deutschland. Wir unterstützen beides voll“, sagt Christine Wecker von der einschlägigen Organisation „a tip: tap“ („ein Tipp: Leitungswasser“). Der Name ist das Programm.
Wir verlassen Christine Wecker vorübergehend. Unabhängig von solchen Initiativen haben nämlich viele Revierstädte Trinkwasserbrunnen zu bauen begonnen: Nicht aufwändig, nicht im engeren Sinne hübsch, aber es kommt halt auf Knopfdruck kostenfreies Trinkwasser heraus. „Die heißen Sommer der vergangenen Jahre haben uns gezeigt, wie wichtig es ist, ausreichend zu trinken“, sagt etwa Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link, als er im März zwei solche Brunnen in der Fußgängerzone in Betrieb nimmt. Für eine Saison zunächst, um zu schauen, wie viele Menschen so etwas nutzen - dafür hat das Ding ganz einfach einen Zähler.
Noch vor wenigen Jahren Antrag auf einen solchen Brunnen abgewiesen
Bochum hat bereits neun solcher Trinkbrunnen und demnächst 13, in Bottrop stehen sechs, in Herne vier, in Oberhausen fünf, im kleinen Neukirchen-Vluyn einer. Witten plant einen pro Stadtteil, Essen hat etwas Ähnliches beschlossen. Erkennbar vorbei ist die längst vergangene Zeit von 2019, als die Stadtverwaltung Essen den entsprechender Antrag einer Bezirksvertretung aus dem Süden abbügelte „aus Kostengründen und aus Gründen der Lebensmittelhygiene“. Heute heißt es bei derselben Verwaltung, dass die Stadtwerke die neuen Brunnen „regelmäßig beproben und reinigen“ - geht doch.
Freilich ist der Bau von Brunnen nicht nur der Einsicht geschuldet, dass die Städte sich und ihre Einwohner und Einwohnerinnen auf den Klimawandel einstellen müssen. Sondern es gibt nun auch eine Trinkwasserrichtlinie der EU und ein erneuertes deutsches „Wasserhaushaltsgesetz“. Es bestimmt, dass frei verfügbares Trinkwasser an öffentlichen Orten künftig zur „kommunalen Daseinsvorsorge“ gehört. Auf Deutsch: Sie sind dazu verpflichtet.
„Für Jung und Alt gleichermaßen ohne Einschränkung genießbar“
Hygienischen Bedenken stellt sich auch Jascha Dröge entgegen, der Sprecher der Stadtwerke Bochum: „Die Wasserqualität ist einwandfrei und für Jung und Alt gleichermaßen ohne Einschränkung genießbar.“ Man bedient so einen Brunnen in der Regel mit einem Knopfdruck, niemand fasst an die Düse, und Selbstreinigung in festen Spülintervallen ist ebenso programmiert.
Angesichts der Glut da draußen erregt sich auch gerade niemand über die Kosten: Essen etwa rechnet mit 15.000 Euro pro Station für Beschaffung, Installation und Anschluss sowie 11.000 Euro Betriebskosten auf die komplette Laufzeit von acht Monaten.
„Wenn man ein Café überzeugt, zack, ist es eine Auffüllstation“
Und im „Wasserquartier Gelsenkirchen“ trifft beides zusammen: Die Stadt baut Trinkwasserspender, „a tip: tap“ bemüht sich um weitere Auffüllstationen. Für sie ist es absurd, Wasser teuer zu kaufen und nach Hause zu schleppen, wenn es auch billig und bequem aus dem Hahn kommt. Mineralwasser erzeuge CO2 (durch den Transport) und unendlich viel Plastikmüll: neun Milliarden Flaschen im Jahr nach diesen Zahlen. Leitungswasser sei dagegen „ein regionales Produkt, verpackungsfrei, emissionsarm und gesund“.
Pro Kopf liegt der Mineralwasserverbrauch in Deutschland bei 130 Litern - mehr als zehnmal soviel wie 1970. Er sinkt allerdings seit dem Ende der 10er-Jahre. Christine Wecker, die Biologin aus Ennepetal, wird aber noch viel über die Gelsenkirchener Dörfer ziehen müssen. In der Gastronomie begegne ihr viel Skepsis, erzählt sie, Wasser sei dort ja auch eine Einnahme-Quelle. „Aber wenn man ein Café überzeugt, Leitungswasser kostenfrei abzugeben, zack, ist es eine Auffüllstation.“