Ruhrgebiet. Es wird immer schneller immer leerer auf den Friedhöfen im Land. In Berlin wird dort schon auf freien Flächen gebaut. Und im Ruhrgebiet?

Gestorben wird immer. Bestattet aber wird seit einigen Jahren anders. Urne statt Sarg, Kolumbarium statt Erdgrab. Das hat Folgen für viele Friedhöfe im Revier. Das Tempo, in dem die dort nicht mehr benötigten Flächen wachsen, steigt immer schneller. Kaum eine Stadt, die nicht über eine alternative Nutzung nachdenkt. In Berlin wird auf ehemaligen Friedhöfen mittlerweile gebaut. Und im Ruhrgebiet?

Ob in Dortmund, Bochum, Essen oder Duisburg, wer über einen Friedhof schlendert, stellt schnell fest: Es ist leer geworden entlang vieler Wege. Rechts ein Grab, dann 50 Meter freie Fläche, bevor links wieder zwei Gräber zu finden sind. Aeternitas, eine Verbraucherinitiative für Bestattungskultur, schätzt, dass in Deutschland grob die Hälfte der Friedhofsflächen nicht mehr für Bestattungen genutzt wird.

Urnen benötigen weniger Platz im Boden

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Mechthild Schur, Abteilungsleiterin Friedhöfe und Krematorien bei der Stadt Bochum kennt den Grund für diese Entwicklung. „Drei Viertel aller Bestattungen sind mittlerweile Urnenbestattungen“, sagt sie. Das ist in Dortmund nicht anders, in allen anderen großen Revierstädten ähnlich. Und Urnen brauchen nun einmal weitaus weniger Platz im Boden als ein Sarg – wenn sie nicht gleich in Kolumbarien gestellt werden. „Urnengräber oder Urnenwände sind pflegeleichter“, weiß Ralf Michal, Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Bestatter. Das sei im Interesse vieler Angehöriger, die „zum Teil keine Grabstätte mehr möchten, an die sie gebunden sind.“ Weil sie nicht mehr dort leben, wo die Eltern bestattet wurden.

Übersichtsaufnahme vom Kolumbarium am 1.3.2023 in der Rheinkirche in Homberg. Ein Kolumbarium ist ein Friedhof für Urnen bei einer Feuerbestattung Foto : Arnulf Stoffel / Funke Foto Services
Übersichtsaufnahme vom Kolumbarium am 1.3.2023 in der Rheinkirche in Homberg. Ein Kolumbarium ist ein Friedhof für Urnen bei einer Feuerbestattung Foto : Arnulf Stoffel / Funke Foto Services © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Der Gräberkult, der früher besonders in ländlichen Regionen verbreitet war, finde heute immer weniger statt, weiß der Soziologe Thorsten Benkel von der Universität Passau und hat bei seinen Forschungen festgestellt, dass bei Bestattungen auch ökonomische Überlegungen eine immer größere Rolle spielen. Das will auch Alexandra Schürmann, Sprecherin der Stadt Dortmund nicht ausschließen: „Eine Bestattung im Erdreihengrab kostet 2.620 Euro, im Urnenreihengrab 1.730 Euro.“ Auch bei den Kosten für die Grabpflege schauen Angehörige immer öfter auf die Kosten. Viele Städte berichten, dass mittlerweile viele Grabstätten vorzeitig zurückgegeben werden. Was die Zahl der freien Plätze noch einmal erhöht.

Deshalb wollen die Städte ihre Friedhöfe verkleinern, manchmal sogar dichtmachen. Denn die letzten Ruhestätten kosten Geld. Und eine durchgehende Rasenfläche ist weitaus günstiger zu pflegen, als ein gleich großer Bereich mit fünf oder sechs Gräbern darauf.

Niemand will an den langen Ruhezeiten rütteln

In Duisburg etwa befinden sich deshalb „dreieinhalb Friedhöfe in einem Schließungsprozesse“, bestätigt Reinhold Adrian, Bereichsleiter Friedhöfe bei den Wirtschaftsbetrieben Duisburg. Neue Bestattungen gibt es dort nicht mehr, alte Grabrechte aber bleiben bestehen. Ähnlich wird in den meisten Städten des Reviers verfahren. „Wir ermitteln Überhangsflächen“, bestätigt Melanie Ihlenfeld vom Fachbereich Grün und Gruga in Essen. Und ihre Bochumer Kollegin Schur erzählt von „Kernbereichen“, auf denen man die neuen Gräber konzentriert, um die Außenflächen nach und nach umzuwandeln.

Ein „sehr sensibles Thema“, heißt es überall. Auf keinen Fall werde man an Ruhezeiten rütteln, Umbettungen höchstens anbieten, nie aber anordnen. Deshalb wird es auch dauern, bis Friedhöfe auch nur teilweise komplett freigezogen sind. „Das ist kein Prozess von Jahren, sondern von Jahrzehnten“, weiß Adrian.

Gemeinden steuern die Belegung

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Auch kirchliche Friedhöfe sind mittlerweile zu groß. Seit 2012 übersteige die Zahl der Urnenbeisetzungen auf den meisten der rund 320 Friedhöfe die Zahl der Erdbestattungen, bestätigt Björn Vahle von der Stabsstelle Kommunikation der Evangelischen Kirche Westfalen (EKvW). Tendenz steigend. Die Evangelische Kirche im Rheinland versucht deshalb, unter die Belegung auf ihren 160 Friedhöfen zu steuern, indem sie pflegefreie und besonders gestaltete Gemeinschaftsgrabanlagen anbietet. „Die werden sehr gut angenommen“, sagt die stellvertretende Pressesprecherin Cornelia Breuer-Iff. Gesteuert wird die Belegung auch auf den meisten der rund 40 Friedhöfen des Bistums Essen. „Letztendlich entscheidet das aber jede Pfarrei für sich“, sagt Thomas Rünker von der Pressestelle des Bistums.

In der Hauptstadt geht man andere Wege

Wo einst Grabstätten waren, sollen in vielen Städte bald Wiesen blühen
Wo einst Grabstätten waren, sollen in vielen Städte bald Wiesen blühen © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Unklar ist im Revier, was aus den – wann auch immer – frei werdenden Flächen werden soll. „Naturbelassen“ soll vieles bleiben, anderes in Parks umgewandelt werden. In Essen gibt es beispielsweise bereits 20.000 Quadratmeter Blühwiese, in Bochum Streuobstwiesen. In Berlin allerdings geht man bereits andere Wege. Dort heißt es in Stadtteilen, in denen freie Flächen besonders knapp sind, bereits „Wohne in Frieden“. Auf den entwidmeten Flächen wird gebaut.

Ein Beispiel, dem im Ruhrgebiet bisher niemand folgen will. „Kein Thema“, sagt Ihlenfeld und auch Adrian stellt klar. „Diese Option gibt es zurzeit nicht.“ Das ist auf Friedhöfen des Bistums nicht anders. Wenn überhaupt, sagt Rünker, dürften die Pfarreien ausschließlich sogenannte Reserveflächen von Friedhöfen verkaufen, auf denen es nie Bestattungen gegeben hat. Und selbst bei denen könne es sein, dass bestimmte zukünftige Nutzungen ausgeschlossen würden. Ob die Zurückhaltung bleibt, wenn freie Flächen knapper werden, kann allerdings niemand sagen. „Am Ende“, ahnt Adrian, „wird das eine Entscheidung, die die nächste oder übernächste Generation treffen muss.“