31 Einsatzkräfte verletzt - War Explosion eine Falle?
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Ratingen. Bei einer Explosion in Ratingen wurden Feuerwehrleute und Polizisten am Donnerstag zum Teil lebensgefährlich verletzt. Bewohner (57) verhaftet.
Es sah alles aus wie ein Routine-Einsatz. Einer, wie sie „Hunderte schon gefahren“ sind, sagt ein Polizist erschüttert. Doch dann gibt es an der Tür eine heftige Explosion, ein Feuer bricht aus – fünf Feuerwehrleute und zwei Polizeibeamte werden lebensgefährlich verletzt. Stunden später schlägt ein Spezialeinsatzkommando zu, ein 57-jähriger Mann wird verhaftet. In der Wohnung im zehnten Stock eines Hochhauses an der Berliner Straße im Ratinger Ortsteil West liegt eine Leiche, vermutlich ist es seine Mutter.
Am späten Abend teilte die Polizei Details mit: Eine 25-jährige Polizeibeamtin und ein 29-jähriger Kollege wurden lebensgefährlich verletzt, 22 weitere Kräfte wurden leicht verletzt. Zudem gab es sieben verletzte Feuerwehrleute, davon drei mit Lebensgefahr und vier schwer. Der Festgenommene nach der Explosion einen Brand in der Wohnung gelegt, berichtet die Polizei: „Das erschwert die Aufklärungsmaßnahmen in den Räumlichkeiten.“
Als alles vorbei ist, kurz vor drei Uhr am Donnerstagnachmittag, sitzen die Feuerwehrmänner erschöpft auf dem Asphalt. Die Gesichter rot und verschwitzt, die Pressluft-Flaschen noch auf dem Rücken, blicken sie ins Leere. Gerade haben Kollegen einen Mann auf einer Trage aus dem Haus gebracht, hinter dem eilig hochgezogenen Sichtschutz ist goldene Rettungsfolie zu erkennen, eine Sauerstoffmaske. „Schwerstverletzt“ sei der Festgenommene, sagt eine Polizeisprecherin, ob durch die Detonation, den Brand, den Einsatz…? Die Helfer vor Ort interessiert es wenig, sie denken an ihre Kollegen. „Scheiße“, sagt einer, „geht mir das nah!“
Polizisten erschüttert: „Lebensgefahr ist nicht nicht auszuschließen“
Sie hatten solche Einsätze schon so häufig, da ruft jemand an, weil ein Briefkasten überquillt. „HiLoPe“ ist das Codewort, „Hilflose Person“, sie werden eine Tür aufbrechen müssen, möglicherweise liegt hinter ihr ein Toter. Am späten Vormittag rückt die Einzelhilfe der Feuerwehr an, ein Team der Polizei, es heißt, sie hätten Verwesung gerochen. Dann knallt es. Wer das erzählt hat, bleibt offen, die ersten Retter vor Ort kommen dort nicht mehr heil heraus. „Lebensgefahr ist nicht auszuschließen“, sagt die Polizeisprecherin.„Da kommst du dahin und Bumms“, sagt ein Polizist mit feuchten Augen. Was da explodierte, ist am Nachmittag noch unklar, auch, wer den Notruf abgesetzt hat.
Explosion in Ratingen- Mehrere Einsatzkräfte verletzt
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Möglicherweise war es eine Falle, der Sprengstoff schon vorbereitet. Ein Mann habe den Einsatzkräften an der Tür irgendetwas entgegengehalten, wird Innenminister Herbert Reul später berichten. Danach habe es eine Verpuffung gegeben. Jedenfalls quillt Qualm aus dem Obergeschoss, an einer Seite ist eine Fensterscheibe geborsten, zur anderen färbt der Rauch die Balkonwand, die hier gelb gestrichen ist, schwarz. Polizei und Feuerwehr eilen herbei, unzählbar: Hundertschaften, Sondereinsatzkommandos, Verhandlungsgruppen, Absperrkräfte – und immer mehr Feuerwehr. Hubschrauber holen die Verletzten aus dem Chaos, Scharfschützen und Männer mit Sturmgewehren postieren sich auf anderen hohen Dächern und mit Waschbeton verkleideten Balkonen, hinter gepanzerten Fahrzeugen ziehen sich vermummte Männer Splitterschutzwesten an.
Frauenleiche lag schon länger in der Wohnung
Nach vier Stunden knallt es mehrfach, unklar, ob das Schüsse sind oder vielleicht Blendgranaten, „Zugriff erfolgt“, meldet die Polizei. Der Festgenommene sei wohl der Wohnungsinhaber, neben ihm haben die Einsatzkräfte eine tote Frau gefunden, wahrscheinlich seine betagte Mutter. Sie war wohl schon vor längerer Zeit verstorben. Nach dem mutmaßlichen Täter wird ein SEK-Mann auf einer Trage über die Straße geschoben, er richtet sich auf und versucht zu lächeln: Es ist ein Zeichen an seine Kollegen, nichts Schlimmes!
An der Berliner Straße ist kein Durchkommen mehr, dabei wohnen hier viele Menschen, 70 Familien allein in Nummer 45. Hier in Ratingen-West stehen bunt renovierte Hochhäuser wie Bauklötze kreuz und quer in Straßen, die nach ostdeutschen Städten heißen: Jenaer, Weimarer, Stendaler Straße. Zwischen den Wohnblöcken hallen die Martinshörner wider. Nachbarn stehen in Gruppen zusammen, noch dürfen sie nicht zurück in ihre Wohnungen. Unter ihnen ist auch ein älterer Herr aus dem Erdgeschoss, er kannte „den, der da wohnte“.
Ein ruhiger Mann, sagt er in schönstem Rheinisch, Anstreicher, man sei zusammen aufgewachsen. Nach dem Tod seines Vaters habe er allein mit seiner Mutter im 10. Stock gewohnt. Aber zuletzt? „Lange nicht gesehen. Sehr lange nicht mehr.“ Was er nun hört von seinem Jugendfreund, da ist der Nachbar „platt“: „Ich vermute, dass der krank war. Das kann ja nicht anders sein.“ Oder es war so, wie auch die Polizei durchblicken lässt: Man habe Hinweise auf Kontakte zur Querdenker-Szene, „ein Schwurbler“, sagt jemand, polizeibekannt. Innenminister Reul berichtet von Recherchen in den sozialen Medien: Danach habe sich der Mann „im Corona-Leugner-Umfeld gedanklich aufgehalten“.
Innenminister Reul am Tatort: „Irre und unbegreiflich“
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wollte sich an Spekulationen nicht beteiligen. Sie reagierte betroffen auf die „verheerende Tat“: Polizisten und Feuerwehrleute täten alles, um hilflose Personen zu retten, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Michael Maatz. „Dass sie dabei selbst Opfer eines Explosionsanschlags werden, macht uns fassungslos.“ Auch Innenminister Reul, am Nachmittag an den Tatort geeilt, nannte es „irre und unbegreiflich“, dass Menschen, „die für unsere Sicherheit sorgen … am Ende im wahrsten Sinne des Wortes ihr Leben riskieren“.
So viele verletzte Kollegen, „das lässt einen nicht kalt“, sagt ein Polizist vor Ort mit belegter Stimme. Gewerkschafter Maatz spricht auch für die Kollegen von der Feuerwehr: Man fühle „mit den verletzten Kollegen, die um ihr Leben ringen“.
Am Freitagmorgen hieß es zum Gesundheitszustand der am schwersten Verletzten laut Polizei: "Sie leben noch."
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