Essen. Eine 19-jährige Essenerin soll ihren drei Monate alten Sohn fast zu Tode geschüttelt haben. Vor Gericht nennt sie sich “überfordert“.

Unter Schluchzen gesteht die 19-Jährige, was sie ihrem drei Monate alten Baby angetan hat: „Ja, ich habe ihn geschüttelt, geschlagen und gewürgt.“ Angeklagt vor der V. Essener Jugendstrafkammer ist sie des versuchten Totschlags und der Misshandlung von Schutzbefohlenen. Verantworten muss sich die Essenerin seit Donnerstag auch, weil sie außerdem ihren ein Jahr älteren Sohn geohrfeigt haben soll.

Dass der kleinere Junge noch lebt, hat er seiner Großmutter zu verdanken. Als sie am 24. September vergangenen Jahres gehört hatte, dass es dem Baby schlecht gehe, forderte sie ihre Tochter auf, den Notarzt zu rufen. Doch die 19-Jährige soll sich geweigert haben. Sie habe Angst, dass das Jugendamt ihr dann die Kinder wegnehme.

Gebrochene Schädeldecke

Da wählte ihre Mutter selbst die 112. Tatsächlich schwebte das Kind in Lebensgefahr, stellten die Ärzte des Universitätsklinikums Essen fest. Die Schädeldecke war gebrochen, die Netzhaut des linken Auges beschädigt, und das Gehirngewebe wies bereits bleibende Schäden auf. Verletzungen, typisch für ein "Schüttel-Trauma" mit Aufschlagen des Babys auf einem harten Gegenstand. Noch lebt das Kind, laut Diagnose wird es aber unter schwersten Behinderungen leiden.

Die Ärzte hatten natürlich die Polizei eingeschaltet. Da waren nicht nur die akuten Verletzungen des Babys. Blutergüsse und mehrere Knochenbrüche zeigten, dass es schon in seinen ersten Lebensmonaten massiver Gewalt ausgesetzt war.

Trommelfell drohten Schäden

Die eingeschaltete Rechtsmedizin untersuchte auch den eineinhalb Jahre alten Bruder des Babys. Das Kind machte zwar einen gepflegten und lebhaften Eindruck. Aber Verletzungsspuren im Gesicht wiesen auf eine Ohrfeige hin, die nach Ansicht der Sachverständigen so heftig gewesen sein muss, dass das Trommelfell hätte beschädigt werden können.

Schnell ermittelte die Polizei, dass wohl nur die 19-Jährige ihren Kindern diese Verletzungen hätte zufügen können. Denn sonst hielt sich niemand anderes dauerhaft in der Wohnung auf. Zum Vater der Kinder hatte sie keinen Kontakt mehr.

Förderschule ohne Abschluss

Die Angeklagte wuchs geordnet in einer kinderreichen Familie auf. Allerdings geriet sie früh an Drogen und konsumierte seit dem 15. Lebensjahr regelmäßig Haschisch und Alkohol. In der Schule hatte sie früh Probleme. Von der Grundschule wechselte sie in eine Förderschule. Dort hatte sie viele Auseinandersetzungen, schwänzte auch den Unterricht. Mit 17 Jahren verließ sie die Schule ohne Abschluss.

Mit 17 bekommt sie im Januar 2021 ihr erstes Kind, im Juni 2022 das zweite. Das Jugendamt sorgt dafür, dass sie eine eigene Wohnung im Essener Stadtteil Kray bekommt. Sie finanziert sich durch Hartz-IV-Leistungen.

Großmutter wollte Kinder aufnehmen

Ihr zweites Kind ist eine Frühgeburt und kommt erst einen Monat nach der Geburt aus dem Krankenhaus. Die Mutter der Angeklagten berichtet der Polizei, ihre Tochter habe sich eigentlich gut um die Kinder gekümmert. Aber sie sei noch jung, habe Partys feiern wollen. Deshalb habe sie, die Großmutter, angeboten, die Enkel bei sich aufzunehmen. Denn sie selbst habe als Alleinerziehende auch fünf Kinder groß bekommen. Aber das habe ihre Tochter abgelehnt.

Bisher hatte die Angeklagte jede Verantwortung für die Taten bestritten. Mal sagte sie, in einem unbeachteten Moment habe der Eineinhalbjährige das Baby fallen lassen, mal will sie selbst auf der Treppe mit dem Säugling gestolpert sein.

Auf dem Weg zum Geständnis

Vor der Jugendstrafkammer deutet sie zunächst an, ihr neuer Freund habe das getan. Aber dann räumt sie doch ein: „Ich habe ihn geschüttelt.“ Richter Volker Uhlenbrock fragt hartnäckig, aber doch einfühlsam nach und führt die 19-Jährige so auf den Weg zum Geständnis.

„Ja“, sagt sie, „ich habe ihn auch geschlagen“. Und gewürgt, fügt sie hinzu. Schließlich sagt sie auch, dass sie das Baby nicht nur geschüttelt, sondern auch auf die Kante des Wickeltisches geschlagen habe. Sie habe den Sohn aber nicht töten, sondern nur sein ständiges Schreien stoppen wollen.

Warum sie dieses früher nicht gesagt hat, dafür hat sie eine Erklärung: „Ich habe mich übelst geschämt und schäme mich noch heute. Im Gefängnis habe ich aber darüber nachdenken können.“ Fünf weitere Verhandlungstage hat die Kammer angesetzt.

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