Duisburg/Gelsenkirchen. Eine falsche Erdbebenwarnung hat die Polizei in vielen Revierstädten in Atem gehalten. Entstand die Fake-Nachricht durch ein Beben in Rumänien?

Die Polizei in Gelsenkirchen hat noch einmal nachgesehen. „22.42 Uhr ist der erste Anruf bei uns eingegangen“, sagt Sprecher Thomas Nowaczyk. Im Internet habe es eine Warnung vor einem Erdbeben im Ruhrgebiet gegeben, teilt der Anrufer besorgt mit. Was nun? Im ersten Augenblick hätten Kollegen in der Leitstelle „das für einen Streich gehalten“, sagt Nowaczyk. 58 Anrufe später wissen sie, dass es das nicht ist. Alle Anrufer erzählen nahezu dieselbe Geschichte. Mal haben sie die Warnung über Whatsapp bekommen, mal bei TikTok empfangen oder in einer ihrer Facebook-Gruppen gelesen. Und eines haben alle Anrufer gemeinsam. Sie stammen ursprünglich aus Rumänien oder Bulgarien.

„So etwas haben wir noch nie erlebt“

„So etwas haben wir noch nie erlebt“, sagt der Gelsenkirchener Polizeisprecher. So etwas hat noch keine Polizei im Revier erlebt. In Duisburg gibt es gleich 170 Anrufe. Auch auf den Wachen in Bochum, Gladbeck oder Hagen klingeln die Telefone fast in einem durch. Immer aufgeregter werden die Anrufe. „Manche waren echt in Panik“, weiß Nowaczyk. Köln sei schon stark zerstört, jetzt wandere das Beben ins Ruhrgebiet, haben viele Anrufer im Netz gelesen und kennen sogar den Zeitpunkt der Katastrophe: 2.45 Uhr. „Wohin können wir flüchten?“

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Die Polizei versucht zu beruhigen, spricht von einer Falschmeldung. Es hilft nichts. Gegen Mitternacht haben in Gladbeck rund 200 Menschen aus Angst vor einstürzenden Gebäuden ihre Häuser verlassen und warten draußen auf das angekündigte Beben. In Gelsenkirchen sitzen sie mit Kindern und dem nötigsten an Gepäck in ihren Autos, um im Fall der Fälle schnell flüchten zu können.

Lautsprecherdurchsagen sollen Leute beruhigen

Und in Duisburg zählt die Polizei in Stadtteilen mit entsprechender Bevölkerungsstruktur rund 1000 Leute auf den Straßen. Mit Lautsprecherdurchsagen geben die Beamten und Beamtinnen immer wieder Entwarnung. „Gehen Sie nach Hause. Es gibt kein Beben.“ Die meisten aber bleiben. Niemand sei aggressiv geworden, erzählt die Duisburger Polizeisprecherin Caroline Schlachzig. „Es herrschte eine eher sorgenvolle Stimmung.“ Erst weit nach 2.45 Uhr seien die meisten Menschen in ihre Häuser zurückgekehrt.

Wo der Ursprung der Falschmeldung liegt, ist bisher unklar. Möglicherweise war es nicht einmal böse Absicht. Experten der Website „Erdbebennews“ weisen darauf hin, dass in Rumänien in den vergangenen Tagen tatsächlich mehrfach die Erde gebebt habe – am Dienstag mit einer Stärke von 5,7. Zwar sind die Folgen nicht annähernd so dramatisch wie in der Türke und Syrien, aber mehrere Hundert Gebäude wurden auch in Rumänien beschädigt, zwei Menschen verletzt.

Warnung aus Rumänien für Verwandte im Revier?

Erdbebennews-Geologe Stefan Stürmer vermutet, dass Menschen aus Rumänien Verwandte oder Freunde in Deutschland gewarnt haben, Deutschland sei als nächstes betroffen. Vielleicht weil sie Beiträge nur überflogen hatten, statt sie zu lesen, Karten und Grafiken nicht richtig interpretierten oder Bilder falsch zugeordneten.

Die meisten Menschen würden sich normalerweise ja auch nicht mit Geologie und Erdbeben beschäftigen, weiß Kasper D. Fischer, Leiter der Erdbebenwarte an der Ruhr-Universität Bochum. Sonst wüssten sie, was Fischer und andere Experten schon lange sagen: „Die Erdbebengefährdung in weiten Teilen NRWs ist sehr gering.“

Beben lassen sich gar nicht vorhersagen

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Nur die westlichen Landesteile, insbesondere die Niederrheinische Bucht, die Eifel und Teile des Bergischen Landes, seien offiziell einer Erdbebengefährdungszone zugeordnet. Rund um Aachen, haben Experten der RWTH Aachen ausgerechnet, gibt sogar „eine gewisse Gefahr von mittelschweren Erdbeben“ - allerdings kämen die nur alle 3000 bis 5000 Jahre einmal vor.

Als stärkstes Beben der vergangenen 100 Jahre in der näheren Umgebung zählt unter Experten das Erdbeben von Roermond in den Niederlanden, unmittelbar an der Grenze zu Deutschland, das auch in NRW Schäden hinterließ. Mit einer Stärke von 5,4 allerdings war es etwa 1000-mal schwächer als das jüngste Beben in der Osttürkei.

Aber selbst wenn man alle Wahrscheinlichkeitsrechnungen und tektonische Expertise außen vor lässt, sollte man Warnungen vor Erdbeben im Netz nicht beachten, denn: Grundsätzlich, sagen Experten, lassen sich Erdbeben gar nicht voraussagen.