Duisburg. Klischees prägen das Bild der Pflege-Arbeit in der Öffentlichkeit. Wie zwei Azubis aus NRW damit aufräumen.

„Lieblingsessen“, ruft Karolina Stab und spielt den zum Ballon aufgeblasenen Gummi-Handschuh in Helgas Richtung. Die 85-Jährige, die ihren richtigen Namen nicht öffentlich lesen will, runzelt die Stirn. „Na, Lieblingsessen“, wiederholt die 20-Jährige und lächelt der alten Dame aufmunternd zu. Die verzieht die angespannten Mundwinkel langsam zu einem Lächeln. „Bratkartoffeln“, sagt sie dann entschieden.

Für die Bewohnerinnen und Bewohner des Duisburger AWO-Seniorenzentrums Wohndorf Laar denkt sich Karolina Stab regelmäßig solche Spiele aus. „Es macht so viel Spaß, und die Dankbarkeit der Menschen ist unbezahlbar“, sagt die Duisburgerin. Sie ist jetzt im ersten Jahr ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau in der stationären Altenpflege.

„Immer wieder mit Klischees konfrontiert“

Seit 2020 gibt es die generalistische Ausbildung, in der sich junge Menschen erst im dritten Jahr für einen Bereich entscheiden. Zuvor sind Alten- und Krankenpflege getrennt geschult worden. Karolina Stabs Arbeit gegenüber haben einige Freunde und Bekannte jedoch Vorurteile. „Es ist schade, dass viele denken, wir würden den alten Menschen nur Essen reichen und sie sauber machen“, findet Stab.

Angesichts der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen zeigt sich die Arbeitgeberinitiative Ruhrgebietskonferenz Pflege alarmiert über das anhaltend schlechte Image der Berufsgruppe. „Wir werden immer wieder mit einer Menge Klischees konfrontiert“, sagt Sprecher Roland Weigel. Der schlechte Ruf müsse sich dringend ändern, denn „wir stehen erst am Anfang des demografischen Wandels“.

Appell an die NRW-Politik: Pflegenetzwerke fördern

Rein rechnerisch steige das Risiko von Pflegebedürftigkeit ab einem Alter von 80 Jahren um 25 Prozent, jeder Vierte werde also Unterstützung brauchen. Geringe Bezahlung, schlechte Arbeitsbedingungen und Abwanderung durch starke Arbeitsbelastung: „Wir müssen die Vorurteile endlich aus den Köpfen kriegen“, betont Weigel, „angefangen bei der Landespolitik“.

In einigen Ministerien zeichneten Politiker selbst ein negatives Bild der Arbeitsbedingungen in der Pflege. Zudem müssten mehr Experten und Praktiker in die Politik. Konkret fordert Weigel, regionale Pflegenetzwerke zu fördern.

83 arbeitslose Bewerberinnen und Bewerber auf 100 Stellen

Seit Jahren gibt es in der Pflege einen hohen Fachkräftemangel. Laut Arbeitsagentur kommen in NRW auf rund 100 offene Stellen in der Pflege rechnerisch 83 arbeitslose Bewerberinnen und Bewerber. Nur in neun anderen Berufsfeldern ist die Lücke größer. Und das, obwohl die Zahl der Pflege-Azubis hierzulande so hoch ist wie nie zuvor. Nach Zahlen des Gesundheitsministeriums, haben im vergangenen Jahr 17.413 Menschen eine Ausbildung zum Pflegefachmann oder zur Pflegefachfrau begonnen – zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Die Tendenz ist weiterhin steigend.

Natürlich gebe es auch in der Pflege „schwarze Schafe“, räumt Weigel ein, sowie schlecht gemanagte Unternehmen. Wichtig sei, genau hinzuschauen: Auch wenn jeder Fünfte frühzeitig die Ausbildung abbricht, sei dies verglichen mit anderen Ausbildungsgängen ein unterdurchschnittlicher Wert. Laut einer neuen Studie des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung geben über 92 Prozent der Befragten an, nach der Ausbildung in der Pflege bleiben zu wollen.

Pflege: Platz drei der bestbezahlten Ausbildungsgänge

Auch gebe es keinen sogenannten „Pflexit“, betont Weigel. Laut Studie arbeiten rund 75 Prozent der Pflegekräfte im Land zehn Jahre oder länger in ihrem Beruf. Zudem stehe die Pflege auf Platz drei der bestbezahlten Ausbildungsgänge. Ein Azubi zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann bekommt im ersten Ausbildungsjahr monatlich 1166 Euro. Zum Vergleich: Eine angehende Hotelfachfrau erhält im ersten Azubijahr etwa 770 Euro.

Inkontinenz-Flaschen, beißende Gerüche, offene Wunden: Davon ist Karolina Stab seit ihrem achten Lebensjahr umgeben. Zu dieser Zeit wurde die Uroma bettlägerig, konnte nicht mehr auf die Toilette, musste über eine Magensonde ernährt werden. Berührungsängste hatte die Pflege-Azubine schon da nicht, denn „für mich war es das Normalste, meine Uroma zu versorgen“.

Ausbildung zur Pflegefachfrau: „genau die richtige Entscheidung“

Interessiert verfolgte sie die Aufgaben des ambulanten Pflegedienstes, reichte hier und da eine Mullbinde an. Nach dem Realschulabschluss stand die junge Frau dann vor der Frage, was sie denn einmal werden will. „Wegen meines Sprachproblems war das gar nicht so einfach“, sagt Stab. Sie stottere, manchmal blieben ihr die Wörter im Hals stecken.

Auf den Rat ihrer Eltern hin entschied sie sich für eine einjährige Ausbildung als Sozialassistentin – und anschließend für die duale Ausbildung zur Pflegefachfrau. „Das war genau die richtige Entscheidung“, sagt Staub rückblickend. „Am Anfang war ich sehr schüchtern, heute spreche ich stundenlang mit den Bewohnern und mache Späße mit ihnen.“ Das alles erzählt die junge Frau, ohne auch nur einmal zu stottern.

Beim Duschen helfen, Insulin-Spritzen geben

Zisan Girgin ist im zweiten Jahr ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau in der ambulanten Pflege. Noch fährt die 24-Jährige mit erfahrenen Kolleginnen und Kollegen mit, doch schon bald wird sie allein die Wunden der Pflegebedürftigen versorgen, ihnen beim Duschen helfen oder Insulin-Spritzen geben. „Ich mache das gerne, weil ich weiß, dass ich das später im Alter zurückbekomme“, sagt die Duisburgerin. Nach dem Fachabi überlegte sie erst, Innenarchitektur zu studieren, „aber dann war es mir wichtiger, einen sozialen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten“.

Damals seien die Menschen im Krieg früh verstorben, weil ihnen das nötige Wissen über Pflege fehlte, sagt Girgin. Ihr Wunsch: der älteren Generation etwas zurückgeben. Die Corona-Pandemie verstärkte schließlich ihren Plan, „weil man sehen konnte, dass der Beruf eine Zukunft hat, während andere Unternehmen pleite gegangen sind“.

Zu den alten Menschen hat die junge Frau einen persönlichen Bezug, weiß zum Beispiel, von welchem Geschirr sie am liebsten essen. „Es fühlt sich an, als wären sie allesamt meine Omas und Opas.“

>>> So wird in der Pflege bezahlt:

Ungelernte Arbeitskräfte bekommen in der Regel einen Mindestlohn von mehr als 13 Euro. Einjährig gelernte erhalten über 14 Euro. Ausgebildete in der Pflege landen bei rund 17 Euro. Nach Zahlen der Ruhrgebietskonferenz Pflege liegt das durchschnittliche Einstiegsgehalt für eine Pflegefachkraft im ersten Jahr bei 3370 Euro brutto monatlich.

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