Ruhrgebiet. Das Programm „Kurve kriegen“ hilft Kindern, die einen kriminellen Lebensweg einschlagen. 1000 seien gerettet worden, heißt es. Daniel erzählt.
Man darf wohl unterstellen, dass die Polizei solche Briefe nicht übermäßig oft bekommt. „Ein Anruf von der Polizei mit den Worten ,Es geht um ihren Sohn’ hieß bisher nie etwas Gutes“, schreibt eine Mutter: „Hier führte es dann doch zu etwas Gutem.“ Sie schreibt, und schreibt, und das Ende vom Lob ist: „Die positiven Kompetenzen unseres Kindes wurden gestärkt und als Potenzial betrachtet, und an seinen Schwächen wurd gearbeitet.“ Hallo? „Kompetenzen“, „Schwächen“, „Potenzial“? Was ist mit der Polizei los?
Den Brief haben sie jedenfalls angemessen gut gefunden, großgezogen und aufgehängt im Atrium der Polizei- und Verwaltungshochschule in Duisburg. Er stammt von einer Mutter, deren Kind durch das Programm „Kurve kriegen“ vom eingeschlagenen, kriminellen Lebensweg wieder abgekommen ist. Und darum geht es hier am Mittwochmittag: Um 1000 Kinder und Jugendliche, die diese Kurve in elf Jahren gekriegt haben.
40 Prozent der Absolventen werden nicht mehr straffällig
Es ist ein Programm des NRW-Innenministeriums, das mit polizeilichen und pädagogischen Mitteln, mit Jugendarbeit und Sozialarbeit Kindern und Jugendlichen heraushelfen soll, die in der Kriminalität stecken. 40 Prozent von bisher über 2500 Absolventen würden demnach nicht mehr straffällig, bei den anderen 60 Prozent halbiere sich die Zahl der weiteren Straftaten.
Und so freut sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) über die 1000, auf die nicht das Gefängnis warte, sondern „Ausbildung, Beruf und Familie“. Kritik, da mische sich die Polizei in die Arbeit von Jugendämtern und Sozialverbänden ein, kontert er so: „Wir kriegen den Anfang krimineller Karrieren als erste mit, wir als Polizei.“ Wenn Kinder als Verdächtige auftauchen; tatsächlich gucken sie auch schon drauf, wenn Kinder häufiger als Opfer oder Zeugen erscheinen, denn „das ist sehr ungewöhnlich.“
„Man rechnet jeden Tag damit, dass er wieder was angestellt hat“
Der 1000. ist ein Daniel, und seine Mutter soll Kim Richter heißen - die Namen sind natürlich geändert. Sie sitzen nun vorn und werden befragt. „Langeweile, Stress zuhause, falsche Freunde, und von jetzt auf gleich bist du da drin“, erinnert sich Daniel: „Es hat halt angefangen mit Schlägereien, andere Leute abziehen, irgendwann dann Drogen. Irgendwann ist es ganz normal, da achtest du gar nicht mehr drauf.“
Seine Mutter sagt: „Man rechnete jeden Tag damit, dass er wieder was Neues angestellt hat oder nicht nach Hause kommt. Wenn Polizei vor der Tür steht, weil das Kind was ausgefressen hat - das ist nicht schön.“ Nach ,Kurve kriegen’ und dem Ende von Schlägereien, Abziehen und Drogen „wächst das Vertrauen wieder. Man lässt ihn wieder machen ohne Angst, es könnte was passieren. Er hat es geschafft.“
„Du bist elf, du kommst in kein Gefängnis, dir passiert nichts“
Das Programm ist an 40 von 47 Präsidien in Nordrhein-Westfalen etabliert und wird gerade nach Schweden exportiert: „Kurve kriegen“ heißt dort „Back on track“ - also praktisch dasselbe. Als an dieser Stelle ein Abteilungsleiter anhebt, den Minister zu loben, erwidert Reul: „Wir machen jetzt nicht das Programm ,Der Minister ist gut’. Das weiß ich selbst.“
Ein Erol (Name geändert), ein früherer Teilnehmer erzählt es so: „Die Freunde haben gesagt, du bist elf, du kommst in kein Gefängnis, dir passiert nichts.“ Bis dann die Polizei vor der Tür stand. Anfangs habe er sich ,Kurve kriegen’ verweigert, aber das ging dann vorbei: „Anfangs habe ich meinen Integrationshelfer gehasst, wollte nichts mit dem zu tun haben. Heute ist er mein bester Freund.“
Und Daniel hat eine Lehrstelle zum Elektroniker. Am Ende gibt es Blumen für Frau Richter und ihren Mut. Schokolade für Daniel und seine Bereitschaft, zu erzählen. „Besser als jede Theorie, besser als jedes Papier: Menschen sind die besten Vorbilder“, sagt Reul. Davon haben sie jetzt 1000.