Oberhausen. Wie lässt sich Plastikmüll vermeiden? Jürgen Bertling vom Fraunhofer-Institut Umsicht erklärt, wie die Kreislaufwirtschaft besser werden kann.
Rechtlich ist die Sache klar: Mehrweg geht vor Recycling und Verbrennung. Doch die Praxis sieht anders aus. Einwegsysteme produzieren enorme Mengen Plastikmüll, der nur zu einem geringen Teil zu neuen Kunststoffen recycelt wird (13 Prozent in Deutschland) – und meist zu minderwertigeren. Das Oberhausener Fraunhofer-Institut Umsicht hat sich des Themas angenommen. Studien-Leiter Jürgen Bertling erklärt, wie sich viel Plastikmüll vermeiden ließe.
Sie haben Mehrweg mit Einweg verglichen. Was haben Sie untersucht?
Bertling: Wir haben drei Mehrwegsysteme mit ihren Einweg-Alternativen verglichen: Coffee-to-go-Becher, Obst- und Gemüsekisten, wie sie Bauern verwenden, und Pflanzentrays, also Paletten für Blumentöpfe. Wir haben uns angeschaut: Wie oft gehen sie in den Kreislauf? Wie gut sind sie in der Anwendung? Und wie nachhaltig sind die Produkte? Wenn man tiefer einsteigt, geht es zum Beispiel um Umlaufzahl, Materialintensität und Digitalisierbarkeit, um Transportaufwand und natürlich Kosten, aber auch um technische Souveränität.
Nun würde der Laie denken, Mehrweg ist immer besser. War das so?
Mehrwegsysteme müssen stabiler gebaut sein, in der Regel braucht man hier das Doppelte bis Dreifache an Kunststoff. Darum müssen bestimmte Umlaufzahlen erreicht werden. Coffee-to-go-Becher zum Beispiel lohnen sich in der Mehrwegvariante ab fünf Umläufen. Aber realistisch ist durchaus, dass man sie 50-mal benutzt. Dann haben wir einen deutlichen Vorteil. Aus dem höheren Materialeinsatz resultiert manchmal auch, dass die Produkte reparierbar sind. Bei den Kisten etwa kann man Teile austauschen. Außerdem sind sie beim Produktschutz überlegen. Bei Obst gibt es in Einwegkisten Verluste von etwa drei Prozent, in einer robusteren Kiste wird deutlich weniger beschädigt. Moderne Mehrwegsysteme sind zudem klapp- oder stapelbar.
In die Bewertung fließt sicher auch das Recycling ein.
Einwegbecher werden oft nicht in den gelben Sack geworfen, sondern unterwegs in den Restmüll. Dann ist der Wertstoff halt verloren. Darum sind die Rücklaufquoten hier sehr niedrig. Da haben Mehrwegsysteme, die über Miete oder Pfand funktionieren einen Vorteil. Bei Recup, ÖkoCup oder Düsseldorf Becher kommen rund 90 Prozent zurück.
Was müsste man tun, damit Mehrweg breiter eingesetzt wird?
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Die Einführung von Mehrweglösungen ist kompliziert. Ich muss mir über die Rückführlogistik Gedanken machen, über die Reinigung, das Ganze muss schnell flächendeckend verfügbar sein. Mehrere Unternehmen müssen kooperieren. Wenn man aber bei den Einwegsystemen festlegen würde, dass auch sie im Kreis geführt werden sollen über Recycling, müssten sich auch dort die Akteure viel besser absprechen – zum Verpackungsdesign, zu den zu verwendenden Stoffen und ihrer Trennbarkeit. Wie sichergestellt werden kann, dass aus der Flasche wieder eine Flasche wird und keine Parkbank. Darum ist das Einwegsystem nur vermeintlich einfacher.
Wo wären denn mögliche Anwendungen im Endkundenbereich?
Da sehen wir großes Potenzial bei To-go-Essen und -Getränken, bei trockenen Lebensmitteln wie Hülsenfrüchten und bei Milchprodukten. Das gab’s ja alles schon mal. Drogerieketten erproben gerade Nachfüllstationen von Reinigungsmitteln. Aber das sind alles noch Nischenlösungen. Es gibt natürlich die Unverpacktbewegung, aber nicht jeder Kunde besitzt standardisierte Verpackungen. Da wären standardisierte Mehrwegsysteme wie „besserbox“ eine sinnvolle Ergänzung.
Sind Mehrwegsysteme für den Versandhandel denkbar?
Das halte ich fast für zwingend. Man liest oft, Mehrweg bedeute mehr Transportaufwand. Aber das stimmt so nicht. Auch bei Einweg ist eine Rückholung notwendig. Der Paketdienst kommt voll und fährt leer zurück, der Müllwagen kommt leer und fährt voll zurück. Genauso gut könnte der Lieferwagen die Verpackungen wieder mitnehmen. Das würde viel Transportaufwand sparen. Bei Verpackungen passiert gerade sehr viel, was Faltbarkeit, Klappbarkeit, Nestfähigkeit angeht. Es gibt Zip-Lösungen, bei denen man Versandtaschen aufrollen und in die Post geben kann. Der Onlinehändler Memo bietet die Memobox an, für Reifen gibt es TyrePack. Und Mehrweg ist etabliert bei vielen Biokisten. Ein großes Potenzial sehe ich bei den jetzt entstehenden Online-Supermärkten. Bislang setzen die noch nicht auf Mehrweg. Es würde voraussetzen, dass sie ihre Produkte auch in Mehrwegverpackungen bekommen.
Müssten sich die Pappkartons ändern?
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Es gibt sicher Kartons, die man Mehrweg nutzen könnte, aber in der Regel sind sie nicht darauf ausgelegt. Man müsste stärker auf Plastik statt Pappe setzen. Man könnte auch starke Pappe beschichten, aber besser recyceln lassen sich Produkte aus einem Material, also reiner Kunststoff. Die Memobox ist auch eine Kunststoffbox. Ich habe neulich einen Rasenmäher bestellt, der kam in Unmengen von Folie und Schaumstoff. Ich habe eine halbe Stunde gebraucht, um ihn überhaupt auszupacken. Wenn es eine robuste Mehrwegkiste gewesen wäre, wäre das sicher auch ganz schick gewesen. Für den Schutz des Produkts kann man sich aufblasbare Elemente oder klappbare Innenräume vorstellen.
Was halten sie dann vom Tetra Pak, also den klassischen Milchverpackungen?
Der Tetra Pak hat recycelte Papier- und Aluminiumanteile, aber das trifft nicht auf die Kunststoffschicht zu. Was Stapelfähigkeit, Volumenausnutzung, Transportaufwand angeht, ist er sicher ganz gut. Aber wenn wir wirklich zu einer Kreislaufwirtschaft kommen wollen, müssen wir gute Lösungen für den Kunststoffanteil finden. Am besten in allen Bilanzen schneiden PET-Mehrwegflaschen ab – auch gegenüber Glas.
Was müsste sich an den politischen Rahmenbedingungen verändern?
Die Regeln sind nicht schlecht, aber sie werden nicht umgesetzt. In der Abfallhierarchie der EU soll Mehrweg an der Spitze stehen. Oft wird gesagt, das funktioniere nicht in der Praxis. Vielleicht müsste es weitere Studien geben wie die unsere, die nachschauen: Gibt es eine generelle Überlegenheit der Mehrwegsysteme? Wenn ja, dann müsste man die Regeln anwenden. Dann müsste man, wenn man eine Einwegverpackung verwenden will, den Nachweis führen, dass sie Mehrweg ökologisch überlegen ist. Ansonsten wäre eine Lenkungsabgabe aus meiner Sicht gerechtfertigt. Die Hersteller müssen bereits Aussagen zur Recyclingfähigkeit und so weiter beim Zentralen Verpackungsregister machen, das wäre nur ein zusätzlicher Schritt.