Ruhrgebiet. Ein weiteres Buch stellt „33 vergessene, verlassene und unheimliche Orte“ vor. Besucher schätzen den Nervenkitzel: „Einen gewissen Gruselfaktor.“

Wie gut, dass es gegen blutigen Horror so wirksame Mittel gibt wie das Verwaltungsvollstreckungsgesetz. Damit hat die Stadt Oberhausen im April den Abriss des Hotels „Volksgarten“ erzwungen, einer leerstehenden Ruine, deren Inhaber vor langer Zeit im Keller gefoltert und ermordet worden sein sollen.

Den Titel „Horror-Hotel“ hatte es sich allerdings schon vor vielen Jahren, noch zu geöffneten Zeiten erworben wegen des sehr, sagen wir, eigenwilligen Verhaltens der Chefin - manch ein Kommentar erschütterter Einmal-und-nie-wieder-Gäste findet sich noch im Netz. Belege für die Morde gibt es hingegen keine, aber das stört ja keinen großen Geist: Tatsächlich dürften es auch die blutigen Geschichten aus dem Keller gewesen sein, die in den letzten Jahren Besucher in die Ruine zogen.

Der Zerfall des Oberhausener „Horrorhotels“ in Bildern

So kennen Anwohner das sogenannte „Horrorhotel“ an der Kapellenstraße 80 in Oberhausen-Osterfeld - heruntergekommen, ausgebrannt, zugewuchert. Doch das Hotel sah nicht immer so aus.
So kennen Anwohner das sogenannte „Horrorhotel“ an der Kapellenstraße 80 in Oberhausen-Osterfeld - heruntergekommen, ausgebrannt, zugewuchert. Doch das Hotel sah nicht immer so aus. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz
Das Horrorhotel in Oberhausen-Osterfeld wurde 1910 gebaut und glich damals einem kleinen Schlösschen im Volksgarten. Hier zu sehen: Eine Grußkarte aus der Zeit.
Das Horrorhotel in Oberhausen-Osterfeld wurde 1910 gebaut und glich damals einem kleinen Schlösschen im Volksgarten. Hier zu sehen: Eine Grußkarte aus der Zeit. © Kickenberg Oberhausen | Kickenberg Oberhausen
So sah das Horrorhotel knapp hundert Jahre später (2011) aus, als noch Hotelbetrieb herrschte.
So sah das Horrorhotel knapp hundert Jahre später (2011) aus, als noch Hotelbetrieb herrschte. © Kickenberg Oberhausen | Kickenberg Oberhausen
Im Januar 2020 stand das Hotel bereits seit sechs Jahren leer und verfiel immer mehr.
Im Januar 2020 stand das Hotel bereits seit sechs Jahren leer und verfiel immer mehr. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn
Der ehemalige Eingangsbereich erinnert an vergangene Zeiten, die Natur erobert sich hier ihren Platz zurück.
Der ehemalige Eingangsbereich erinnert an vergangene Zeiten, die Natur erobert sich hier ihren Platz zurück. © FUNKE Foto Services | Martin Möller
Bis zuletzt weigerte sich der Besitzer des „Horrorhotels“, das einsturzgefährdete Gebäude abreißen zu lassen.
Bis zuletzt weigerte sich der Besitzer des „Horrorhotels“, das einsturzgefährdete Gebäude abreißen zu lassen. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn
Wie aus einem Gruselfilm: Das verlassene Hotel lockte unter anderem selbsternannte „Geisterjäger“ nach Oberhausen.
Wie aus einem Gruselfilm: Das verlassene Hotel lockte unter anderem selbsternannte „Geisterjäger“ nach Oberhausen. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn
05. November 2021: Es ist nur einer von vielen Bränden in dem abrissreifen Gebäude, dieses Mal wird allerdings der Dachstuhl zerstört.
05. November 2021: Es ist nur einer von vielen Bränden in dem abrissreifen Gebäude, dieses Mal wird allerdings der Dachstuhl zerstört. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel
Spätestens seit dem letzten Brand gleicht das ehemalige Hotel nur noch einer Ruine. Kaum vorstellbar, dass hier bis vor acht Jahren noch Hotelbetrieb herrschte.
Spätestens seit dem letzten Brand gleicht das ehemalige Hotel nur noch einer Ruine. Kaum vorstellbar, dass hier bis vor acht Jahren noch Hotelbetrieb herrschte. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer
Seit dem 13. April 2022 stehen die Abrissbagger bereit, um dem Verfall des „Horror-Hotels“ ein Ende zu setzen.
Seit dem 13. April 2022 stehen die Abrissbagger bereit, um dem Verfall des „Horror-Hotels“ ein Ende zu setzen. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer
Am 19. April 2022 wird das verlassene Hotel nach langem Hin und Her abgerissen.
Am 19. April 2022 wird das verlassene Hotel nach langem Hin und Her abgerissen. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer
Nach 112 Jahren wird das Gebäude im Volksgarten abgerissen.
Nach 112 Jahren wird das Gebäude im Volksgarten abgerissen. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer
Am zweiten Abrisstag ist das Gebäude schon kaum noch wiederzuerkennen.
Am zweiten Abrisstag ist das Gebäude schon kaum noch wiederzuerkennen. © Leserfoto | Markus Müller
Ein Bagger arbeitet sich an der Fassade entlang.
Ein Bagger arbeitet sich an der Fassade entlang. © Leserfoto | Markus Müller
Am dritten Abrisstag ist nicht mehr erkennbar, dass das Gebäude mal ein Hotel war.
Am dritten Abrisstag ist nicht mehr erkennbar, dass das Gebäude mal ein Hotel war. © Leserfoto | Markus Müller
Fünf Tage nach Beginn der Abrissarbeiten ist vom Horrorhotel nur noch ein Haufen Geröll übrig.
Fünf Tage nach Beginn der Abrissarbeiten ist vom Horrorhotel nur noch ein Haufen Geröll übrig. © Leserfoto | Markus Müller
Tschüss, Horrorhotel! Der Bagger kümmert sich am 26. April 2022 um die letzten Überreste des ehemaligen Hotels im Volksgarten.
Tschüss, Horrorhotel! Der Bagger kümmert sich am 26. April 2022 um die letzten Überreste des ehemaligen Hotels im Volksgarten. © FUNKE Foto Services | Oliver Mueller
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Es ist nicht abträglich, wenn im Lost Place eine Gruselgeschichte spielt

Ein früherer Hörsaal der verlassenen Grubensicherheitlichen Versuchsanstalt in Dortmund ist noch bestuhlt.
Ein früherer Hörsaal der verlassenen Grubensicherheitlichen Versuchsanstalt in Dortmund ist noch bestuhlt. © kARSTEN tHILO-rAAB / Bruckmann Verlag

Vorbei. Es sei „nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Ort, der in diesem Buch vorgestellt wird, nicht mehr existiert“, schreibt der Reisejournalist Karsten-Thilo Raab seherisch im Vorwort seines neuen Buches. An das Hotel erinnern heute nur noch gestapelte, nun überflüssige Absperrgitter. Die 32 anderen Orte, die Raab beschreibt und zeigt, sind freilich alle noch da: „Lost & Dark Places Ruhrgebiet“, so der Titel - Bestandteil einer Reihe, deren andere Titel schon halb Deutschland abdecken.

Tatsächlich sind solche Führer fast schon ein eigenes Genre: Erst im Herbst 2021 ist „Verlassene Orte im Ruhrgebiet“ des Fotografen Daniel Boberg aus Hamm erschienen, davor schon andere. Sie alle eint: Es geht in verlassene und verfallende Häuser, Hallen oder Werkstätten, die irgendwie und (halb)legal zugänglich sind; und es ist nicht abträglich, wenn sie eine gute Gruselgeschichte beherbergen. Im Top-Lost-Place von NRW, der Villa Oppenheim in Köln, haben sich ja alle Inhaber im zweiten Stock das Leben genommen, nicht wahr?

„Es sind Zwischenwelten, eigentlich gibt es sie nicht mehr“

Fotografen ziehen solche Orte an, sie machen daraus Bücher. Stefan Hebele beschreibt es in der „Süddeutschen Zeitung“ so: „Es sind Zwischenwelten, eigentlich gibt es sie nicht mehr, aber sie sind noch da.“ Und handfester: „Ein verlassenes Gebäude bringt meistens einen gewissen Gruselfaktor. Da springt das Kopfkino an.“

Das ist auch der Grund für die Szene der „Urbexer“ („Urban Explorer“, Entdecker der Stadt), solche Gebäude zu besuchen. Neugier, Nervenkitzel, Angstlust. Gerne nachts. „Wenn du auf einmal Geräusche hörst, fragst du dich schon, ob die Polizei oder die Eigentümer auftauchen“, sagt eine Frau. Denn eventuell begeht sie gerade Hausfriedensbruch - und würde schon allein deshalb eine Begegnung mit dem Hausgespenst bevorzugen.

Inzwischen bieten Veranstalter auch geführte Touren an

Viel ist von Kokerei und Zeche Alma in Gelsenkirchen nicht übrig geblieben - bis auf das Verwaltungsgebäude.
Viel ist von Kokerei und Zeche Alma in Gelsenkirchen nicht übrig geblieben - bis auf das Verwaltungsgebäude. © Bruckmann Verlag | BKarsten-thilo Raab

Auch „Plünderer, Spinner und betrunkene Jugendliche“ seien oft im Lost Place anzutreffen, schreibt Karthen-Thilo Raab. Und ganz abgesehen von denen, ist die Urbexer-Szene inzwischen so groß, dass es auch viele Geschichten gibt von völlig überlaufenen verlorenen Orten. Was wieder ein schönes Beispiel ist für Tourismus, der zerstört, was er besucht.

Tatsächlich gibt es sogar Internet-Seiten („Die zehn aufregendsten Lost Places“) in dem Segment, ja Führungen und Veranstalter. „Informieren Sie sich vor ihrer persönlichen Urbexer-Expedition genau, ob am Lost Place Ihrer Wahl Touren von fachkundigem Personal angeboten werden“, heißt es bei „kurz-mal-weg-Reisen“ aus Hamburg („persönliche Expedition“ ist in diesem Zusammenhang besonders hübsch). So selbstverständlich ist das geworden, dass auf der Internet Seite von kmw-Reisen „Lost Places“ direkt neben der Rubrik „Die 13 schönsten Nordseeinseln“ stehen.

Mehrere Burgruinen, Autobahn-Abschnitte im Nichts, ein ehemaliges Bordell . . .

Das neueste einschlägige Buch, das von Raab, ist aus mehreren Gründen etwas anders. Es hat einen ausführlichen Textteil zu jedem beschriebenen Ort; und verlassene Wohnhäuser und verfallende Hallen der Industrie kommen nur wenige vor. Stattdessen tauchen bei ihm mehrere Burgruinen auf, vergessene Autobahn-Abschnitte im Nichts, eine frühere Auto-Rennstrecke in Gelsenkirchen, ein Ex-Bordell in Recklinghausen, in dem es gerne brennt . . .

Oder ein ehemaliger Fliegerhorst in Werl, der mit halbschlechtem Gewissen vorgestellt wird: „ . . . ist die Stadtgrenze zu Hamm, das Teil des ,Potts’ ist, nur wenige hundert Meter entfernt.“ Und Gruselgeschichten kommen fast nicht vor. Naja, die des Zwergenkönigs Goldemar schon, der auf Burg Hardenstein im heutigen Witten bekanntermaßen den Küchenjungen verspeist hat, nicht wahr?

Karsten-Thilo Raab: „Lost & Dark Places Ruhrgebiet - 33 vergessene, verlassene und unheimliche Orte.“ Bruckmann-Verlag, München 2022, 160 Seiten, 22,99 Euro.