Ruhrgebiet. Mehrere Städte im Ruhrgebiet setzen jetzt „Bürgerkoffer“ ein. So lassen sich Verwaltungsakte mobil erledigen: zum Beispiel beim Bürger zuhause.

Der Antrag der Linken war schon speziell. Im Ausschuss für Ordnung und Prävention von Gelsenkirchen hat die Partei im März gefordert, für Inhaftierte einen „Bürgerkoffer“ anzuschaffen: ein Hilfsmittel, um deren Verwaltungskram im Gefängnis erledigen zu können. Die Begründung war ungefähr die: Diese Menschen könnten schließlich nicht einfach ins Bürgerbüro spazieren, brauchten aber auch gültige Papiere.

Naja, vielleicht nicht gerade einen Reisepass.

Verwaltung, die aus dem Koffer lebt

Eine Frau demonstriert während eines Pressetermins die Handhabung eines Fingerabdruck-Scanners aus einem Bürgerkoffer.
Eine Frau demonstriert während eines Pressetermins die Handhabung eines Fingerabdruck-Scanners aus einem Bürgerkoffer. © dpa | Christophe Gateau

Einfach so ins Bürgerbüro können freilich andere auch nicht: Sie sind nicht mehr beweglich genug oder scheitern in Bürgerbüros im Ruhrgebiet beispielsweise schon an der Terminvergabe online. Doch dann kommt die Stadtverwaltung halt zu ihnen. Ja, das geht inzwischen in einigen Städten: Denn Bürgerkoffer gibt es wirklich. Das Bürgerbüro macht Hausbesuch. So beweglich kann Verwaltung sein; Verwaltung, die aus dem Koffer lebt.

Von außen normale Koffer, beim Anheben eher schwer. 17 Kilo, wie es heißt. Kein Wunder: Denn darin sind Laptop, Drucker und Scanner, eine Kamera für biometrische Fotos . . . Vernetzt mit der Software der Stadtverwaltung muss das gute Stück auch noch sein. Dann kann man die gängigsten Verwaltungsakte überall erledigen, sogar bei Leuten zuhause: Zum Beispiel zusammen mit älteren Menschen, die nicht mehr ins Bürgerbüro ihrer Stadt gehen und sich auch nicht selbst mit dem Internet behelfen können. So etwas wird schon vorausgesetzt, damit das Rathaus tatsächlich zu Ihnen kommt.

„Die Besuche des Bürgerkoffers wurden gerne in Anspruch genommen“

Recklinghausen ist eine der ersten - und noch immer wenigen - Ruhrgebietsstädte, die einen solchen Koffer haben und einsetzen. Die Erfahrungen sind überaus positiv: „Die Besuche des Bürgerkoffers wurden gerne in Anspruch genommen, gerade im Bereich einiger Seniorenwohnheime“, heißt es schriftlich von der „Abteilung Bürgerangelegenheiten“ auf eine Anfrage der WAZ: „In Einzelfällen wurde auch der Bitte nach Hausbesuchen entsprochen.“

Der größere Aufwand lohne sich, eigens Mitarbeiter zu den Leuten zu entsenden, als sie alle ins Stadthaus am Rathausplatz kommen zu lassen. „Der Betrieb des Bürgerkoffers ist für Bürger*innen mit Mobilitätseinschränkungen ein zusätzlicher Service, um ihre Anliegen zu erledigen.“ Coronabedingt nahm die mobile Verwaltung eine Auszeit (wegen der Kontaktbeschränkungen, falls sich noch jemand erinnert): Doch in der 2. Jahreshälfte geht der Koffer in technisch überarbeiteter Form wieder auf Reisen.

Bundesdruckerei hat auch mit Einspareffekten gerechnet

Die Bundesdruckerei hat zunächst Bürgerkoffer produziert im Auftrag des Bundesministeriums des Innern und für Heimat. 
Die Bundesdruckerei hat zunächst Bürgerkoffer produziert im Auftrag des Bundesministeriums des Innern und für Heimat.  © Bundesdruckerei Berlin | Bundesdruckerei Berlin

Man findet Bürgerkoffer landauf, landab: In Sachsen und in Hamburg, an der Mosel und im Schwarzwald, aber weniger im Ruhrgebiet. Moers hat einen, in Mülheim und Bochum wird wenigstens über die Anschaffung gesprochen, in Oberhausen auch schon mal. An- und Ummeldungen kann man damit erledigen, Lebens- und Meldebescheinigungen ausstellen, Kopien und Unterschriften beglaubigen, Personalausweise und Reisepässe beantragen, Fingerabdrücke nehmen, Passfotos machen - gefühlt 99 Prozent der Dinge, die einen normalerweise ins Bürgerbüro treiben.

„Wir machen sehr gute Erfahrungen damit“, sagt auch eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung von Bonndorf in Baden-Württemberg: „Wir sitzen mit dem Koffer bei den Leuten am Küchentisch oder im Wohnzimmer. Die Menschen sind dankbar, dass wir zu ihnen kommen.“ Die Bundesdruckerei hatte allerdings auch noch etwas anderes im Sinn als pure Menschenfreundlichkeit, als sie den Koffer Mitte der 10er-Jahre entwickelte: „Zudem können Einspareffekte erzielt werden, wenn durch mobile, standortunabhängige Bürgerdienste Unterhaltungskosten für Liegenschaften eingespart werden.“

Und was ist jetzt mit den Gefangenen von Gelsenkirchen? Christian Schreier, der Leiter des Sozialdienstes im Gefängnis, nennt den Bürgerkoffer für seine Klientel „ein wünschenswertes Angebot“. Das Thema beschäftige „alle Anstalten landesweit“. Und Stadtsprecher Martin Schulmann sagt, ein Bürgerkoffer sei bestellt worden - für „diverse Zwecke“ wie etwa den Bürgerservice in Altenheimen. Also nicht ganz so speziell.